Awet Tesfaiesus MdB
27.06.2024

Awet Tesfaiesus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Union schlägt vor, unsere im Grundgesetz verankerte Verantwortung gegenüber verfolgten Menschen auszulagern. Geflüchtete sollen demnach Schutz zum Beispiel in Ruanda erhalten. Das ist keine neue Idee, aber man kann darüber nachdenken; wir sind ja alle auf der Suche nach guten Lösungen.

Das Problem: Viele haben sich schon daran versucht und sind auch daran gescheitert. Schon vor 20 Jahren wollte Otto Schily Lager in Nordafrika bauen. 2017 kam Netanjahu auf die Idee, Israel könnte Geflüchtete nach Ruanda abschieben. Diesen Plan musste Israel sehr schnell aufgeben, weil das Konzept einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten konnte.

Premier Rishi Sunak hatte dieselbe Idee: Großbritannien könnte Geflüchtete nach Ruanda abschieben. Auch hier haben die Gerichte, die das geprüft haben, zum Glück genauer hingeschaut. Auch hier konnte die Regierung nicht darlegen, wie ein rechtssicheres Verfahren gewährleistet werden kann. Der Oberste Gerichtshof in London hat diese Pläne für rechtswidrig erklärt. Ja, selbst die diversen Dublin-Abkommen der Europäischen Union sind im Grunde nichts anderes als ein Versuch der Auslagerung, der Externalisierung. Auch hier müssen wir uns eingestehen: So wirklich erfolgreich waren wir damit nicht. Dann hat man es mit dem „Türkei-Deal“ versucht. Auch die Versuche, die Verantwortung nach Libyen oder Mali abzuschieben, sind gescheitert.

Das alles ist angesichts der belegten Zahlen an Menschenrechtsverletzungen ein Tiefpunkt. Kein einziger dieser Versuche, die eigene Verantwortung auf diese Art und Weise zu externalisieren, hat bisher funktioniert. Und wenn Sie, geehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, diese alten Ideen und Vorschläge noch mal aufwärmen wollen, frage ich mich schon: Was wollen Sie denn anders machen? Das ist doch die entscheidende Frage.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Das haben wir doch aufgeschrieben!)

Glauben Sie etwa, dass diese mehrfach gescheiterte Idee nun doch funktioniert, nur weil sie jetzt aus Ihrer Feder stammt?

(Josef Oster [CDU/CSU]: Lesen Sie den Antrag! Das hilft!)

Wie wollen Sie denn ganz konkret – ich zitiere mal aus Ihrem Antrag – „Sicherheit, rechtsstaatliches Verfahren, angemessene Lebensbedingungen“ in einem fremden Land garantieren?

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Schicken Sie dann die Fachaufsicht nach Kigali, damit sie die Einhaltung der Verwaltungsverfahrensordnung überprüft oder das Recht auf einen gesetzlichen Richter? Sie erwähnen in Ihrem Antrag 1,1 Millionen geflüchtete Menschen aus der Ukraine: Wollen Sie die wirklich nach Ruanda schicken?

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Dobrindt will sie ja in die Ukraine schicken!)

Weil es am Ende auf die Details ankommt, möchte ich noch einen weiteren Aspekt hinzufügen. Wir stellen uns mal vor, es gäbe ein solches Abkommen, wie Sie es sich wünschen. Sie hätten tatsächlich ein Land gefunden, das sich bereit erklärt, einen solchen Vertrag mit Ihnen zu schließen, wahrscheinlich regiert von einem Autokraten, der das Geld braucht. Wie lange dauert es wohl, bis Sie so abhängig geworden sind, dass Sie erpressbar werden? Wir hatten diese Debatte in diesem Land bereits im Zusammenhang mit der Türkei. Wir sollten daraus auch etwas lernen, nämlich dass wir nicht in diese Abhängigkeit kommen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ja, wir brauchen Lösungen, aber bitte solche, die nicht nur Angst und Ressentiments schüren, ohne die wahren Probleme in diesem Land anzugehen. Wir müssen alle verstehen, dass Worte Macht haben. Bei aller Notwendigkeit, diese Debatten zu führen, bewirken diese Worte gerade in diesem Haus etwas in Bezug auf die Menschen, die vermeintlich fremd aussehen, die vermeintlich nicht hierhergehören. Nicht ohne Grund sind die Zahlen der rassistischen Angriffe enorm gestiegen.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Deshalb würde ich mir wünschen, dass diese Debatte verantwortungsvoll geführt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Da, wo Menschen keinen Schutzanspruch haben, führen wir zurück.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Aber da, wo sie einen Anspruch haben, sollten wir uns eingestehen: Es gibt nur eine Möglichkeit, den Werten des Grundgesetzes Rechnung zu tragen, nämlich indem wir es nicht als Gewährleistungsverantwortung ansehen, sondern als echte Erfüllungsverantwortung. So funktionieren Grundrechte, nur so, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat der Kollege Detlef Seif, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)