Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Bedarfsgerechte Versorgung für alle PatientInnen
Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sind die großen Baustellen des Gesundheitssystems? Worauf müssen wir endlich gute gesundheitspolitische Antworten finden?
Die Zahl der älteren Menschen und der chronisch Kranken nimmt zu. Auf dem Land finden sie kaum noch einen Arzt, eine Ärztin. Das ist besonders für die Älteren und die chronisch Kranken ein riesiges Problem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es fehlen Tausende von Pflegekräften. Die Kluft zwischen ambulant und stationär ist nach wie vor viel zu groß. Die Notaufnahmen platzen aus allen Nähten. Und nun, Herr Minister Spahn, legen Sie diesen Gesetzentwurf vor, der auf alle diese Fragen keine strukturellen Antworten findet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen haben Sie es geschafft, mit Ihrem Gesetzentwurf schon vor der Einbringung in den Bundestag rund 200 000 Menschen – mindestens – gegen sich aufzubringen. Die Petition gegen Ihre Vorschläge, psychisch Kranken neue Hürden zuzumuten, ist damit eine der erfolgreichsten Petitionen aller Zeiten,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kersten Steinke [DIE LINKE])
und das zu Recht; denn Menschen in einer seelischen Krise brauchen Hilfe und Unterstützung und keine zusätzlichen Hürden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] und Kersten Steinke [DIE LINKE])
Aus meiner langjährigen Arbeit als Psychiaterin und Psychotherapeutin weiß ich: Es darf nicht sein, dass gerade den Menschen, denen es besonders schwerfällt und die lange zögern, sich die dringend benötigte Hilfe zu holen, zusätzlich Steine in den Weg gelegt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Es ist schwierig, über das Innerste zu sprechen. Es ist emotional eine Zumutung, das nun auch noch vor einer zusätzlichen Distanz tun zu müssen, um überhaupt einen Therapieplatz zu bekommen. Es ist diskriminierend, gerade den psychisch Kranken, den Menschen in einer seelischen Krise, zusätzliche Hürden aufzubürden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Der entsprechende Passus, den Sie für das TSVG vorschlagen, gehört gestrichen. Ich habe wohl gehört, dass Sie Gesprächsbereitschaft signalisiert haben.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!)
Das finde ich gut; denn wir müssen das ändern. Dieser Passus muss raus!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Was wir stattdessen brauchen, sind mehr Psychotherapeutinnen und -therapeuten, gerade im ländlichen Raum. Seit Jahren warten wir auf eine angemessene Bedarfsplanung. So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu!)
Gleichzeitig sieht Ihr Gesetzentwurf viel zusätzliches Geld für bestimmte Facharztgruppen vor, bezahlt von den gesetzlich Versicherten. Durch die Bonuszahlungen werden in erster Linie die Ärztinnen und Ärzte belohnt, die bisher weniger Sprechstunden anbieten. Wer leer ausgehen wird, sind die Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte, und das ist ungerecht. Das schadet der Versorgung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Für Patientinnen und Patienten ist es letztlich egal, wie eine medizinische Leistung abgerechnet wird, nicht egal ist, wie die Qualität der Versorgung ist, nicht egal ist, wie die Anschlussbehandlung nach einem Krankenhausaufenthalt funktioniert, nicht egal ist, ob im ländlichen Raum noch ein Arzt, eine Ärztin zu finden ist, und nicht egal ist, ob ich im Notfall adäquate Hilfe bekomme.
Ihr Vorschlag, durch finanzielle Anreize die Terminvergabe zu verbessern, klingt nur im ersten Moment gut. Wie stellen Sie sicher, dass diese Regelungen nicht zulasten der chronisch Kranken gehen? Gerade die körperlich und psychisch chronisch Kranken brauchen bessere Angebote als bisher.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nächste Baustelle: die ungleiche Verteilung der Arztpraxen. In strukturschwachen, in ländlichen, in ärmeren Regionen ist der Zugang zu Ärztinnen und Ärzten zunehmend schwieriger. Da sind Sie nun mit der Gießkanne unterwegs. Die pauschale Aufhebung von Zulassungssperren für bestimmte Arztgruppen wird den Mangel an Ärztinnen und Ärzten in den unterversorgten Regionen noch verstärken. Das wird dazu führen, dass sich noch mehr Ärztinnen und Ärzte in den Städten niederlassen, wo es jetzt schon viele Praxen gibt. Genau diese Ärztinnen und Ärzte werden in Zukunft im ländlichen Raum fehlen. Das macht doch gar keinen Sinn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nehmen Sie doch einfach unseren Antrag an! Der regelt das!)
Der Vorschlag der FDP bringt wirklich gar nichts. Er würde das Problem sogar noch verschärfen.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Haben Sie ihn gelesen?)
Das ist reine Klientelpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Auch die Idee, Ärztinnen und Ärzte durch regionale Honorarzuschläge zu unterstützen, wird das Problem nicht beheben.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Darum geht es doch gar nicht! Sie haben den Antrag gar nicht gelesen!)
– Klar habe ich den gelesen, gestern Abend. Das ist Klientelpolitik. Er verstärkt das Problem. Wir werden ihn ablehnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Unglaublich!)
Dabei gibt es kluge Ideen zur Neustrukturierung, um die Versorgung im ländlichen Raum endlich zu verbessern: mehr Kooperation zwischen ambulant und stationär, mehr Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen! Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeuten, Pfleger, Hebammen arbeiten Hand in Hand! So sieht die Gesundheitsversorgung der Zukunft aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stichwort „Physiotherapeuten“. Sie müssen genau wie alle anderen Heilmittelerbringer endlich ihrer Kompetenz entsprechend arbeiten dürfen. Eine adäquate Bezahlung, Hausbesuche – das würde die Versorgung unmittelbar verbessern. Davon steht bisher leider nichts im Gesetzentwurf, Herr Minister Spahn. Sie haben eben gesagt, die Bedingungen für die Heilmittelerbringer würden aufgrund Ihres Gesetzentwurfes deutlich besser werden. Bisher ist das nicht der Fall. Aber es liegt ja ein Antrag von uns Grünen vor, über den wir debattieren können.
Last, but not least: die Notfallversorgung. Auch hier ist Ihr Gesetzentwurf leider – es wäre so dringend, dass sich in diesem Bereich etwas verbessern würde – eine absolute Nullnummer. Auch hierzu haben wir Grüne in einem Antrag Reformvorschläge gemacht: integrierte Leitstellen, eine Anlaufstelle, eine medizinische Ersteinschätzung, die den Menschen hilft, genau dorthin zu gelangen, wo sie die passende medizinische Hilfe bekommen. So gelingt eine gute Reform.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihr Gesetzentwurf wird den großen Aufgaben des Gesundheitswesens leider nicht gerecht – im Gegenteil –, und das ist schlecht. Ich hoffe sehr, dass wir in den Beratungen im Ausschuss noch zu deutlichen Verbesserungen kommen; denn das wäre für die Patientinnen und Patienten dringend notwendig.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)