Rede von Britta Haßelmann Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage

Foto von Britta Haßelmann MdB
06.06.2024

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! 84 Millionen Menschen, davon 20 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte, leben in diesem Land. Sie sind stolz darauf – jeder und jede –, was sie tun, was sie mit ihren Familien unternehmen, wie sie arbeiten, wie sie ihr Leben gestalten. Sie leben in Freiheit, in Sicherheit und in Selbstbestimmung in unserem Rechtsstaat, in unserer Demokratie. Das Grundgesetz, das vor einigen Tagen seinen 75. Geburtstag gefeiert hat, ist für uns alle die Grundlage. Ich finde, wir alle können sehr stolz darauf sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dazu gehört das Leben in Vielfalt. Egal ob jemand eine Religion hat oder ob jemand nicht glaubt, egal woher er oder sie kommt, egal in welcher Familienform er oder sie lebt – die Vielfalt macht unser Land aus. Unser Grundgesetz gibt die Grundlage für dieses Zusammenleben. Ich rate allen, sich jeden Tag darauf zu beziehen; denn es ist ein Geschenk, dass wir so leben können, in dieser Vielfalt. Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, wir reden heute zu Recht über die Frage von Sicherheit, der inneren Sicherheit, der äußeren Sicherheit. Ja, wir sind im Vorfeld eines sportlichen Großereignisses, der EM. Ich glaube, viele von uns freuen sich riesig darauf, die Daumen sind gedrückt. Genau das, was ich gerade angesprochen habe, macht auch unsere Nationalmannschaft aus: die Vielfalt dieses Landes. Gucken Sie sich diese Mannschaft an! Ich finde, wir können stolz darauf sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Die innere Sicherheit ist in diesen Tagen wahrscheinlich gefährdeter denn je – durch Angriffe von Feinden der Demokratie.

(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Zu diesen Feinden der Demokratie gehören Rechtsextremisten, gehört der Rechtsextremismus, der Rechtsterrorismus und der gewaltbereite Islamismus.

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Was ist mit dem Linksextremismus?)

Zu dieser inneren Sicherheit gehört auch die Frage:

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Sehr einseitig hier!)

Wie sind wir auf die Katastrophen vorbereitet, die die Verschärfung der Klimakrise mit sich bringt?

(Lachen bei der AfD)

Und deshalb ist es wichtig, dass wir auch darüber sprechen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das, was in Mannheim passiert ist – ein mutmaßlich islamistisch motivierter Anschlag –, ist zutiefst verabscheuungswürdig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Mutmaßlich! Mutmaßlich, ja! – Beatrix von Storch [AfD]: Mutmaßlich! Nichts Genaues weiß man nicht!)

Der Tod des jungen Polizisten Rouven L. entsetzt uns alle und erschüttert bis ins Mark, seine Familie, seine Freunde, seine Angehörigen. Er hat gehandelt, um den Rechtsstaat, die Freiheit von uns allen, der Menschen, die in Mannheim auf dem Platz waren, zu verteidigen, und ist auf brutale Weise ermordet worden. Das ist bestürzend. Er ist im Dienst getötet worden, weil er die Grundsätze unserer Demokratie und Freiheit verteidigte. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen, den Freunden, den Kolleginnen und Kollegen. Ich weiß, wie viele Polizistinnen und Polizisten jeden Tag im Einsatz für das Gemeinwesen, für unsere Demokratie, für unsere Freiheit sind und Gesundheit und Leben riskieren. Und dafür verdienen sie unseren tiefen Respekt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Ingrid Pahlmann [CDU/CSU])

Allen Verletzten dieses Anschlags wünsche ich schnelle Genesung. Ich bin froh, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hat; denn es wird wichtig sein, die Frage der Tatmotive, die Frage von Vernetzungsstrukturen, die Frage: „Gibt es Hintermänner, wie sind die Bezüge gewesen?“, schnellstmöglich aufzuarbeiten, damit der Rechtsstaat mit aller Härte reagieren kann.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Islamismus ist Feind unserer Demokratie. Er muss entschieden bekämpft werden.

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Wieso holt ihr dann immer noch mehr rein?

Es gilt, unsere Demokratie zu schützen gegen die, die sie angreifen, die ihre Werte verhöhnen. Dazu gehört, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen, selbstverständlich unsere verfassungsgemäße Ordnung und die Gesetze respektieren müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Und wenn sie das nicht tun, was dann?)

Menschen, die schwere Straftaten begehen, müssen nach Verbüßung der Strafe abgeschoben werden.

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Ach nein!)

Das ist klar und eindeutig. Ich denke, das gilt für alle demokratischen Fraktionen im Haus. Das macht unseren Rechtsstaat aus, und das ist Grundlage unseres Handelns.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist klar, meine Damen und Herren: Wir haben in den letzten Monaten eine Reihe von Gesetzen und geltenden Regelungen verschärft. Mit dem Rückführgesetz sind die Regeln klar verschärft worden,

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Ihr macht doch gar nichts! Das ist doch alles Geschwätz!)

auch die Bedingungen im Hinblick auf Abschiebung, Abschiebegewahrsam und viele andere Fragen. Ich erwarte jetzt von den Ländern, dass das umgesetzt wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Von den Ländern!)

