Interfraktioneller Antrag

Opfer von NS-"Euthanasie": Aufarbeitung wird intensiviert

Gedenkstätte für NS-Opfer in Großschweidnitz eröffnet
Die zuerst an "Euthanasie"-Opfern vollzogene Ermordung durch Gas wurde zum Muster der industriellen Massenmorde des Nationalsozialismus. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen soll intensiviert werden.
20.09.2024
  • Der Bundestag erkennt die Opfer der sogenannten NS-„Euthanasie“ und der Zwangssterilisation ausdrücklich als Verfolgte des NS-Regimes an und intensiviert die Aufarbeitung dieser Verbrechen.
  • Vom Begriff „Euthanasie“ - „schöner, leichter Tod“ - distanziert sich das Parlament.
  • Ein Projekt zur Sicherung und Konservierung bundesweit vorhandener Patientenakten und Personalunterlagen der Täter*innen wird initiiert, um sie für Erforschung der Nachgeschichte nutzbar zu machen.

Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

„Wir wollen die Opfer der „Euthanasiemorde“ und der Zwangssterilisation offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkennen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Der interfraktionelle Antrag löst diesen Anspruch nun ein. Zudem solle bestehende Lücken im Wissen um die Nachgeschichte, gerade in Bezug auf die Opfer von Zwangssterilisation, geschlossen und die Aufarbeitung intensiviert werden. Es geht um schätzungsweise 300.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen und 400.000 Menschen, die zwangssterilisiert wurden. Im Nationalsozialismus wurden sie Opfer von beispiellosen Medizinverbrechen. Erstmalig wurde im Januar 2017 im Deutschen Bundestag der Opfer der „Euthanasie“-Verbrechen gedacht – über 70 Jahre nach Kriegsende. Drei Jahre zuvor war der „Gedenk- und Informationsort“ für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde offiziell eingeweiht worden.

Sicherung der Patientenakten

Der Antrag will nun die Würdigung der Opfer um das Wissen darüber ergänzen, wie Ärzte, Pflegekräfte, Fürsorgeeinrichtungen und andere Behörden Täter*innen und Helfer*innen wurden und wie sie die Ideologie vom angeblich „unwerten Leben“ umsetzen. Hierfür sind die Sicherung und Erschließung von Patientenakten und weiterem Quellenmaterial von Bedeutung. Dieses lagert in verschiedenen staatlichen Einrichtungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie privaten und kirchlichen Einrichtungen. Es droht, zum Beispiel vor dem Hintergrund der Privatisierung kommunaler Kliniken und anderer Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, verloren zu gehen.

Erkenntnisse für den Bildungs- und Gesundheitssektor 

Eine nationale Fachtagung soll durchgeführt werden unter Beteiligung des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité, der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der Gedenkstätten an den Orten ehemaliger „Euthanasie”-Tötungsanstalten, der Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie”-Geschädigten und Zwangssterilisierten (AG BEZ), den Verbänden von Menschen mit Behinderungen sowie Vertreterinnen und Vertretern der Disability Studies. Hier sollen vor allem folgende Themen in den Blickpunkt gerückt werden: die Archivierung, Digitalisierung und Konservierung der betreffenden Akten, die Unterstützung bei der Aktensicherung von medizinischen, psychiatrischen und pflegerischen Einrichtungen und die Begleitung betroffener Angehöriger im Umgang mit historischen Akten. Die gewonnenen Erkenntnisse zur NS-„Euthanasie” und Zwangssterilisation sollen künftig einfließen in Bildung, Kulturvermittlung und die Ausbildung in medizinischen, psychiatrischen, psychotherapeutischen und pflegerischen Berufen.

Zudem wird betont, dass die Opfer der NS-„Euthanasie” und die Opfer von Zwangssterilisation als Verfolgte des NS-Regimes anzuerkennen sind. Die Gedenkstätten an den Orten der ehemaligen „T4”-Tötungsanstalten sollen auch in Zukunft nachhaltig unterstützt werden.