Rede von Kai Gehring Wissenschaftskommunikation

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13.06.2024

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurze Vorbemerkung zur AfD: Wenn wir in einer Diktatur leben würden, dann wären 100 Coronaleugner 100 Häftlinge.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Ich muss ganz ehrlich sagen: Das Land der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist Deutschland,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das haben wir gesehen, wie es um die Versammlungsfreiheit bestellt war! Mit Schlagstöcken und Knüppeln auseinandertreiben!)

auch wenn man hier jeden Schwachsinn auf der Straße verzapfen darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])

Zurück zum Thema. Schön geschwungen, mit Lebensräumen für Tiere und Pflanzen: Ob Bäche im Einklang mit der Natur stehen, lässt sich schnell erkennen. Obwohl Biodiversität und intakte Ökosysteme für uns Menschen unverzichtbar sind, wissen wir viel zu wenig über Bäche; denn meistens werden nur die großen Fließgewässer überprüft.

Um das zu ändern, haben Forschende des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig Citizen-Science-Projekte ins Leben gerufen. Ein Beispiel: Bürgerinnen und Bürger erforschen Fließgewässer und schaffen gemeinsam Wissen – kurz: FLOW.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit unserem Antrag, den wir heute abschließend beraten, wollen wir die Bedingungen für Wissenschaftskommunikation verbessern, damit Wissenschaft und Gesellschaft noch enger in den Dialog treten und gemeinsam Wissen schaffen können.

Wissenschaftskommunikation ist neben Forschung und Lehre integraler Bestandteil guter Wissenschaft. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass Forschende schon in der Ausbildung lernen, wie sich Erkenntnisse und Ergebnisse besser kommunizieren lassen und die Gesellschaft stärker einbezogen wird. Dafür braucht es Anerkennung sowie zeitliche und finanzielle Ressourcen. Exzellente Wissenschaftskommunikation sollte für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Karrierevorteil sein.

Diese Peilung bringen wir heute auf den Weg und schlagen auch vor, mit einem neuen, gut dotierten Preis der Bundesregierung zu mehr Sichtbarkeit von Wissenschaftskommunikation beizutragen. Höchste Zeit dafür!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/CSU]: Kriegt dann wieder eine Grüne!)

Zurück zu den Bächen. Dank des BMBF-geförderten FLOW-Projekts wissen wir, dass Bäche hierzulande leider durch Pflanzenschutzmittel massiv belastet sind. Über 900 Bürgerinnen und Bürger haben sich beteiligt, Daten über Bäche vor Ort gesammelt und dabei einen Umweltskandal aufgedeckt. Danke dafür!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])

Neben neuem Wissen über Bäche wurde Wissenschaft damit auch erlebbar. Citizen-Science-Projekte, Reallabore und Experimentierräume – wie zum Beispiel InnovationCity in Bottrop – schlagen Brücken. Deswegen wollen wir, dass partizipative Formate weiterentwickelt werden. Denn sie sind Fundgrube für die Wissenschaft und für die Gesellschaft.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])

Wissenschaft und Gesellschaft profitieren beide von dieser Perspektivenvielfalt. Denn wer über den ökologischen Zustand von Gewässern mitforscht, lernt eine ganze Menge über Natur, Umwelt und Landwirtschaft. Wenn Wissen gemeinsam geschaffen wird, entstehen Verbindungen. Teilnehmende erfahren Selbstwirksamkeit. Mitmachen und Kontakte schaffen Vertrauen. Wenn Sie die „Stiftung Kinder forschen“ besichtigen, sehen Sie, wie begeistert Kinder und Jugendliche tüfteln; auch das ist ein großartiges Format von Wissenschaftskommunikation.

All das dient unserer Demokratie und auch faktenbasierten Entscheidungen in der Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Lassen Sie uns uns deshalb weiter anstrengen, auch jene besser durch Wissenschaftskommunikation zu erreichen, die eher wenige Berührungspunkte zur Wissenschaft haben. Wie erreichen wir in unserer sehr vielfältigen Diversity-Gesellschaft andere Communitys? Damit sollten wir uns alle miteinander beschäftigen.

Und hier kommt Journalismus ins Spiel. FLOW wird seit Kurzem im Rahmen der ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse weitergeführt. Bei der Vermittlung von Wissenschaft spielt der Journalismus eine bedeutsame Rolle; denn er erschließt weitere Zielgruppen. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft lebt von einem guten, einem unabhängigen Wissenschaftsjournalismus, der aus der Forschungswelt berichtet, Ergebnisse einordnet und gesellschaftliche Debatten sortiert.

Damit Wissenschaftsjournalismus trotz zahlreicher Umbrüche in der Medienlandschaft besteht, setzen wir uns für eine Stiftung ein, die Wissenschaftsjournalismus fördert – unabhängig und staatsfern. Ideen für eine solche Stiftung liegen vor. Mit einem bundesweiten Kapitalstock in Höhe von einzelnen Millionen Euro könnte eine Verbrauchsstiftung Innovationen im Wissenschaftsjournalismus ordentlich vorantreiben und auch privates Kapital dazu akquirieren. Bewährte Stiftungsmodelle zeigen, dass es geht. Also lassen Sie uns das jetzt aufgleisen!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Wochen haben wir viel über die Angriffe gegenüber Politikerinnen und Politikern diskutiert. Auch Forschende erleben tagtäglich Angriffe, erschreckend viele. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, die vor einem Monat veröffentlicht wurde, haben 45 Prozent aller Forschenden bereits persönliche Angriffe aufgrund ihrer Forschungsarbeit erlebt – nicht verwunderlich infolge der wissenschaftsfeindlichen Hetze der AfD gegen Virologen, Klima- und Queer-Forschende. Hören Sie damit auf; denn es gehört sich nicht!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])

Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Forschende aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Darum ist es gut, dass bottom-up aus der Wissenschaft heraus Scicomm-Support als Anlaufstelle für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entstanden ist.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Der nächste Schritt sollte eine nationale Kontaktstelle sein, die berät und schützt – auch, wenn die AfD sie mal wieder beleidigt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler benötigen unsere Rückendeckung für Freiheit in Verantwortung. Mehr Dialog zwischen Forscherinnen und Forschern mit Bürgerinnen und Bürgern ist vertrauensbildend.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vertrauen in Wissenschaft ist ein hohes Gut.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Nicole Höchst [AfD]: Zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie tun, liegen Welten! Welten!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion ist Norbert Maria Altenkamp der nächste Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU)