Reform des Völkerstrafrechts

Fortentwicklung des Völkerstrafrechts verabschiedet

Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag
Die Modernisierung unseres Völkerstrafgesetzbuchs und Strafprozessrechts ist ein wichtiger Schritt für die Verfolgung und Ahndung von schweren Völkerrechtsverbrechen weltweit. Der Bundestag hat das Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts verabschiedet. picture alliance / ZB | Sascha Steinach
06.06.2024
  • Der Bundestag hat am 6. Juni 2024 die Reform zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts verabschiedet.
  • Damit schwere Völkerrechtsverbrechen verfolgt und geahndet werden können, benötigen wir ein modernes Völkerstrafgesetzbuch, das den komplexen Herausforderungen von Völkerstrafverfahren gewachsen ist.
  • Wir Grüne im Bundestag haben uns besonders für die Stärkung der Betroffenenrechte in Völkerstrafverfahren, die Einführung eines eigenen Tatbestandes des Verschwindenlassens ins Strafgesetzbuch (StGB), die Schließung von nicht zeitgemäßen Strafbarkeitslücken sowie für die Erweiterung bei Umweltkriegsverbrechen auf nicht-internationale Konflikte eingesetzt.

Die letzten Jahre haben uns die enorme Bedeutung des Völkerstrafrechts vor Augen geführt – sowohl für die Betroffenen schwerster Völkerstraftaten als auch für die Weltgemeinschaft an sich. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und andere Kriege und bewaffnete Konflikte weltweit wird diese Bedeutung unterstrichen. Aber auch in Deutschland geführte Völkerstrafverfahren haben uns die Relevanz des Völkerstrafrechts vor Augen geführt. Diese Verfahren richteten sich zum Beispiel gegen Unterstützer*innen des Assad-Regimes oder hatten den Völkermord an irakischen Jesid*innen und Völkerrechtsverbrechen im Kongo und in Gambia zum Gegenstand.

Bei der Durchsetzung des Völkerstrafrechts spielt das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) eine entscheidende Rolle. Es erfasst die sogenannten Kernverbrechen des Völkerrechts – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Damit diese schweren Menschenrechtsverbrechen auch strafrechtlich verfolgt und geahndet werden können, müssen wir das deutsche VStGB im Lichte der internationalen Rechtsentwicklung fortentwickeln.

Die Reform sieht insbesondere die Schließung zahlreicher Strafbarkeitslücken im Bereich der sexualisierten und reproduktiven Gewalt, der Verfolgung von queeren Menschen, beim Verbrechen des Verschwindenlassens und bei Umweltkriegsverbrechen vor. Außerdem wurden die Möglichkeiten zum Anschluss als Nebenkläger*in in Völkerstrafverfahren erweitert und die sprachliche Teilhabe ausländischer Medienvertreter*innen sowie örtlicher Zuschauer*innen an Völkerstrafverfahren gestärkt.

Sexualisierte Gewalt und Verfolgung queerer Menschen

Durch die Verbesserungen im Hinblick auf die Verfolgung von sexualisierter und reproduktiver Gewalt erfolgt eine Angleichung der Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen an das Römische Statut und die ständige Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag. Erfasst werden sexuelle Übergriffe, sexuelle Sklaverei, erzwungene Schwangerschaftsabbrüche oder das Gefangenhalten von zwangsgeschwängerten Frauen.

Zudem wird erstmals das Merkmal "sexuelle Orientierung" als unzulässiger Grund für die Verfolgung einer Gruppe aufgenommen. Der Gesetzentwurf benennt damit ausdrücklich die systematische Verfolgung queerer Menschen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Zwangsweises Verschwindenlassen

Wir freuen uns besonders über die Streichung des Nachfrageerfordernisses beim Tatbestand des Verschwindenlassens im VStGB. Dies ist ein wichtiger Schritt für die Angehörigen von Verschwundenen, die bisher bei den mutmaßlichen Täter*innen nach dem Verbleib ihrer Verwandten fragen mussten. Wir haben uns intensiv für die Einführung eines eigenen Tatbestandes des Verschwindenlassens ins Strafgesetzbuch eingesetzt. Es ist wichtig, dass dieses grausame Verbrechen in seiner ganzen Dimension und seinem Unrechtsgehalt von einem eigenen Straftatbestand erfasst wird und wir das entsprechende UN-Abkommen umsetzen. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir weitere Schutzlücken schließen. So müssen Täter*innen beispielsweise nicht mehr die Absicht haben, das Opfer für eine längere Zeit verschwinden zu lassen.

Umweltkriegsverbrechen und weitere Verbesserungen

Besonders freuen wir uns über die Ausweitung bei Umweltkriegsverbrechen auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Damit stellen wir klar, dass Umwelt kein Eigentum eines Staates ist, keine rein innerstaatliche Angelegenheit, sondern die Umweltzerstörungen die gesamte Weltgemeinschaft angehen. Deshalb sollte auf internationaler Ebene auf eine Überarbeitung der Rechtsnormen im Römischen-Statut hingewirkt werden.

Weiterhin wurde die höchstrichterliche Rechtsprechung zur allgemeinen Funktionsträger*innenimmunität kodifiziert und klargestellt, dass Strafverfolgung ohne Ansehen von Amt oder Person nicht ruhen darf. Zudem wurde klargestellt, dass Aggressionshandlungen gegen das Verbot willkürlicher Tötungen verstoßen.

Stärkung der Betroffenenrechte in Völkerstrafverfahren

Das Gesetz stärkt die Rechte von Betroffenen in Völkerstrafverfahren durch die gesetzliche Normierung der Nebenklage und gewährt den Betroffenen das Recht auf einen rechtlichen Beistand und auf psychosoziale Prozessbegleitung. Dafür haben wir uns als Grüne Bundestagsfraktion während des gesamten Verfahrens stark gemacht. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir außerdem erwirken, dass Nebenkläger*innen die Möglichkeit haben selbst Schlussvorträge zu halten. Ursprünglich sollte dieses Recht Anwält*innen vorbehalten sein. Dies war uns besonders wichtig, damit Betroffene eine Stimme haben und ihre Geschichte erzählen können. Dies ist nicht nur für die betroffenen Gesellschaften, sondern auch für die ganze Welt von herausragender Bedeutung.

Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Urteile und Stärkung sprachlicher Teilhabe

Wir befürworten die mögliche Videoaufzeichnung wichtiger Völkerstrafverfahren zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir erreichen, dass ausländische Pressevertreter*innen, bei vorhandenen Kapazitäten, den Zugang zur gerichtlichen Simultanverdolmetschung erhalten. Darüber hinaus dürfen weiterhin ausländische Pressevertreter*innen als auch Zuschauer*innen vor Ort, so genannte Flüsterdolmetscher*innen nutzen. Zudem werden zukünftig völkerstrafrechtliche Urteile in die englische Sprache übersetzt und veröffentlicht. Darauf hatten wir lange gedrängt. Alle Verbesserungen sind ein wichtiger Schritt für die internationale Rezeption, sowohl im juristischen als auch im medialen Kontext.

Wir bedanken uns bei unseren Koalitionspartner*innen für die konstruktive Zusammenarbeit und danken allen Expert*innen, Stakeholder*innen und mutigen Betroffenen für wichtige Anregungen. Mit diesem Gesetz stärken wir das Völkerstrafrecht und stellen klar, dass schwere Menschenrechtsverletzungen nicht straflos bleiben. Denn ohne Rechenschaftspflicht kann es keine Gerechtigkeit und keinen Frieden geben.