Rede von Agnieszka Brugger Aktuelle Stunde „Sturm auf das US-Kapitol“
Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidenten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche haben faschistische Fanatiker das Parlament in den USA angegriffen. Sie hatten nicht nur Handschellen, Sprengstoff und Waffen dabei, sie wollten Politikerinnen und Politiker töten und das Ergebnis freier und fairer Wahlen mit Gewalt zerstören. Viel zu spät sind die Sicherheitskräfte eingeschritten. Einzelne Polizisten haben sogar Selfies mit diesen Verbrechern gemacht. Fünf Menschen sind tot. Auch wenn sie ihre Ziele nicht erreicht haben und die Demokratie sich behaupten konnte: Diese Attacke war die Folge einer langjährigen eiskalten Strategie der Zersetzung und Eskalation, mit der Donald Trump und seine Unterstützer Millionen von Menschen mit Hass, mit übelstem Rassismus, mit Lügen und Verschwörungen immer weiter aufgehetzt haben.
Und machen wir uns nichts vor: Ähnliche Strategien verfolgt die extreme Rechte auch hier bei uns in Europa. Die Geschichte hält einen ganz klaren Rat bereit: Mit Faschisten und Rechtsextremisten können wir Demokratinnen und Demokraten keine Kompromisse machen, ja, wir dürfen es nicht. Gegen die Feinde der Demokratie muss unsere Haltung glasklar sein, immer und überall!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Wehret den Anfängen! Ja, das gilt auch hier im Bundestag.
Aber eine klare Haltung fängt auch an bei den Verhandlungen über den EU-Haushalt. Dass Angela Merkel gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit so kompromissbereit war, dass seine Partei trotz seiner Angriffe auf diese fundamentalen Prinzipien der Europäischen Union immer noch Teil der konservativen europäischen Parteienfamilie sein darf, ist nicht nur unsäglich, es ist auch gefährlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Lehre der letzten Tage und Jahre ist deshalb auch, dass wir als Demokratinnen und Demokraten eine Verantwortung haben; denn wir können die Einfallstore für die Faschisten schließen. Unsere Vielfalt und auch die Unterschiede zwischen den demokratischen Parteien machen uns doch stark: indem wir im fairen Wettbewerb der Argumente die besten Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit im Sinne des Allgemeinwohls suchen, indem wir transparent arbeiten, auch Fehler zugeben und besser werden, indem wir bei allem leidenschaftlichen Streit anständig miteinander umgehen und bei Wahrheit und Fakten bleiben.
Jetzt schlägt auch die Stunde des Zusammenhaltes und der Zusammenarbeit in einem breiten Bündnis der Demokratinnen und Demokraten. Wir müssen sie nutzen, nicht nur über Fraktions-, sondern auch über Ländergrenzen hinweg!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bei allen Meinungsverschiedenheiten auch mit der neugewählten US-Regierung können wir gemeinsam doch so viel bewegen – mit einem Green New Deal gegen die Klimakatastrophe
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja klar!)
und mit globaler Gerechtigkeit beim Krisenmanagement dieser Pandemie, aber auch bei Rüstungskontrolle, bei Digitalisierung und auch im Kampf gegen Rassismus und bei der internationalen Aufarbeitung von Sklavenhandel und Kolonialismus. Die Wahl von Joe Biden und Kamala Harris bietet enorme Chancen, und die dürfen wir nicht verstreichen lassen.
Eine Sache meine ich damit explizit aber nicht. Herr Außenminister Maas, ihr Vorschlag von einem „Marshallplan für die Demokratie“ in den USA ist geschichtsvergessen und anmaßend, und ich kann einfach nur hoffen, dass das in den USA niemand mitbekommen hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, je düsterer die Bilder sind, umso heller strahlen die Heldinnen und Helden der Demokratie: Menschen wie der Polizist Eugene Goodman, der ganz alleine zwischen den gewalttätigen Extremisten und dem Raum, in dem viele Senatorinnen und Senatoren waren, stand, der sie unter Lebensgefahr mit einem gedankenschnellen Täuschungsmanöver von dort weglockte. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes die Sätze des Congressman und Bürgerrechtlers John Lewis mit Leben gefüllt – ich zitiere –: „Democracy is not a state. It is an act.“
Diese Sätze sollten uns Verpflichtung sein, Tag für Tag, im Großen und im Kleinen. Wir müssen unsere Demokratie mit maximaler Wachsamkeit und mit der Stärke eines wehrhaften Rechtsstaates verteidigen:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
hier bei uns im Bundestag, auf der Straße, aber auch im Alltag, bei den Sicherheitsbehörden, aber auch endlich in den sozialen Netzwerken. Wir dürfen die Regulierung dieser Plattformen nicht dem Gutdünken großer Digitalkonzerne überlassen, sondern müssen konsequent und hart gegen Hass, Hetze und Verschwörungsideologien vorgehen.
Genauso müssen wir eine vielfältige, eine unabhängige und kritische Medienlandschaft stärken. Und lassen Sie uns nicht vergessen: Für viele Menschen auf der Welt ist Demokratie eine ferne Sehnsucht. Wir schauen mit Bewunderung nach Belarus, wo vor allem mutige Frauen für Mitbestimmung einstehen. Der Kontrast zu den randalierenden Faschisten in Washington könnte nicht größer sein. Mutige Zivilgesellschaft wie in Belarus gibt es in vielen Staaten der Welt, und wir müssen sie stärker unterstützen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Für die Demokratie und ihre Werte einzutreten, ist unsere gemeinsame Verantwortung. Wir müssen dabei nicht immer so krass mutig sein wie Eugene Goodman oder die Frauen auf den Straßen in Belarus. Aber wir können uns von ihrem Mut begeistern und inspirieren lassen. Wenn wir zusammenstehen, werden wir immer stärker sein als die Feinde der Demokratie. Die Antwort kann deshalb nur sein: Jetzt erst recht und nie wieder.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und der Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU] und Michael Theurer [FDP])
Vizepräsident in Claudia Roth:
Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Nils Schmid.
(Beifall bei der SPD)