Rede von Sascha Müller Solidaritätszuschlag

Sascha Müller MdB
05.06.2024

Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male diskutieren wir hier über eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Wieder einmal grüßt das Murmeltier. Diesmal ist der Antrag in die Forderung nach einer umfassenden Steuerreform eingebettet.

Ich fange mit der umfassenden Steuerreform an. Was schlägt die antragstellende Fraktion nun vor? Eine gezielte Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen? Einen Abbau von Fehlanreizen auf dem Arbeitsmarkt und stattdessen Anreize zur gleichberechtigten Teilhabe am Erwerbsleben von Frauen und Männern? Einen Abbau von bürokratischen Regelungen? Oder am Ende gar eine Reform, die viel weniger klimaschädliche Regelungen und viel mehr Anreize in Richtung Klimaneutralität bewirken kann?

Nein, das alles findet sich in diesem Antrag nicht. Es bleibt bei dem lapidaren Hinweis, dass die Regierung entsprechende Vorschläge vorlegen soll, wie die Belastung von Arbeitnehmern – ich unterstelle mal zu Ihren Gunsten, die Arbeitnehmerinnen sind mitgemeint – und der Unternehmen gesenkt werden soll. Ja, super. Das klingt in seiner Schlichtheit zugegebenermaßen schön, aber besonders kreativ waren Sie hier wieder nicht; zumindest legen Sie hier nichts Konkretes vor.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Kreativ ist ein Fremdwort für die AfD!)

Und natürlich sparen Sie sich auch die Antwort auf die so wichtige Frage der Gegenfinanzierung. Für die ausführliche Herleitung haben Sie sich im Ansatz etwas bemüht, bleiben aber weitgehend bei einer Aufzählung der Ereignisse stehen; so ist die Conclusio mehr als dürftig. Sie präsentieren keine eigenen Ideen und überlassen alles der Bundesregierung. Vielen Dank für Ihr Vertrauen.

Aber vielleicht ist es ja volle Absicht, dass Sie hier so im Ungefähren bleiben. Denn wenn wir das Programm der AfD anschauen, dann sehen wir, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer – die Arbeitnehmerin, wieder unterstellt, ist mitgemeint – von Ihrer Steuer- und Finanzpolitik mitnichten profitiert. Laut dem ZEW Mannheim profitieren, wenn es nach der AfD geht, untere Einkommensschichten bis 40 000 Euro Jahreseinkommen gar nicht.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Die Vorschläge würden für ein Haushaltsloch von 50 Milliarden Euro sorgen, und profitieren würden höhere Einkommensgruppen, am meisten die mit einem Einkommen ab 300 000 Euro. So weit also dazu, dass es der AfD um die einfachen Arbeitnehmer gehen würde.

(Beatrix von Storch [AfD]: Und die Arbeitnehmerinnen! Seien Sie konsequent!)

Das ist gerade eben nicht der Fall.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damit sind wir beim zweiten Thema dieses Antrags, der Abschaffung des Solidaritätszuschlags, was ja der einzige konkrete Punkt in diesem Antrag ist. Nun, schauen wir wieder auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dann wissen wir alle, dass 90 Prozent von ihnen den Solidaritätszuschlag gar nicht mehr zahlen; nur noch die obersten zehn Prozent zahlen ihn. Und dass das rechtmäßig ist, hat zuletzt auch der BFH in seinem Urteil sehr deutlich gemacht.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Na, na, na! Das stimmt nicht ganz!)

Und ja, es steht ein Urteil aus Karlsruhe an. Kollege Herbrand und ich sind uns in einem Punkt einig: Wir schauen da sehr gespannt hin. Jedenfalls eines ist klar: Die Begründung des Solis, die Deckung der Kosten der deutschen Einheit, trägt – da sind wir uns vielleicht auch einig – nicht auf Dauer. Deshalb ist es richtig, dass wir uns Gedanken machen, wie es damit weitergehen kann und soll. Aus meiner Sicht ist beispielsweise eine gerne auch schrittweise Überführung in den allgemeinen Tarifverlauf sinnvoll. Das ist eine Frage, die sicherlich schon bald, spätestens in der kommenden Legislaturperiode, angegangen werden muss.

Und ja, darüber zu diskutieren und verschiedene Sichtweisen zu berücksichtigen, ist sicherlich zu begrüßen. Am Ende geht es vor allem darum, wer wie viel zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen kann und soll. Denn die Aufgaben, die vor uns stehen, werden ja nicht geringer, etwa was unsere Sicherheit betrifft; ich muss das hier nicht im Detail ausbuchstabieren.

Aber eines ist auch klar: Den Begriff „Sicherheit“ müssen wir nach dem furchtbaren Hochwasser im Süden, unter anderem in meinem Bundesland Bayern, noch einmal umfassender fassen. Alle Expertinnen und Experten sind sich einig: Starkwetterereignisse werden sich häufen. „Starkwetterereignis“, das klingt so technisch und abstrakt. Für die betroffenen Menschen bedeutet es die Zerstörung ihres Hab und Guts, die Zerstörung ihres Lebenstraumes.

An dieser Stelle auch von mir ein großer Dank an alle haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer! Ich kann mich noch gut an meine allererste Besuchergruppe aus meinem Wahlkreis erinnern, die aus Menschen bestand, die seinerzeit im Ahrtal aktiv geholfen hatten. Und ich kann mich erinnern, wie ergreifend deren Schilderungen waren. Auch jetzt sind wieder Menschen aus Nürnberg und Schwabach in den betroffenen Gebieten zum Helfen unterwegs gewesen oder helfen dort noch. Auch hierfür unser ausdrücklicher Dank!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

So oft wie sich diese Katastrophen in Zukunft wohl wiederholen werden, ist klar: Die Kosten zur Bewältigung dieser Schäden drohen uns als Gemeinwesen zu überfordern. Deshalb: Wir müssen viel mehr auf Klimaresilienz setzen. Das heißt nicht, das eine tun, das andere sein lassen. Natürlich müssen wir gleichzeitig konsequent den Weg in Richtung Klimaneutralität in Deutschland und in Europa gehen. Und wer hier bremsen will, wer den Green Deal zurückdrehen oder ausbremsen will, spielt ein extrem gefährliches Spiel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Zerschlagen wollen wir den!)

Klimaresilienz und Klimaneutralität kommen uns am Ende viel günstiger; denn nicht vorzusorgen, kommt am teuersten. Zum Nulltarif ist das aber auch nicht zu haben. Auch die Vorsorge kostet Geld. Anträge, die, wie in diesem Fall, einfach ohne jede Form einer Gegenfinanzierung die ersatzlose Streichung des Solidaritätszuschlags, also von 12 Milliarden Euro beim Bund, fordern, sind – aber das ist bei der antragstellenden Fraktion ja nichts Ungewöhnliches – aus meiner Sicht daher schlichtweg aus der Zeit gefallen. Wir haben diesen Antrag im Ausschuss abgelehnt, wir lehnen ihn auch heute ab.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthilde Wittmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich freue mich immer, wenn ich Sie sehe.