Rede von Helge Limburg Minderjährige und Auslandsehen

Helge Limburg MdB
07.06.2024

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Gesetzentwurf zum Umgang mit im Ausland geschlossenen Ehen mit Minderjährigen bzw. bei denen mindestens einer der Ehepartner minderjährig ist, setzt – das ist gesagt worden – einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts um. Damit setzt sich – und man muss sagen: leider – fort, was wir seit Beginn der Legislatur allzu oft im Bundestag erleben müssen: Die sachliche, abgewogene Rechtspolitik dieser Koalition ist leider zu einem bedeutenden Teil eben auch notwendige Reparatur der undurchdachten, populistischen Rechtspolitik der vergangenen Großen Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben es bei der Wiederaufnahme im Strafverfahren gesehen: Die war verfassungswidrig.

Wir haben es gesehen bei Ihren Gesetzesverschärfungen zum härteren Umgang wegen des Besitzes von Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder: Die waren so praxisfern und entgegen der Warnung aller Expertinnen und Experten so weit gefasst, dass es erheblicher Nachbesserungen bedurfte, weil Fälle vor Gericht gekommen sind, die dort nie hätten landen sollen, und weil ein praktikabler Umgang damit für viele Staatsanwaltschaften nicht mehr möglich war.

Und wir sehen es jetzt beim Gesetz zur Bekämpfung von Ehen mit Minderjährigen, was diese für unwirksam erklären sollte. Es ging Ihnen damals, als Sie das Gesetz verabschiedet haben, auch ausweislich Ihrer eigenen Äußerungen, vor allem darum, die politische Ächtung der Minderjährigenehe ganz deutlich zu machen. Um es klar zu sagen: Diese Ächtung ist ausdrücklich richtig. Es ist angesprochen worden: Gerade wenn es ein erhebliches Machtgefälle gibt, also wenn ein Ehepartner volljährig ist, können Ehen mit Minderjährigen, in diesem Fall mit jungen Mädchen, Zukunftsaussichten zerstören. Es drohen mangelnde Bildungsabschlüsse, frühzeitige Schwangerschaften und viele weitere Probleme.

Insofern ist es ausdrücklich richtig: Die Ehe mit Minderjährigen kann natürlich nicht akzeptiert und hingenommen werden. Aber Sie haben die Unwirksamkeitsregelung eingeführt und dabei die Betroffenen völlig aus dem Blick gelassen. Die Große Koalition hat ein Gesetz völlig ohne Unterhaltsregelungen, ohne abstammungsrechtliche Regelungen für eventuelle bereits in die Ehe hinein geborene Kinder, ohne erbrechtliche Regelungen und Ähnliches verabschiedet und damit de facto die betroffenen Minderjährigen, die Sie ja schützen wollten, Frau Hierl – Sie haben es ja gerade noch mal gesagt –, de facto schutzlos gestellt. Es war, ehrlich gesagt, absehbar, dass Karlsruhe das mit dem Stempel „verfassungswidrig“ versehen würde. Sie haben sich diesen Stempel erneut hart erarbeitet.

Nun haben wir dieses Reparaturgesetz. Über die Grundsatzfrage, ob nicht die Aufhebungslösung doch die bessere wäre, haben wir in der Tat lange diskutiert. Aber wir setzen jetzt die Vorgaben aus Karlsruhe um, und das ist im Sinne der Betroffenen auch absolut richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mir ist an der Stelle wichtig, noch mal klarzustellen: Auch nach der alten Aufhebungslösung war natürlich der absolute Regelfall, dass Ehen von Minderjährigen, die im Ausland geschlossen worden sind, hier nicht anerkannt worden sind. Man sollte hier nicht den falschen Eindruck erwecken, wir hätten vorher einen Rechtsdreher gehabt, der dazu führte, dass es hier massenhaft Minderjährigenehen gab. Aber wir hatten den großen Vorteil, dass im Einzelfall ein Gericht nicht nur über die Unwirksamkeit der Ehe entschieden hat, sondern auch über die daraus resultierenden Folgen in all den Rechtsbereichen, die ich gerade angesprochen habe: Erbrecht, Abstammungsrecht, Unterhaltsrecht usw. Diese Einzelfallentscheidung fehlt jetzt. Deswegen müssen wir im Ergebnis alles detailliert im Gesetz regeln. Und – auch das ist klar – das wird, so ehrlich sollte man an der Stelle sein, zu mehr Beratungs- und gegebenenfalls auch Klagearbeit für unsere Jugendämter führen.

Das vorliegende Gesetz – ein Kompromiss, das ist angesprochen worden – kann funktionieren, aber dafür müssen alle beteiligten Ämter in den kommunalen Behörden – ich setze auf deren gute Arbeit, die Jugendämter sind angesprochen worden, aber auch die Standesämter – optimal zusammenarbeiten. Sie hören bereits, wie voraussetzungsvoll das ist.

Wegen der Bedenken und Sorgen, die ich angesprochen habe und die nicht nur meine sind, hat die große Mehrzahl der Expertinnen und Experten, die wir angehört haben, tatsächlich eher nahegelegt, noch mal darüber nachzudenken, zu der alten Aufhebungslösung mit einer Einzelfallentscheidung vor allem mit Blick auf die Rechtsfolgen für die Betroffenen zurückzukehren. Es muss jedenfalls um Möglichkeiten der Stärkung der Schutzrechte der betroffenen Minderjährigen gehen. Wir haben uns deshalb auf eine umfassende Evaluierungsklausel verständigt. Das ist auch richtig. Mit der Frage, wie wir in Deutschland beides machen können – Minderjährigenehen ächten, aber gleichzeitig die Betroffenen ausreichend schützen –, wird sich der Deutsche Bundestag in ein paar Jahren noch mal umfassend befassen müssen. Und das ist auch richtig so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Axel Müller [CDU/CSU]: Können wir jetzt schon machen!)

– Herr Kollege Müller, Sie reden ja gleich noch mal. Ich habe Ihnen gestern Abend in der Debatte zum Völkerstrafgesetzbuch sehr genau zugehört. Sie haben, wie ich finde, völlig zu Recht angemahnt, dass, wenn wir hier im Deutschen Bundestag umfangreiche Anhörungen durchführen – das machen wir ja regelmäßig bei Gesetzesberatungen –, es doch auch richtig und wichtig ist, dass wir den Inhalt der Anhörungen berücksichtigen.

(Axel Müller [CDU/CSU]: Genau!)

Die Kritik, dass das zu oft nicht passiert, trifft sicherlich in Teilen auf diese Koalition zu; sie trifft aber auch auf die frühere Große Koalition zu.

(Axel Müller [CDU/CSU]: Richtig!)

Das sieht man selten so deutlich wie bei diesem Gesetz, weil all die Kritikpunkte, die ich jetzt genannt habe, nicht neu sind, keine neue Erkenntnis sind, sondern schon damals an vielen Stellen genannt worden und auch jetzt in der Anhörung wiederholt worden sind. Ich finde Ihren Appell an den gesamten Deutschen Bundestag richtig. Aber das heißt auch, dass wir die Evaluierung, die hier vorgeschrieben ist, für einen ehrlichen neuen Blick nutzen und dieser Debatte nicht aus dem Weg gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Abschließend bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, weil er den absolut haltlosen Zustand, den wir von der Großen Koalition geerbt haben, beendet, dass Minderjährige in einer von vornherein unwirksamen Ehe völlig ohne Unterhaltsrecht und andere Schutzrechte dastehen. Diesen Zustand müssen wir schnell beenden. Darum bitte ich den Bundestag um Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. – Nächster Redner ist der Kollege Axel Müller, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)