Lamya Kaddor
06.06.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Am Sonntag finden Wahlen statt. Das erkennen wir nicht nur daran, dass wir alle eine Wahlbenachrichtigung erhalten haben, sondern auch am Reflex mancher Parteien, kurz zuvor noch einmal kräftig auf den Tisch zu hauen.

Eigentlich wollten Sie, liebe Union, wie wir gerade hörten, in der gestrigen Ausschusssitzung eine Expertenanhörung zum Thema beantragen. Diesem Wunsch nach einer fundierten Auseinandersetzung mit dem legalistischen Islamismus wäre meine Fraktion sehr gerne nachgekommen; doch nun legen Sie uns mal wieder den Antrag zur Abstimmung vor. Nun denn, vielleicht beantragen wir jetzt einfach die Anhörung. Dann ist es eben so.

Der Islamismus ist eine hasserfüllte politische Ideologie, die tötet, zuletzt einen Polizisten am Freitag, wie wir gerade sehr ausführlich besprochen haben.

(Beatrix von Storch [AfD]: Jetzt sagen Sie drei Sätze und dann das große Aber!)

Möge er in Frieden ruhen. – Das haben Sie nicht mal über die Lippen bekommen. – Es geht auch ein großer Dank an seine Kolleginnen und Kollegen.

Der Islamismus ist eine ernstzunehmende Bedrohung für unser Land

(Beatrix von Storch [AfD]: Das Aber schwingt schon mit!)

und für jeden einzelnen Menschen von uns, sogar für Muslime. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Juristinnen und Juristen, Publizistinnen und Publizisten, auch Islamkritikerinnen und Islamkritiker müssen in unserem Land das Recht haben, ihre Meinung, solange sie nicht Hass beinhaltet und zu Feindlichkeit aufruft, frei und ohne Angst zu äußern.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

– Sogar Sie müssen wir ertragen, ob Sie es glauben oder nicht.

Nur allzu gut weiß ich, was es bedeutet, von Islamisten für ein anderes Islamverständnis und eine liberaltheologische Arbeit bedroht zu werden.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Viele dieser Personen müssen unter Polizeischutz leben, weil Demokratiefeinde wie beispielsweise Islamisten ihnen nach dem Leben trachten.

(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

– Wenn Sie noch einmal sagen, ich hätte Erfahrung mit der Lohberger Brigade! Ich bitte, das hier ernst zu nehmen. Schon wieder der Bezug auf die Radikalisierung meiner ehemaligen Schüler! Lassen Sie das!

(Zuruf von der AfD)

Lassen Sie das!

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Ich schaue mir das Protokoll dann noch mal an.

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Da bitte ich drum.

(Zuruf von der AfD)

Wir als Fraktion setzen uns seit Langem gegen jedwede Form von Extremismus ein, anders als Sie immer behaupten. Allerdings tun wir das sachorientiert – darum geht es – und nicht infolge populistischer Reflexe.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Komplexe Phänomene erfordern differenzierte Lösungsansätze, keine Plattitüden. Auch können Anträge, die ein schwieriges Verhältnis zu Musliminnen und Muslimen im Allgemeinen offenbaren, nicht zum Ziel führen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Helge Lindh [SPD] – Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

Dies habe ich Ihnen bereits bei der letzten Erörterung erläutert, offensichtlich ohne Erfolg. Der hiesige Kampf gegen Islamismus kann nur mit deutschen Musliminnen und Muslimen gewonnen werden, nicht gegen sie.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man kann sie nicht immer verprellen.

Erst gestern warnte der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum vor einer „Anti-Islam-Hysterie“. Kriegen Sie eigentlich mit, was in diesem Land los ist? Kriegen Sie mit, was Menschen, die sich einfach nur zum Islam bekennen, aushalten müssen? Nein, das kriegen Sie natürlich nicht mit, und das ist ebenfalls ein Problem. Die permanente Anfeindung, der man als Muslim und Muslimin ausgesetzt ist, sie ermüdet, sie erschöpft.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Sie kann bei Menschen dazu führen, dass man sich von unserem Gemeinwesen abwendet, egal ob richtig oder falsch.

(Zurufe der Abg. Marc Bernhard [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])

Es ist eine normale menschliche Regung, und ich spreche hier nicht von mir. Ich kenne seit bald 20 Jahren nichts anderes, als auf verschiedenen Ebenen dafür angefeindet und verleumdet zu werden, dass ich mich zu dieser Religion bekenne. Geschenkt!

Es geht mir um Menschen, die sich nicht von Berufs wegen mit dem Hass auseinandersetzen müssen, und das sind 99,9 Prozent der Muslime in diesem Land.

(Beatrix von Storch [AfD]: Muslime sind Opfer!)

Nehmen Sie das doch bitte einmal ernst! Hören Sie auf, permanent Wahlkampf auf dem Rücken dieser Bürger zu machen! Ohne Differenzierung wird es nicht gehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Unfassbar! Es ist unfassbar, was Sie hier machen!)

Die Komplexität des Themas zeigt sich gerade an dem Attentat von Mannheim,

(Beatrix von Storch [AfD]: Komplex?)

wahrscheinlich – sehr wahrscheinlich – islamistisch motiviert.

(Beatrix von Storch [AfD]: „Sehr wahrscheinlich“? – Weiterer Zuruf von der AfD – Gegenruf des Abg. Marcel Emmerich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seid doch mal leise da drüben!)

Viel eher radikalisierte er sich selbst durch den Konsum digitaler Inhalte.

Wie kann es so weit kommen? Was macht muslimische Jugendliche empfänglich für diese Parolen? Diese Fragen müssen wir klären. Dabei geht es nicht um Rechtfertigung. Genauso wenig wie Arbeitslosigkeit und Frustration ein einleuchtender Grund für rechtes Schlägertum sind, ist Diskriminierung eine Entschuldigung für Mord. Jede und jeder – das sage ich ganz deutlich, auch in Richtung deutscher Musliminnen und Muslime – ist selbst verantwortlich für das, was er oder sie tut, sagt, denkt und auch glaubt. Gewalt gegen Andersdenkende ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen,

(Zurufe der Abg. Karsten Hilse [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])

erst recht nicht im Namen Gottes, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So was muss auch mit aller Härte bestraft werden.

Klar ist: Wachsende islamistische Radikalisierung und antimuslimischer Rassismus bedingen leider einander ein Stück weit.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist Schwachsinn! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie gesagt? – Gegenruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]: Schwachsinn: „antimuslimischer Rassismus“!)

– Sie sind doch das beste Beispiel. – Deswegen müssen beide Phänomene gemeinsam bekämpft werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, lassen Sie uns vernünftig an einen Tisch setzen und einen gemeinsamen Antrag schreiben! Ich bin dazu sehr gern bereit, und das meine ich wirklich ernst.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Nee, nee, nee! Völlig ausgeschlossen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Lassen Sie uns einen guten Antrag schreiben! Aber wir müssen auch – das haben wir gestern im Ausschuss diskutiert – die strukturellen Fragen angehen. Jens Spahn hat einen Vorstoß gemacht; den finde ich gut. Lasst uns darüber nachdenken!

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Gottfried Curio.

(Beifall bei der AfD)