Rede von Lamya Kaddor Terrorismusbekämpfung

Lamya Kaddor
22.06.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestags! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist gut und wichtig, dass die CDU/CSU heute dieses wichtige Thema des Terrorismus auf die Tagesordnung des Plenums gehoben hat; denn ich denke, ich kann behaupten, dass sich alle demokratischen Fraktionen hier einig sind: Die innere Sicherheit Deutschlands und auch Europas wird durch Extremismus und Terrorismus bedroht. Das Ziel einer effektiven Terrorismusbekämpfung eint uns alle.

Ihr Antrag trägt den Titel „Terroranschläge verhindern – Zum Schutz unserer Bevölkerung entschieden gegen potenzielle Terroristen vorgehen“. Man könnte ja meinen, in dem Antrag würde es selbstverständlich um jede mögliche Form von Terrorismus gehen. Aber nein, Sie picken sich den Islamismus heraus und suggerieren damit, gegen diesen Terrorismus würde zu wenig und gegen alle anderen Terrorismusformen genügend getan. Aber es ist doch eher das Gegenteil der Fall. Der Rechtsextremismus und ‑terrorismus stellt derzeit die größte Gefahr für unser Land dar.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir in diesem Jahr bereits zwei islamistische Anschläge dank der hervorragenden Arbeit unserer Sicherheitsbehörden verhindern konnten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sie betreiben also wissentlich Augenwischerei, meine Damen und Herren.

Aber gut, Sie wollen über Islamismus sprechen; dann tue ich das nun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die letzten Jahre, die Anschläge in Paris, Brüssel, Dresden, Nizza, Wien und die beiden jetzt vereitelten Anschläge von Castrop-Rauxel und Hamburg in Deutschland zeigen ja: Nach wie vor steht Deutschland im Fokus dschihadistischer Gruppierungen wie des „Islamischen Staats“ und seiner Ableger, aber eben auch von Al-Qaida. Genau davor warnte ja auch der Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vorgestern bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022. Allerdings verweist der Verfassungsschutzbericht für das letzte Jahr, der vorgestern vorgestellt worden ist, auf den deutlichen Anstieg der Zahl der Mitglieder und der Gewaltbereitschaft im Rechtsextremismus und in der Reichsbürgerszene.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn die CDU/CSU aber in ihrem Antrag behauptet, das Bundesinnenministerium habe in der laufenden Wahlperiode keine nennenswerten Maßnahmen zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ergriffen, sondern durch die Einstellung der Tätigkeit des Expertenkreises Politischer Islamismus sogar Gegenteiliges bewirkt, hat sie, glaube ich, etwas nicht ganz verstanden.

Nicht zuletzt hier ist es auch wichtig, zu erwähnen

(Zuruf des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU])

– hören Sie doch erst mal zu! –: Der Expertenkreis wurde von Horst Seehofer eingesetzt und war von Anfang an auf ein einziges Jahr angelegt. Die Ergebnisse liegen vor, und nun muss es darum gehen, diese Handlungsempfehlungen in die Praxis umzusetzen.

Generell haben wir auch kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Statt also in weitere Expertenkreise und Runden zum Islamismus sollten wir das Geld endlich in die Prävention, die Deradikalisierung, wie es die CDU/CSU ja selber in ihrem Antrag fordert, und in Projekte investieren, die sich mit diesen Phänomenen auseinandersetzen. Und ja, wir müssen unsere Sicherheitsbehörden mit entsprechenden Maßnahmen und Befugnissen ausstatten, um entschieden gegen diesen Terrorismus vorzugehen. Aber warum sollten wir dafür auf die hochumstrittene Quellen-Telekommunikationsüberwachung zurückgreifen? Gegen die Quellen-TKÜ gibt es ja mehrere Verfassungsbeschwerden, und die Rechtsunsicherheit ist so groß, dass auch den Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden damit kein Gefallen getan wird.

Das Gleiche gilt übrigens auch für die Speicherung von IP-Adressen. Warum fordert der Antrag der CDU/CSU, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Speicherung von IP-Adressen umsetzt? Wir wissen doch seit dem Untersuchungsausschuss zum Fall Amri, dass das Problem nicht fehlende Daten waren, sondern der Umgang mit diesen Daten.

(Manuel Höferlin [FDP]: Genau! – Christoph de Vries [CDU/CSU]: Vor allen Dingen Berlin war das Problem!)

Weiter wird der vom Europäischen Gerichtshof eingeräumte gesetzgeberische Spielraum erwähnt. Aber wir greifen nicht in verfassungsrechtlich verbriefte individuelle Rechte ein. Mit dem Quick-Freeze-Verfahren liegt uns eine sehr gute Alternative zur Vorratsdatenspeicherung vor,

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Nein! Das hat das BKA gestern erst erklärt!)

die konform mit dem EU-Recht ist, die nicht darauf setzt, alle Bürgerinnen und alle Bürger zu überwachen, und die trotzdem effektiv für Zwecke der Straf- und Terrorismusverfolgung eingesetzt werden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie der Abg. Dunja Kreiser [SPD])

Daher werden wir in der Koalition auch weiterhin europarechtskonform agieren und nicht, wie Sie es hier fordern, jenseits dieser gerichtlichen Entscheidung.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Eineinhalb Jahre nichts!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, es gibt aber auch – jetzt können Sie ja wieder zuhören – gute und wichtige Punkte in Ihrem Antrag. Gefängnisse sind ein potenzieller Ort der Radikalisierung. Ja, wir wissen, dass sich Extremisten in Gefängnissen immer weiter radikalisieren. Wir brauchen dringend bessere Präventions- und auch Deradikalisierungsarbeit. Es sind mehr geschulte Psychologinnen und Psychologen vonnöten, die hier genau hinschauen und das weitere Gefährdungspotenzial einschätzen. Mitarbeitende an den Justizvollzugsanstalten müssen entsprechend sensibilisiert und auch geschult werden. Aber wir müssen auch mehr in die Gefängnisseelsorge investieren, weil auch diese dazu beitragen kann, Menschen zu deradikalisieren.

Was aber nicht vonnöten ist, ist die von Ihnen im Antrag geforderte pauschale nachträgliche Sicherheitsverwahrung. Wenn jemand in Deutschland seine oder auch ihre Strafe abgesessen hat und eine Psychiaterin oder ein Psychologe kein Gefährdungsrisiko mehr feststellt, dann können wir doch diese Personen nicht einfach pauschal in Sicherheitsverwahrung nehmen und damit ein rechtskräftiges Urteil einfach so aufweichen, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dies kann man doch nur machen, wenn es eine Gefährdung gibt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie hatten lange genug Zeit, in diesem Land für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Auch unter Ihrer Bundesregierung war der Austausch mit ausländischen befreundeten Nachrichtendiensten rege, wenn ich mich recht erinnere.

Es geht Ihnen also um Abschiebung, härtere Strafen, mehr Durchgriffsrecht; das hatten Sie ja geschrieben. Aber Sie verschweigen bewusst, dass weltweit die meisten Opfer von Islamistinnen und Islamisten Musliminnen und Muslime sind; und die gehört es übrigens auch zu schützen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Throm [CDU/CSU]: Absolut! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum schreiben Sie es dann nicht? Erwähnen Sie es doch mal! – Gegenruf des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU]: Schreiben Sie überhaupt mal irgendwas auf!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Martina Renner.

(Beifall bei der LINKEN)