Rede von Awet Tesfaiesus Strafrecht

Awet Tesfaiesus MdB
04.07.2024

Awet Tesfaiesus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Menschen, die sich in Situationen besonderer Schwäche befinden, ist ein individuelles, aber auch ein strukturelles Problem. Der Schutz von strukturell und konkret unterlegenen Personen muss unser aller Ziel sein.

Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung sind in vielen Fällen auf die Schutzgarantien des Staates angewiesen; denn wer reich, mächtig und stark ist, braucht den Staat nicht und ruft gar nach weniger Staat. Menschen ohne solche Ressourcen können nur auf die Gesellschaft zählen, um vor Gewalt geschützt zu werden und nach überlebten Gewalterfahrungen den Weg zurück ins Leben wiederzufinden. Einige Änderungen bei den strafbaren Nachstellungen und dem Gewaltschutzgesetz, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, sind durchaus interessant. Aber es wurde schon mehrfach gesagt: Eigentlich geht das am wahren Problem vorbei.

Wir wissen: Die meisten Fälle von Gewalterlebnissen passieren im besonderen Näheverhältnis, nicht – wie es hier auch teilweise angedeutet wird – im dunklen Park durch Überfälle von Migranten, sondern in der Familie, im Freundeskreis. Und dann ist doch die Frage: Was braucht es, um dem entgegenzutreten? Zum Glück ist echte Rechtspolitik nicht nur Ahndung, sondern auch Prävention, auch wenn das teilweise anders gesehen wird. Es geht nicht nur darum, Straftaten zu bestrafen, sondern auch darum, dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst geschehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Leider fehlen mir diese Aspekte immer wieder in Ihrer Debatte, liebe Union, wenn Sie im affekthaften Reagieren immer nach härteren Strafen rufen.

Dafür, dass härtere Strafen Straftaten verhindern, gibt es keine gute Evidenz, sonst hätten vielleicht auch die USA mit ihrem Three-Strikes-Gesetz und der Todesstrafe heute leere Gefängniszellen. Aber das ist keinesfalls so. Sehr gute Evidenz gibt es hingegen für Prävention, für differenzierte Maßnahmen, die an den Ursachen ansetzen, für solche Maßnahmen, die zwar komplizierter sind, aber wirkungsvoller. Ja, man muss zunächst Geld investieren. Ja, es dauert vielleicht auch etwas länger, bis man die Effekte sieht, aber solche Maßnahmen zeigen – da sind sich die meisten Kriminalitätsforscher/-innen einig – mehr Wirkung, wenn es darum geht, straffälliges Verhalten zu verhindern.

Eine gute Rechtspolitik gibt sich daher nicht nur mit Sanktionen zufrieden. Sie fragt, wie sich Menschen gerade im häuslichen Umfeld vor Gewalt schützen können, wie diese Menschen ihre Rechte besser durchsetzen können und wie wir strukturelle Probleme angehen können. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, erreichen wir, indem wir die Umstände, die zu Gewalt führen, adressieren, die Hürden, die Menschen bei der Durchsetzung erleben, adressieren und auch die persönlichen Folgen, die Opfer von Gewalt erleben, adressieren. Ich würde mir wünschen, dass wir bei diesen Themen gemeinsam an einem Strang ziehen würden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Katharina Willkomm für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)