Rede von Corinna Rüffer Bericht des Petitionsausschusses 2021
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Martina Stamm-Fibich, hochgeschätzte Vorsitzende des Ausschusses,
(Marianne Schieder [SPD]: So ist richtig! So ist gut!)
ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich deinem Dank an den Ausschussdienst anschließen. Dem ist überhaupt nichts hinzuzufügen. Ohne diesen Ausschussdienst wäre der Ausschuss nichts. Das verdient einen richtigen Applaus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dirk Brandes [AfD])
Kolleginnen und Kollegen, viele Menschen haben den Eindruck, dass sie die Abgeordneten des Bundestages kaum erreichen. Man fragt sich: Warum eigentlich? Wir alle bieten Sprechstunden an und bemühen uns zumeist redlich darum, die Probleme, die uns dort begegnen, auch tatsächlich zu lösen. Aber offensichtlich reicht das nicht.
Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes waren kluge Leute; das wird sicher niemand bestreiten. Sie haben daran gedacht, in Artikel 17 des Grundgesetzes im Prinzip den Petitionsausschuss zu verankern, und sie haben gut daran getan.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])
Petitionen sind wichtig, und sie wirken, egal ob es um einen falsch berechneten Rentenbescheid geht, sich jemand über mangelnde Unterstützung bei der beruflichen Rehabilitation beschwert oder das Parlament zu einer tiefgreifenden Reform aufgefordert wird, um im Angesicht einer alternden Gesellschaft auch zukünftig eine Pflege in Würde zu gewährleisten. Fast immer sind Petitionen präzise Hinweise auf bestehende Problemlagen. Oft beinhalten sie auch präzise Vorschläge, wie der Gesetzgeber, also wir, sie lösen kann. Wir sind gut beraten, ganz genau hinzuhören und unsere Petentinnen und Petenten als Partner bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft wahrzunehmen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Kommunikation auf Augenhöhe mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Petentinnen und Petenten ist wichtig, vor allem angesichts einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung. Hier hat der Petitionsausschuss sein großes politisches Potenzial in den letzten Jahren, ehrlich gesagt, leider nicht genutzt und sich auf seine aus unserer Sicht überkommenen Rolle als „Kummerkasten der Nation“ beschränkt; Bernhard Loos hat das gestern in der Bundespressekonferenz bei der Übergabe des Berichts so formuliert. Wir halten diese Perspektive tatsächlich für überkommen.
Warum hat der Ausschuss sich nicht zeitgemäß weiterentwickelt? Ich meine, das hat mit der jahrelangen Unionsmehrheit zu tun, die sich geweigert hat, das Instrument tatsächlich als politisches Instrument zu nutzen und das Petitionswesen dementsprechend zu stärken. Vielleicht darf man an dieser Stelle auch einmal die kritische Frage stellen, ob die immer größer werdende Bedeutung von privaten Plattformen damit etwas zu tun haben könnte. Ich rege zur Diskussion an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte an dieser Stelle eigentlich eine Petition näher in den Blick nehmen, die sehr viel Kraft entwickelt hat, die Petition von Frau Lechleuthner – ich will sie zumindest kurz ansprechen –: „Stoppt die Blockade der Krankenkassen bei der Versorgung schwerstbehinderter Kinder/Erwachsener“. Diese tolle Frau und Mutter hat unter anderem ein schwerstbehindertes, wunderbares – das will ich an dieser Stelle hinzufügen – Kind. Sie hat es satt, statt Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, Aktenordner mit der papiergewordenen Auseinandersetzung mit Krankenkassen und Medizinischem Dienst zu befüllen. Sie hat sich entschieden, den Kampf gegen diese kafkaeske Bürokratie aufzunehmen und sich damit nicht nur für ihre eigene Familie, sondern auch für ganz viele Menschen in diesem Land einzusetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie hat es nicht nur geschafft, ein Netzwerk zu schaffen, sondern sie hat es auch in den Koalitionsvertrag geschafft. Ich bin ganz sicher, dass wir in diesem Ausschuss, aber nicht nur in diesem Ausschuss, über die Problemlage von Familien mit behinderten Kindern auch weiterhin zu reden haben werden.
Ehrlich gesagt, Andreas Mattfeldt, mir pressiert es akut an einer anderen Stelle. Ich habe gestern Abend deine Pressemitteilung anlässlich der Übergabe unseres Jahresberichts an die Bundestagspräsidentin gelesen. Du schreibst darin – ich frage: allen Ernstes? –, die Ampelkoalition habe gleich nach der Bundestagswahl angefangen, parteipolitisch zu taktieren.
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wohl wahr!)
Mein lieber Scholli! Entweder es macht sich bei dir eine hoffentlich zeitlich begrenzte Form von Gedächtnisstörung bemerkbar, oder du machst hier bewusst den Bock zum Gärtner. Hast du wirklich nicht bemerkt, wie sich die Kultur der Arbeit in diesem Ausschuss mit dem Regierungswechsel geändert hat?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich sitze wöchentlich mit den Kollegen von der SPD, von der FDP, mit der Vorsitzenden zusammen, und ich weiß, was für eine Kultur wir etablieren wollen. Du weißt das, weil du jeden Mittwoch in diesem Ausschuss bist. Wir sind dabei, dieses Petitionsrecht auf neue Füße zu stellen, es transparenter zu machen, barrierefreier, zugänglicher für alle Menschen in diesem Land.
(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das ist ja auch eine Fortschrittskoalition!)
Ihr seid herzlich eingeladen, dazu beizutragen. Aber bitte hört mit dieser parteipolitischen Taktiererei auf! Das hat das Petitionswesen dieses Landes nicht verdient.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Der nächste Redner in der Debatte: Andreas Mattfeldt, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christoph Meyer [FDP]: Entschuldige dich mal!)