Rede von Filiz Polat Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

Foto von Filiz Polat MdB
03.07.2024

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Fechner, genau 1980 war das Jahr, in dem Deutschland durch ein Tor von Horst Hrubesch zum vorletzten Mal Fußballeuropameister geworden ist,

(Zuruf des Abg. Jochen Haug [AfD])

in dem in Deutschland der Videotext gestartet wurde und in den Charts Pink Floyd und ABBA ganz oben standen – ganz schön lange her. Genauso alt ist die heute gültige Fassung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Ja, da wird es nun Zeit für ein Update, und dieses Update legen wir, die Koalitionsfraktionen, heute vor.

Wir hoffen trotz Ihres Beitrags gerade, Herr Schnieder, dass wir die Reform im parlamentarischen Verfahren als gemeinsamen Beschluss aller demokratischen Fraktionen und Abgeordneten verabschieden können. Denn gerade in diesen Zeiten ist es notwendig, dass wir Demokratinnen und Demokraten unsere parlamentarischen Regeln gegen diejenigen verteidigen, denen es in Wahrheit darum geht, das Parlament als Showbühne zu missbrauchen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Der Bundestag ist der Ort für demokratische Kompromisse und keine Bühne zur Verächtlichmachung des Parlamentarismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der Linken)

Ich bin überzeugt: Mit diesem zweiten Teil – das ist der zweite Teil der umfassenden Geschäftsordnungsreform in dieser Wahlperiode – wird der Bundestag interessanter, zeitgemäßer und widerstandsfähiger. Sie haben es ja gesagt, Herr Schnieder: Wir haben schon einige Punkte von Ihnen aufgegriffen.

Der Deutsche Bundestag ist die Herzkammer unserer Demokratie. Den Zuschauerinnen und Zuschauern und den Bürgerinnen und Bürgern zu Hause, die uns im Livestream oder auf Phoenix folgen, schulden wir verständliche, sachliche und interessante Debatten und Streitpunkte. Aber auch Gemeinsamkeiten sollen nachvollziehbar sein. Für lebhaften Meinungsaustausch schaffen wir deshalb mehr Raum. Gerade bei brennenden Themen – Herr Fechner hat es angesprochen – wollen wir mehr Interaktion zulassen, beispielsweise in der Aktuellen Stunde. Das ist auch im Interesse der Opposition, und ich meine, diesen Punkt haben Sie auch mit eingebracht.

Aber die direkten Anliegen der Bürger/-innen selbst – das ist im Moment noch ein Unterschied zwischen den Fraktionen – wollen wir im Parlament aufwerten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Laut Artikel 17 des Grundgesetzes haben alle Menschen in Deutschland ein Grundrecht, sich mit Bitten und Beschwerden direkt an den Deutschen Bundestag zu wenden. Jedes Jahr gehen mehr als 10 000 Petitionen bei uns ein. Und als Abgeordnete, die elf Jahre mit Leib und Seele im niedersächsischen Petitionsausschuss saß,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

weiß ich sehr genau, dass diese Anliegen der Bürger/-innen noch mehr Aufmerksamkeit im Bundestag selbst erhalten sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Herr Schnieder, ganz ehrlich: Es sind oft Anliegen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Ich will mal zwei der erfolgreichsten Petitionen nennen, von denen Sie gerade gesagt haben: Dahinter stecken irgendwelche Aktivisten.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)

Das war zum einen die Petition für eine bessere Pflege

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und zum anderen – mit die erfolgreichste Petition! – die Petition für die freiberuflichen Hebammen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Es ist unserer Fraktion auch besonders wichtig, hier noch einmal hervorzuheben: Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik, erstmalig in der Geschichte des Bundestages werden die Rechte von Abgeordneten von Parteien nationaler Minderheiten besonders in den Blick genommen. Das können wir nicht hoch genug schätzen.

(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

Warum? In der Bundesrepublik sind mit den Dänen, den Friesen, den Sorben und den Sinti und Roma vier Volksgruppen als nationale Minderheiten anerkannt. Im unionsregierten Schleswig-Holstein ist ihre politische Mitwirkung sogar in der Verfassung verankert. Und im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats hat sich Deutschland verpflichtet, in allen Bereichen des politischen Lebens die besonderen Bedingungen der Angehörigen nationaler Minderheiten in gebührender Weise zu berücksichtigen. In der Geschäftsordnung des Bundestages hat sich das leider bisher nicht widergespiegelt.

Hier schaffen wir mit der Reform Verbesserungen, sodass zum Beispiel der SSW, der erstmalig im Deutschen Bundestag vertreten ist, künftig beispielsweise auch im Rechtsausschuss die Interessen der dänischen Minderheit vertreten kann, wenn es dort etwa um das Namensrecht und um die Frage geht, ob künftig Geburtsdoppelnamen nach dänischer Tradition erlaubt werden. Meine Damen und Herren, das finden wir gut, und ich hoffe, dass wir da auch zu einem Konsens kommen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])

Wir wollen außerdem – auch das scheint ein Unterschied zu sein; deswegen will ich das noch einmal besonders hervorheben –, dass der Deutsche Bundestag widerstandsfähiger gegen Störungen und Beleidigungen wird.

(Zuruf von der AfD: Dann fangen Sie bei sich an!)

Wenn Ausschusssitzungen blockiert werden, wenn im Plenum Schmähungen und/oder rassistische Beleidigungen gerufen werden, wenn dies wiederholt und ohne Einsicht geschieht, dann müssen wir dafür sorgen, dass die parlamentarische Ordnung und die Würde des Deutschen Bundestages verteidigt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dazu gehört, dass Ausschussvorsitzende künftig, was sie bisher nicht konnten, bei erheblichen Störungen Ausschussmitglieder mit Zustimmung von zwei Dritteln der Ausschussmitglieder auch von der Sitzung ausschließen können.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich! Endlich!)

Auch gegen Abgeordnete, die sich rassistisch, sexistisch oder diskriminierend äußern, soll konsequenter vorgegangen werden können, meine Damen und Herren. Wir werden nicht zulassen, dass in diesem Parlament beleidigt, geschmäht und blockiert wird.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was ist denn mit Beleidigungen der AfD? Zählt das nicht dazu?)

Und ganz ehrlich, Herr Schnieder, da weiß ich nicht, ob wir da zusammenkommen: Auch verfassungsfeindliche Positionen wollen wir hier nicht hören, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP] – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das war doch meine Aussage!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja. – Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, einen Weg zu finden, mit den unterschiedlichen Perspektiven zu einer gemeinsamen Geschäftsordnung zu kommen. Das sind wir auch den Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Ich freue mich auf die Beratungen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD sowie der Abg. Robert Farle [fraktionslos] und Thomas Seitz [fraktionslos])