Rede von Lamya Kaddor Enquete-Kommission Integration

Lamya Kaddor
27.06.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! „Kulturelle Differenzen als mögliche Ursache von Integrationsproblemen bei Zuwanderern in Deutschland“, so lautet der Titel, den Sie für die Enquete-Kommission vorschlagen. „Zuwanderer“: Meinen Sie damit Franzosen, Thailänder oder gar US-Amerikaner?

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das habe ich doch deutlich gesagt! – Martin Hess [AfD]: Hätten Sie mal zugehört, dann hätten Sie das auch verstanden! – Weitere Zurufe von der AfD)

– Was flippen Sie denn aus bei nicht mal einem Satz? Meine Güte, das ist ja furchtbar. Okay, beruhigen Sie sich wieder.

(Martin Hess [AfD]: Sie hören nie zu!)

Zunächst kann man sich ja fragen: Was bedeutet eigentlich „Integration“? Jeder für sich meint, die Antwort zu kennen. Aber sobald man sie ausspricht, stößt man auf Widerspruch, selbst im eigenen politischen Lager. Das liegt vielleicht daran, dass es keine allgemeingültige Erklärung gibt.

Im Privaten ist das übrigens nicht schlimm. Aber wenn man Politik für alle im Land machen will, funktioniert das eben nicht. Bedeutet „Integration“, dass ich mein kulturelles Erbe weiter pflegen darf im neuen Land? Oder muss ich es gänzlich ablegen, um eins zu eins die Eigenart des Landes, in das ich einwandere, anzunehmen? Das setzt übrigens schon voraus, dass es diese „einzige Eigenart“ eines Landes gibt. Eine Person aus Südbayern und eine Person aus dem Ruhrpott unterscheidet kulturell bereits einiges.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nee!)

Bei Muslimen stellen sich einige zum Beispiel vor, dass sie ihren Glauben ablegen müssten. Der Islam sei schließlich mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, heißt es. Das ist natürlich Unsinn.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wer sagt das denn? – Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Wer sagt das?)

– Na ja, es gibt einige, die das behaupten.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sagen wir nicht!)

– Es ist interessant, dass Sie sich angesprochen fühlen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie reden doch hier zu uns!)

Aber könnte man denn Muslimen einfach sagen: „Legt euren Glauben ab!“? Meine Vorstellung von Demokratie und Rechtsstaat ist das natürlich nicht, übrigens auch nicht die des Grundgesetzes. Und wer garantiert, dass es nicht später, wie in der ehemaligen DDR, gegen das Christentum geht? Religion allgemein ist schließlich Opium fürs Volk.

Wenn wir uns übrigens die deutsche Diaspora – beispielsweise in Brasilien, der Türkei oder Thailand – anschauen: Diese Gemeinschaften legen ihre Eigenarten auch nicht ab. Das Oktoberfest wird fröhlich gefeiert, übrigens von Las Vegas über Dubai bis Windhuk. Und zum Buddhismus treten auch nur wenige über, wenn ich das mal so sagen darf.

Wie viel vom kulturellen Erbe kann man also bewahren im neuen Heimatland? Wenn etwa jemand mit der Vorstellung kommt: „Schokolade ist Sünde, und man darf sie auf keinen Fall essen“, dann kann ich das persönlich natürlich überhaupt nicht akzeptieren. Aber muss ich solche Vorstellungen vielleicht dulden, weil dies hier eben ein freiheitlicher Rechtsstaat ist?

(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Was soll denn diese Bagatellisierung? Wir reden über innere Sicherheit!)

Weil die Gedanken frei sind? Weil es den Staat nichts angeht, was Menschen in ihren vier Wänden denken, soweit sie nicht die Rechte anderer verletzen und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen?

Zudem muss man eine Vorstellung davon haben, wovon sich das kulturelle Erbe der Zuwanderer eigentlich unterscheiden soll, sprich: Man braucht einen Maßstab, einen Ausgangspunkt für den Vergleich. Sonst lassen sich ja Abweichungen von diesem gar nicht feststellen.

(Johannes Schraps [SPD]: Den braucht man zum Glück nicht!)

In dem Antrag der AfD müsste dieser Maßstab – das, was dieses Land, in das man sich integrieren soll, ausmacht – das Deutschsein sein. Eine Erklärung dafür findet sich in Ihrem Antrag nicht, nicht einmal die Frage danach. Grundsätzlich bezweifle ich zudem, dass man zu einem rechtskonformen und menschenwürdigen Ergebnis kommen kann, wenn die Grundhaltung ist, möglichst keine Ausländer im Land zu haben, wenn millionenfache – Zitat – „Remigration“ gefordert wird.

Die AfD bemüht sich zwar im Rahmen ihrer Verhältnisse, allzu offensichtliche Vorurteile und Pauschalisierungen im Antragswortlaut zu kaschieren. Aber letztlich kommt doch Folgendes klar zum Vorschein: Erstens. Der Antrag basiert auf ethnopluralistischer Grundvorstellung. Zweitens. Er zielt im Stile Sarrazins primär auf Menschen mit türkischer und arabischer Herkunft. Keine seriöse und demokratische Partei kann einen solchen Vorstoß mittragen. Das heißt nicht, dass es mit türkischen, türkischstämmigen und arabischstämmigen Einwanderern oder anderen keine Herausforderungen gibt. Aber diese lassen sich nicht im Stil der Neuen Rechten auf kulturelle Aspekte beschränken.

Hinzu kommen sozioökonomische Aspekte, Traumatisierung durch Krieg und Vertreibung, Verhaftung, Folter, gewaltsamer Tod von Angehörigen und Freunden, stadtplanerische Fragen, Gentrifizierung oder Ghettoisierung und natürlich die Frage, was solche pauschalen Vorwürfe gegen eine ganze Gruppe an Wut, Frust und Angriffen bei einzelnen ihrer Angehörigen hervorrufen. Mit all diesen Aspekten wird es aber kompliziert, und damit lässt sich schlecht populistisch Zuspruch generieren.

Einer Enquete-Kommission unter solchen Bedingungen kann einfach niemand zustimmen. Dass dies auch nicht nötig ist und Menschen verschiedenster kultureller Prägungen gemeinsam an einem Strang ziehen und in eine Richtung laufen, das zeigt aktuell unsere deutsche Fußballnationalmannschaft. Viel Erfolg an dieser Stelle für das Achtelfinale am Samstag! Ihr macht Menschen wie mir Mut, und wir stehen hinter euch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Unsere Koalition begegnet derweil der von der AfD aufgeworfenen Frage lieber weiterhin tagtäglich in allen Bereichen ihrer Regierungsarbeit auf Basis unterschiedlicher fachlicher Expertisen, und wir bleiben dabei.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als Nächstes erhält das Wort Muhanad Al-Halak für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)