Rede von Dr. Till Steffen Digitalisierung der Justiz

Dr. Till Steffen
14.06.2024

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brandner, jetzt haben Sie hier nicht nur „rumgeopfert“, sondern auch noch mal Ihre verfassungsfeindliche Gesinnung offengelegt. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen und dass Sie den Rechtsstaat nicht respektieren.

(Stephan Brandner [AfD]: Kein einziges Verfahren!)

Das ist genau das Drehbuch, mit dem autokratische Kräfte auf der ganzen Welt Rechtsstaat und Demokratie angreifen, genau mit solchen Vorwürfen. Das muss an dieser Stelle sehr deutlich festgehalten werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Gesetzentwurf, über den wir heute sprechen, ist ein wichtiger Schritt zur weiteren Digitalisierung der Justiz. Das ist nicht die große systemische Reform, um jetzt den Durchbruch bei der Digitalisierung der Justiz zu schaffen, sondern eher eine Sammlung von vielen Stellschrauben, die beim Prozess der Digitalisierung aufgefallen sind und jetzt angegangen werden. Ich finde das gar nicht negativ, auch wenn das vielleicht ein bisschen abwertend klingt. Der Staatssekretär, der sich da stark engagiert, sitzt heute hier. Tatsächlich ist es so, dass wir bei einem solchen Prozess lernfähig sein müssen. Wir müssen reagieren auf Dinge, die nicht von vornherein so funktionieren, wie wir uns das gedacht haben. Deswegen ist das richtig. Herzlichen Dank an all jene, die hierzu beigetragen haben und diese konkreten Verbesserungen eingebracht haben, die in vielen Beispielen schon vorgestellt worden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Studie von Boston Consulting Group, Bucerius Law School und Legal Tech Verband Deutschland ist bereits von zwei anderen Rednern vorgestellt worden. Sie hat nicht nur erbracht, dass wir zehn Jahre Digitalisierungsrückstand haben, sondern auch – das ist noch besorgniserregender –, dass der Rückstand der Digitalisierung der deutschen Justiz immer größer wird. Das heißt: Wir müssen jetzt nicht nur brav unsere Hausaufgaben machen, sondern systemisch überlegen, wie wir die Geschwindigkeit bei der Digitalisierung der Justiz erhöhen können. Da gibt es auch in diesem Gesetzentwurf ein paar Hinweise, aus denen man ziemlich viel im Hinblick darauf lernen kann, wie wir da weiterkommen.

Die Frage, was es genau auf sich hat mit der Ermöglichung der Schriftsatzkündigung, ist eben schon dargestellt worden. Wir haben in der Tat eine interessante Entwicklung. Man hat vor einer ganzen Reihe von Jahren gesagt: Es soll nicht so sein, dass, wenn ein Arbeitgeber sagt: „Hau ab!“, der Arbeitnehmer überlegen kann: War das jetzt die Bitte, das Büro zu verlassen, oder war das eine Kündigung? Und wenn er glaubt, dass es nur darum ging, das Büro zu verlassen, dann versäumt er die Frist zur Kündigung. Es ist in der Tat eine wichtige Schutzfunktion, dass ein Arbeitgeber hier klarmachen muss, was eigentlich gemeint ist.

Dann hat man etwas später die elektronische Akte und die elektronische Form der Übermittlung von Schriftsätzen von Anwälten eingeführt, und plötzlich war das, was lange möglich war, nämlich in einem Schriftsatz eines Anwalts eventuell notwendige weitere Kündigungen auszusprechen, nicht mehr möglich. Also hier sind zwei Dinge ganz komisch verkreuzt worden, und man hat nicht gesehen, welche Konsequenzen entsprechend entstehen.

Was wir jetzt machen, ist gut und richtig; aber was wir eigentlich machen müssten, um der Unternehmenspraxis und der Frage „Wie kommuniziert man eigentlich innerhalb eines Unternehmens?“ Rechnung zu tragen, wäre, zu ermöglichen, dass eine solche Kündigung auch per Textform erfolgt. Früher war es in Unternehmen, wo tatsächlich viel Papier hin- und hergeschoben wurde, ein ganz normaler Vorgang, dass mit einem Teil dessen, was ausgetauscht wurde, eben auch die Kündigung überreicht wurde. Viele Unternehmen kommunizieren mittlerweile vollkommen elektronisch und natürlich auch nicht unbedingt am gleichen Ort.

Das heißt: Weil künftig ja auch gar keine Faxgeräte mehr in den Unternehmen stehen werden, muss für diesen Zweck künftig, um den Zugang beweisen zu können, ein Einschreiben mit Rückschein auf den Weg gebracht werden. Das ist natürlich total realitätsfremd. Wir gehen hier also einen kleinen, sinnvollen Schritt, müssten aber eigentlich den konsequenten Schritt gehen und zur Textform kommen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wann kommt der denn?)

Das machen wir hier nicht. Und das macht deutlich: Wir gehen langsame und kleine Schritte, müssten aber vielleicht etwas größere gehen.

Es ist von Frau Eichwede angesprochen worden, dass digitale Gewalt ein Riesenthema ist. Wir machen hier einen guten und sinnvollen Schritt, der wirklich in vielen praktischen Fällen eine Rolle spielt.

Wir haben gesehen: Es gab vor einiger Zeit eine kleine Recherche von Jan Böhmermann.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Der hat im Hinblick auf eine solche Hassstraftat im Netz 16 Strafanzeigen bei 16 Landespolizeien erstattet und dann mal geschaut, was so passiert. Bei den einen passierte gar nichts, bei den anderen wurde angeklagt, die nächsten haben eingestellt, und wieder andere haben nach anderthalb Jahren Ermittlungen aufgenommen, obwohl in einem anderen Bundesland schon eine Verurteilung erfolgt war. Das ist in der Tat nicht zweckmäßig. Deswegen müssen wir in solchen Fällen zu einer Lösung kommen – das ist natürlich erst mal eine Aufgabe der Länder; aber auch der Bund muss hier eine koordinierende Rolle übernehmen –, wie wir dafür sorgen können, dass diese Ressourcen nicht verschwendet werden und dass es zu einer glaubhaften Verfolgung solcher Straftaten kommt, die nun mal bundesländerübergreifend begangen werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Ein letzter Punkt. Wir leisten uns in diesem Gesetzentwurf in einer Hinsicht einen Rückschritt bei der Digitalisierung, weil wir im Hinblick auf die Aktenführung bei Verschlusssachen die Frist verlängern. Das heißt, das, was wir eigentlich vorhatten, machen wir nicht so schnell. Hier wird jetzt, weil das praktisch nicht rechtzeitig umsetzbar ist, die Frist verlängert. Das ist natürlich nicht schön, und das ist auch ein Menetekel für das, was uns bevorstehen kann.

Wir haben ja jetzt zum Glück die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern wesentlich verbessert. Am Anfang der Wahlperiode lief es ja noch nicht; jetzt läuft es. Aber was eben nicht passieren darf, ist, dass solche Vorhaben wie die Einführung der elektronischen Akte und anderes dadurch nicht vorankommen, dass diejenigen, die das umzusetzen haben – im Regelfall die Länder –, ihre Hausaufgaben nicht machen und wir in der Digitalisierung noch weiter zurückhängen. Darauf muss jetzt der Fokus gerichtet werden.

Wir müssen schneller werden bei der Digitalisierung. Heute tun wir einen Schritt.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Tausendste Rede!)