Lamya Kaddor
13.06.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Genau wie Sie alle hier treibt auch mich immer noch der Tod von Rouven Laur um. Ich möchte ihm, seiner Familie und all seinen Kolleginnen und Kollegen nochmals mein Beileid aussprechen, wie ich das gemeinsam mit vielen Mitgliedern dieses Hauses parteiübergreifend vergangenen Freitag in Berlin während des Trauermarsches getan habe.

Als Politik ist es dann auch unsere Aufgabe, zu handeln. Ich verstehe alle, die nach Abschiebungen rufen. Für mich als muslimische Abgeordnete ist es besonders schwer erträglich, mit Islamisten in einem Land zu leben; denn Islamismus ist Hass und Gewalt und bewirkt nichts anderes als Hass und Gewalt. In dieser politischen Ideologie – das ist eigentlich klar – liegt überhaupt nichts Gutes.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat. Unsere Verfassung steht über allem. Und in einem Rechtsstaat kann man nicht aus dem Bauch heraus entscheiden. Abschiebungen, auch von Straftätern und Gefährdern, nach Afghanistan und in Länder wie Syrien sind aktuell kaum – ich sage bewusst: kaum – möglich. Das wissen wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen. Streuen wir doch den Menschen bitte keinen Sand in die Augen! Denn Politik sollte nichts versprechen, was sie so nicht halten kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Gleichzeitig ist es aber auch staatliche Aufgabe, dies genau zu prüfen. Lassen Sie mich das klarstellen: Wir als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen stehen klipp und klar für eine rechtsstaatliche Abschiebung von Straftätern und Gefährdern in ihre Herkunftsländer; Irene Mihalic hat das gerade sehr treffend ausgeführt. Aber bei Afghanistan und Syrien stoßen wir an Grenzen und haben Fragen, die wir laut stellen.

Liebe Union, bitte erklären Sie uns doch, wie Sie solche Rückführungen rechtsstaatlich durchführen wollen.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Fragen Sie doch mal, wie es die Schweden machen!)

Ich habe bislang keinen einzigen Verfahrensvorschlag aus Ihren Reihen gehört. Im Ausschuss gestern haben wir alle die gleichen Fragen gestellt; auch Sie haben die gleichen Fragen gestellt. Niemand hatte eine Antwort parat. Das BMI prüft derzeit geeignete Maßnahmen.

(Martin Hess [AfD]: Wie lange wollen Sie denn noch prüfen?)

Mit technischen Kontakten jedenfalls wird das nichts werden. Das funktioniert vielleicht bei Hilfsgütern, aber nicht bei Abschiebungen.

(Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Die Taliban nehmen ihre Bürger nicht so einfach zurück. Sie wollen Gegenleistungen. Sie wollen nicht nur Geld, ganz im Gegenteil: Sie wollen diplomatische Aufwertung. In Ihrem Antrag haben Sie aber keinen einzigen Satz dazu geschrieben, wie Sie die Aufwertung von Islamisten in Kabul verhindern wollen.

Auch als stellvertretendes Mitglied meiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuss verwehre ich mich einer Zusammenarbeit mit diesem Terrorregime. Wir sprechen hier von Terroristen. Wollen wir als Bundesrepublik und als deutsches Parlament wirklich die Ersten sein, die einem international geächteten Regime helfen, eine diplomatische Anerkennung zu erhalten?

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz sicher nicht!)

Der Preis wäre aus meiner Sicht zu hoch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Philipp Hartewig [FDP] – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Wer nicht will, findet viele Gründe!)

Vor allem löst der Ansatz gar nicht das eigentliche Problem der Abwehr islamistischer Angriffe. Und darum soll es doch gehen. Den Attentäter von Mannheim hätten wir zu keinem Zeitpunkt – selbst Sie nicht – rechtmäßig abschieben können. Weder war er straffällig, noch war er als Gefährder bekannt.

(Martin Hess [AfD]: Er war aber abgelehnt! Das ist doch das Grundproblem! – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Ich wiederhole deshalb in alle Richtungen: Diese Diskussion lenkt von tragfähigen Ansätzen zur Bekämpfung des Islamismus ab. Das Einzige, was wir damit bewirken, ist die Enttäuschung der Wählerinnen und Wähler über nicht eingehaltene Versprechen, meine Damen und Herren.

Dass das alles nicht ganz so leicht ist, sehen wir vielleicht am Tweet von – er ist, glaube ich, gar nicht mehr da – Ihrem Parteikollegen Thorsten Frei, immerhin Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Ihrer Fraktion. Entgegen der Faktenlage behauptete er, 2023 hätte es fast 150 Evakuierungsflüge für Afghaninnen und Afghanen aus Kabul gegeben, was die Machbarkeit von Abschiebungen direkt belegen sollte. Der Tweet ist inzwischen – immerhin – wieder gelöscht, vielleicht auch deshalb, weil es in Wirklichkeit im vorigen Jahr genau null – null! – dieser Flüge gab, wie es auch 2022 null gab. Es gab sie nur über kurze Zeit während der Evakuierungsmaßnahmen, flankiert von der Bundeswehr, im Sommer 2021.

Wenn Sie jetzt Schweden als positives Beispiel heranziehen, möchte ich auch darauf eingehen. Die „FAZ“ hat erst gestern Morgen darüber berichtet: Die von den rechtsextremen Schwedendemokraten tolerierte rechte Regierung benutzt demnach nicht nur zweifelhafte Tricks, um sich solche Abschiebungen zu erkaufen. Es ist Schweden nach Polizeiangaben auch von Januar 2023 bis Mai 2024 – das ist gut ein Jahr – gelungen, gerade einmal neun – ich wiederhole: neun – Personen nach Afghanistan zurückzubringen, weil rechtsstaatliche Standards und Absprachen mit den Taliban eben nicht wirklich gut funktionieren.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil das einfach nicht geht!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns also bitte den Maßnahmen und Diskussionen zu, die zielführender gegen islamistische Terrorgefahr sind. Unseren Sicherheitsbehörden und der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen ist gestern ein wirklich guter und wichtiger Schlag gelungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die sogenannte Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft in Braunschweig wurde verboten. Die DMG ist eine salafistische Vereinigung, die seit Jahren in den Verfassungsschutzberichten Niedersachsens auftaucht und sich besonders durch sehr aktive Onlineangebote einem überregionalen und jüngeren Publikum zuwendet. Diese Maßnahmen unseres wehrhaften Verfassungsstaats sind jetzt fortzuführen und auch gegen – ich sage das immer wieder – „Muslim Interaktiv“, „Generation Islam“, „Realität Islam“, das IZH und andere unerlässlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb stimme ich Ihnen, Frau Lindholz, sehr bewusst darin zu, dass unsere Sicherheitsbehörden finanziell besser ausgestattet werden müssen.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Nicht nur finanziell!)

Das ist ein zentrales Anliegen für die anstehenden Haushaltsverhandlungen.

Generell – ich möchte Irene Mihalics Einladung wiederholen – ist es wichtig, diesen Anlass zu nutzen, um einmal strukturell über den deutschen Islam bewusst als Abgrenzung vom Islamismus – das ist wirklich wichtig – nachzudenken und auch darüber, wie wir eine große Mehrheit der demokratischen Musliminnen und Muslime in diesem Land im Kampf gegen den Islamismus stärken können. Das ist ein wesentlicher Schritt. Dazu werden wir weiter diskutieren.

In diesem Sinne vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Konrad Stockmeier hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)