Es ist Aufgabe des Innenministeriums, meine Damen und Herren, für alle Herkunftsländer kontinuierlich zu überprüfen, ob die bestehende Sicherheitslage die Durchführung von Abschiebungen zulässt. Dabei müssen zentrale rechtsstaatliche Fragen oder Sicherheitsfragen geklärt sein. Das Bundesinnenministerium – auch der Bundeskanzler hat es gerade angesprochen – hat nun angekündigt, dies für Afghanistan prüfen zu wollen.

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Nicht prüfen, machen!)

Das Bundesinnenministerium und auch die Länderinnenministerien werden darlegen müssen, wie das gehen soll. Wie soll man das machen mit einem Terrorregime,

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Transall und ab!)

das in Afghanistan herrscht und zu dem wir keinerlei Beziehungen haben, meine Damen und Herren?

(Zurufe von der AfD)

Deshalb ist die Frage, wie man mit diesem terroristischen System in Afghanistan eine solche Frage besprechen will. Auch wird zu klären und zu prüfen sein, für welches Drittland es attraktiv sein soll,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was ist denn mit Rückführung nach Afghanistan?)

Terroristen oder schwere Straftäter aufzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin gespannt,

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Wahnsinn!)

welche Antworten wir darauf finden.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was ist mit Rückführung nach Afghanistan?)

Aber klar ist, glaube ich, jedem im Haus, dass es keine einfachen Antworten gibt.

(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Man muss es wollen!)

Auf diese Antworten können wir zu dieser Stunde nicht einfach nur warten, sondern wir müssen unsere Sicherheitsbehörden stärken. Wir müssen klarmachen, dass wir auch handlungsfähig sind, während diese Fragen geprüft werden: im Hinblick auf die Prävention, im Hinblick auf die Deradikalisierung, im Hinblick auf die Frage: „Was ist mit dem Verbot des Islamzentrums in Hamburg, meine Damen und Herren?“,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und auch im Hinblick auf die Frage der Nachschärfung des Waffenrechtes. Hier gibt es jede Menge Vorbehalte im Haus. Aber wir wissen doch, dass Waffen nicht in die Hände von Verfassungsfeinden gehören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Und deshalb muss es jetzt endlich auch eine Verschärfung des Waffenrechtes geben. Das sind ganz konkrete realpolitische Dinge, die jetzt anstehen und die gemacht werden müssen, meine Damen und Herren.

Wenn wir über Sicherheit reden, reden wir aber auch über die Menschen, die sich in diesen Tagen nicht in Sicherheit fühlen wegen der Klimakatastrophe und der Folgen durch das Hochwasser, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe mich gefragt, Herr Merz, warum Sie angesichts der sechs Toten, angesichts des unendlichen Leids der Menschen in Bayern, in Baden-Württemberg, jedes einzelnen persönlichen Schicksals einer Familie, die gerade alles verloren hat, weil ihnen alles weggeschwemmt ist, ihre Existenzgrundlage weg ist,

(Zurufe von der AfD)

kein einziges Wort dazu bei dieser Aussprache hier im Deutschen Bundestag finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich habe mich gefragt, ob es daran liegt, Herr Merz, dass Sie sich noch vor Kurzem haben zitieren lassen mit den Worten: Die Politik nimmt den Klimaschutz zu ernst. Die Welt wird wohl nicht untergehen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt?)

Jetzt sind wir in einer so dramatischen Situation.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Hat denn der Bundeskanzler was dazu gesagt?)

Meine Damen und Herren, wir müssen wirksam vor Hochwasser und Wetterextremen schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das hat nicht nur die Ahrtal-Katastrophe, das hat nicht nur die Eifel, das hat Niedersachsen, das hat das Saarland, das haben jetzt Bayern und Baden-Württemberg gezeigt. Hochwasserschutz heißt nicht nur, darüber zu reden, sondern auch, zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Kanzler hat gerade das Klimaanpassungsgesetz, die Fragen der Klimaanpassung, die besseren Warnstufen angesprochen, die wir verankert haben. Aber wir brauchen viel mehr. Die Klimakrise muss konsequent bekämpft werden, und dazu braucht es Finanzmittel, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden den Menschen in Not dort helfen müssen. Wir können ihnen das nicht nur in Aussicht stellen. Das hat ganz konkret etwas mit unseren Lebensgrundlagen zu tun; denn wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Das ist kein hohler Spruch. Das ist Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Zuletzt will ich sagen: Ich bin froh – endlich –, dass wir auch im Hinblick auf die Ukraine das Signal gesetzt haben: Die Ukraine hat das Recht, sich selbst zu verteidigen. Das heißt auch, sich mit den Waffen, die sie bekommt, verteidigen zu können. Sie hat dieses Recht. Das ist völkerrechtlich verbrieft, und es ist gut und wichtig, dass diese Entscheidung auch mit den europäischen Partnern und Amerika so beschlossen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächste hat das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel.

(Beifall bei der AfD)