Lamya Kaddor
27.06.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Das ist der Unterschied zwischen Extrempositionen und differenzierten Positionen: Sie können Ihre Positionen in sechs Minuten hier runterrattern. Um allein das aufzuklären, was Sie da an Falschinformationen behaupten, bräuchte ich hier wahrscheinlich drei Stunden. Das ist eben der Unterschied.

(Beatrix von Storch [AfD]: Dann fangen Sie doch mal an!)

– Genau das mache ich jetzt. Schreien Sie doch nicht so! Hören Sie doch einfach zu!

(Beatrix von Storch [AfD]: Was hat er Falsches gesagt?)

– Aber Sie nehme ich gar nicht so ernst in dieser Frage.

(Beatrix von Storch [AfD]: Anscheinend doch!)

Liebe Union, ich finde, die Wahlanalyse, die Sie neuerdings Ihren Forderungen immer wieder voranstellen wie auch in diesem Antrag oder wie gestern Herr Merz in den sozialen Medien, wirklich abenteuerlich. Klar, keine Frage: Die Ampelparteien haben bei der Europawahl eine Klatsche bekommen, und wir müssen die Niederlage auch aufarbeiten, insbesondere wir Grünen; das sage ich hier ganz deutlich. Aber es ist billig, wenn Sie die Europawahl nun nachträglich zu einem Referendum über jedes x-beliebige Thema erklären, um Ihre Positionen zu untermauern. Haben Sie eigentlich schon vergessen, wie die AfD – wir haben es ja gerade gehört – und Teile Ihrer eigenen Partei über die Migrationspolitik Ihrer Kanzlerin Angela Merkel geurteilt haben? Sich jetzt hierhinzustellen und die weise Opposition zu spielen, als ob Sie mit allem nichts zu tun hätten, ist unseriös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es wird nichts anderes bewirken als kübelweise Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen.

Kommen wir zum Thema. Kaum sind Ministerpräsidentenkonferenz und Innenministerkonferenz abgeschlossen, packt die CDU/CSU einzelne Forderungen der unionsgeführten Länder in einen Antrag hier im Bundestag. Sie sind also mit den Beschlüssen Ihrer eigenen Ministerpräsidenten nicht zufrieden und wollen dies nun im Deutschen Bundestag besprechen. Nun denn!

(Josef Oster [CDU/CSU]: Da gehört es auch hin!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was Sie hier vorschlagen, ist fast so abenteuerlich wie Ihre Wahlanalyse. Gehen wir es mal im Einzelnen durch:

Stichwort „Asylverfahren in Drittstaaten“. Der Sachstandsbericht der Bundesregierung zu Asylverfahren in Drittstaaten besagt doch eindeutig: Selbst wenn die Asylverfahren rechtlich möglich wären,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sind sie! Sie müssen schon richtig lesen!)

was an sich schon sehr umstritten ist, ist Ihre Auslagerung unpraktikabel und viel zu teuer. Das hörten wir ja gerade.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das sagt Pro Asyl!)

Der Nutzen steht in keinem Verhältnis zum Zweck. Wir sprechen hier von einem Bruchteil der Menschen, die diese Verfahren durchlaufen könnten, und das zu horrenden Preisen, also egal ob in Ruanda, Usbekistan oder Nauru.

Schauen Sie doch nach Dänemark oder Großbritannien! Die dänische Regierung ist kläglich – kläglich! – an der Einrichtung von rechtssicheren Verfahren in Drittstaaten gescheitert. In UK dürfte nächste Woche die Tory-Regierung krachend abgewählt werden, weil Geld eher nach Ruanda in die Unterbringung Geflüchteter fließt als ins marode Gesundheitssystem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Stichwort „Abschiebung nach Afghanistan und Syrien“. Diese Koalition schiebt derzeit Straftäter und Gefährder ab – aber nicht nach Afghanistan. Wir haben immer noch keinen Vorschlag von Ihnen gehört, der dies rechtssicher und praktikabel umsetzt.

