Karl Bär MdB
22.09.2022

Karl Bär (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Entschuldigung, dass ich so stürmisch war, Frau Präsidentin. Guten Abend!

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Gar kein Problem, also wirklich! Stürmisch im Parlament, das kann man jederzeit sein, auch abends.

(Stephan Thomae [FDP]: Passt ja auch!)

Karl Bär (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der beste Grund, diesen Antrag der Union abzulehnen, steht im Antrag selbst: Sie fordern die Bundesregierung auf, die Ernährungssicherung zu priorisieren. Das wird diese Regierung tun.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Extensivieren? Oder was?)

Unser Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat immer wieder gesagt, dass es nicht sinnvoll ist, die Krisen gegeneinander auszuspielen.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Sie wissen: Das ist eine Phrase!)

Die größten Bedrohungen für die Ernährungssicherung sind die Klimakrise und die Zerstörung der Biodiversität.

(Stephan Brandner [AfD]: Und die Regierung! Sie haben die Regierung vergessen!)

Das ignorieren Sie absichtlich; sonst könnten Sie nicht in ein und demselben Antrag die Ernährungssicherheit und einen lockereren Umgang mit Ackergiften zusammenbringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Niemand spricht von lockerem Umgang mit Ackergiften! Gezielter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln!)

Ich erkläre Ihnen jetzt einmal, wie das Zulassungsverfahren der EU in der Praxis aussieht, und zwar am Beispiel von Imidacloprid; das ist der Stoff, der gemeint war, als Julia Klöckner gesagt hat: „… was der Biene schadet, muss vom Markt.“ Es war ja nicht alles schlecht.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie etwas Gutes gesagt!)

Wenn man genauer hinschaut, hat die damalige Ministerin Klöckner drei Gründe genannt, warum sie 2018 noch etwas zögernd dann doch einem Quasiverbot des Gifts außerhalb von Gewächshäusern zugestimmt hat: Erstens. Das Zeug ist sehr giftig für Honigbienen und andere Bestäuber. Zweitens. Es verbreitet sich von der Wurzel bis in die Blüten in der ganzen Pflanze. Und drittens. Es reichert sich im Boden an, wir finden es noch Jahre später in den Pflanzen.

Spannend ist jetzt, seit wann wir das alles wissen. Dass 3,5 Nanogramm Imidacloprid für eine Honigbiene reichen, steht in den Zulassungsunterlagen der EU. Wie es sich im Boden verhält, hat die Firma Bayer selbst in den 1990er-Jahren erforscht. Dass sich das Gift in allen Pflanzenteilen verbreitet, ist ein absoluter Vorteil für die Landwirtschaft und wurde von Herstellerfirmen so beworben.

Seit den 90er-Jahren wird Imidacloprid industriell hergestellt. Es gab seit 1992 Proteste von Imkern und Imkerinnen dagegen. Das Mittel wurde zugelassen, als wir schon all das wussten, was 26 Jahre später der Grund für das Verbot war. Dieses Zulassungsverfahren ist nicht zu streng, es ist zu unvorsichtig. Wir müssen endlich heraus aus dem Pestizidkarussell,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

wo ein Wirkstoff einsteigt, ein paar Runden dreht, dann wieder rausfliegt, und dafür der nächste einsteigt. Wir müssen stattdessen das Vorsorgeprinzip stärken.

Damit komme ich zum Kern Ihres Antrags. Sie wollen die geplante EU-Verordnung, die die Mitgliedstaaten verpflichten soll, den Pestizideinsatz zu halbieren, entkernen. Sie greifen hier die beiden zentralen Punkte dieser Verordnung an.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Wissen Sie, was Ihr Minister gestern hier gesagt hat? – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er war ja dabei!)

– Ich weiß, was er gestern gesagt hat. Ich war mit dabei, ich habe Fragen gestellt. Ich komme später noch dazu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie greifen die beiden wirksamsten Maßnahmen an, die die Kommission vorschlägt, nämlich das Verbot des Einsatzes in Schutzgebieten und die Reduktionsziele, die für alle Mitgliedstaaten verpflichtend sind.

An dieser Stelle ist Ihr Antrag übrigens ziemlich widersprüchlich. Mit Punkt 6 möchten Sie sicherstellen, „dass die nationalen Reduktionsziele zu einem … einheitlichen Ergebnis führen und jeder Mitgliedstaat den gleichen Wert … erreicht“. Unter Punkt 7 möchten Sie, „dass die Reduktionsziele auf EU-Ebene und nicht auf Ebene der Mitgliedstaaten verfolgt werden“. Laut Punkt 8 sollen die „Unterschiede der landwirtschaftlichen Produktion in den Mitgliedstaaten angemessen berücksichtigt werden“.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also was jetzt?)

Das ist ein bisschen durcheinander.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich vermute, dass Sie mit diesem Durcheinander verschleiern wollen, dass es Ihnen am liebsten wäre, wenn gar nichts passiert; dann könnten Bayer und Co weiter Profite machen. Die Umwelt ist Ihnen sowieso egal.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihnen sind die Landwirte offensichtlich egal!)

So kennen wir die Politik der CDU/CSU: große Ziele setzen, doch am Ende passiert nichts.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt mal ohne Propaganda!)

Das ist eine Politik, die uns auf Dauer in eine Katastrophe führt, sehenden Auges, von einer Krise in die nächste.

(Zoe Mayer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)

Ich sage es noch einmal sehr deutlich: Von den Ackergiften wegzukommen, ist ein notwendiger Schritt für den Erhalt der Ökosysteme, die uns ernähren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das heißt „Pflanzenschutzmittel“!)

– Ich nenne das „Ackergift“. So etwas wie Glyphosat, das eine jede Pflanze tötet, nennen Sie „Pflanzenschutzmittel“? Das ist ja wohl ein Euphemismus.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Setzen Sie sich mal wissenschaftlich mit dem Wirtschaften auseinander!)

Wir sind jetzt mit dem Verordnungsvorschlag am Anfang dieser Debatte; wir werden bestimmt noch öfter darüber diskutieren. Ich hoffe, dass die Verordnung uns am Ende einen großen Schritt weiterbringt hin zu einer Landwirtschaft, die ganz ohne chemisch-synthetische Pestizide auskommt.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ina Latendorf hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)