(Zuruf der Abg. Mechthilde Wittmann [CDU/CSU])

Selbst der von Ihnen im Antrag zitierte Rechtswissenschaftler Daniel Thym spricht nur von wenigen Einzelfällen, die so abgeschoben werden könnten. Tun Sie also nicht so, als seien Ihre Vorschläge der große Gamechanger! Das sind sie nicht.

Stichwort „Kontingente“. Sie meinen hoffentlich UNHCR-Kontingente. Diese Programme gibt es ja bereits. Was Sie hier fordern, sind mit der EU abgesprochene Kontingente. Dazu müssen wir die GEAS-Reform wieder aufmachen, die gerade diverse rechtliche Neuerungen innerhalb der EU bringt, von denen Ihre Regierungen ja nur geträumt haben und die wir kritisch sehen – ja –,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie haben dagegengestimmt als Grüne!)

die wir aber wegen der EU-weiten Regelung mitgetragen haben. Wir haben also eine EU-Lösung. An deren Umsetzung arbeitet die Bundesregierung.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Die Grünen waren im Übrigen dagegen!)

Warum um Gottes willen sollen wir die wieder aufmachen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Throm [CDU/CSU]: Weil sie schlecht ist!)

– Sie haben ja gleich Zeit, darauf zu reagieren.

(Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Wir haben uns von Ihnen seit Jahren anhören müssen, dass die Programme zur Aufnahme von Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten falsch seien. Auch gestern wollten Sie dazu im Innenausschuss noch sprechen. Für Afghanistan und Syrien wollen Sie diese sogar komplett aussetzen. Und jetzt – jetzt! – wollen Sie Kontingente für vulnerable Gruppen aufmachen. Das ehrt Sie als Christenmenschen – wirklich –, ist aber ein Vorschlag, der innerhalb der EU eine Mehrheit finden muss.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nein! Natürlich nicht! Wir können als Deutschland Kontingente aufnehmen, soviel wir wollen! Das sind alles Falschinformationen, die Sie da verbreiten!)

Das ist Ihren Innenministern nicht einmal in den letzten 20 Jahren auch nur ansatzweise gelungen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie streuen den Menschen Sand in die Augen

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das machen Sie schon!)

und verkaufen Lösungen als sachdienlich, die, wenn überhaupt, nur in homöopathischer Art und Weise Migration bewältigen können. Es ist einfach irreführend, wie Sie die Debatten hier führen. Zunächst reichen Ihnen die Haftzentren an den europäischen Außengrenzen bei GEAS nicht, dann muss die Bezahlkarte her, und jetzt können nur Asylverfahren in Drittstaaten helfen.

(Enrico Komning [AfD]: Richtig gute Idee!)

Was wollen Sie uns denn als Nächstes vorschlagen? Irgendwann reicht es doch, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Lösen Sie doch mal Probleme, meine Güte! Sie sind in der Regierung! – Zuruf des Abg. Detlef Seif [CDU/CSU])

Dank dieser Bundesregierung haben wir mit der europäischen Asylreform nun einen einheitlichen Verteilmechanismus. Wir schließen Rückführungsabkommen, um Menschen ohne Aufenthaltstitel konsequenter und vor allem rechtsstaatlich in die Herkunftsländer zurückzubringen. Wir haben mit dem Datenübermittlungsverordnungsanpassungsgesetz, auch DÜV-Anpassungsgesetz genannt, oder dem Onlinezugangsgesetz die Grundlagen gelegt, dass die Ausländerbehörden digitalisiert werden und unbürokratischer arbeiten können.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Na super!)

Wir unterstützen als Bund die Kommunen finanziell bei der Unterbringung von Geflüchteten, um die Integration dieser Menschen zu gewährleisten. Wir arbeiten daran, dass die Verwaltungsgerichtsverfahren beschleunigt werden, die Gerichte personell besser ausgestattet werden und sich weiter digitalisieren können. All das bietet tatsächlich konkrete Lösungsansätze und bringt Ordnung in die Migrationspolitik.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Auwei, auwei, auwei!)

Und da machen wir weiter. Aber für populistische Vorschläge haben wir keine Zeit. Und ehrlich gesagt, sollten wir uns dafür keine Zeit nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)