Rede von Cem Özdemir Aktuelle Stunde „PKW-Maut“

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08.10.2020

Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute auch um das Vertrauen der Öffentlichkeit in unsere demokratischen Institutionen und um das Vertrauen zwischen Parlament und Regierung. Das ist für die Demokratie – Sie alle wissen das – essenziell. Das CSU-Mautdebakel hat in diesem Sinne – da kann es kein ernsthaftes Vertun geben – großen Schaden angerichtet.

(Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Unsinn! – Lachen bei der FDP)

Die Frage, die sich stellt, ist doch: Was muss ein Minister denn überhaupt noch tun in unserem Lande, um in Zukunft zurückzutreten?

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Wer im Untersuchungsausschuss die Wahrheit gesagt hat – ob der Minister oder die Betreiber –, das kann am Ende nur ein Kreuzverhör klären. Aber etwas verwundert bin ich schon darüber, wie Sie hier über Unternehmen und Unternehmer reden, denen Sie Lügen unterstellen. Da muss man sich ja schon fast Sorgen über das Verhältnis der Unionsfraktion zur deutschen Wirtschaft machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen, meine Herren, von allen Seiten bestätigt ist zumindest der Satz, den der Minister zu einem der Mautbetreiber gesagt haben soll – ich darf zitieren –: „Sie müssen was für Deutschland tun.“ Ganz in diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass der Minister in sich geht und sich fragt, ob er unserem Land damit gerade einen Gefallen tut. Ich hatte beim Zuhören der Debatte das Gefühl, dass der eine oder andere Kollege, die eine oder andere Kollegin bei der Union insgeheim nicht anders denkt.

Meine Damen, meine Herren, aber auch Andreas Scheuer verdient Fairness. Zur Wahrheit gehört auch: Wer über das CSU-Mautdebakel spricht, der darf die Namen Seehofer, Dobrindt und Söder bitte schön nicht unterschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind mitverantwortlich für die vielleicht teuerste Wahlkampfparole, die es jemals in einen Gesetzestext der Bundesrepublik Deutschland geschafft hat. Sie alle stecken mindestens genauso tief im CSU-Mautmorast.

Bei den halbgaren, halbherzigen Verteidigungsreden heute ist mir noch etwas aufgefallen: Zu der Sache, die das eigentliche Anliegen, der eigentliche Grund für das Führen dieser Debatte war, sagt keiner mehr was;

(Michael Frieser [CDU/CSU]: Ja, weil die Grünen daraus einen Zirkus machen! Da ist genau das Problem! Sie verhindern das! So viel Doppelmoral!)

denn mittlerweile haben, glaube ich, alle eingesehen, dass der eigentliche Grund – eine Maut, die offensichtlich nur Ausländer diskriminieren soll – von Anfang an eine Schnapsidee war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die CSU mit ihrer Schnapsidee der Maut hat die Bürger bereits fast 80 Millionen Euro gekostet. Dieses Geld – das weiß man heute schon – ist sicher weg. Höchstwahrscheinlich kostet das Ganze noch viele Millionen weitere Euro. Auch dazu hätte ich heute gerne etwas von Ihnen gehört. Ich glaube, man muss kein Schwabe sein, um sich vorzustellen, wie man das Geld sinnvoll für dringende Projekte in dieser Republik hätte einsetzen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Was mir am meisten Sorge in dieser Debatte bereitet: Während wir über das Thema reden, schreitet die Klimakrise voran. Während wir Debatten über das Geschäftsmodell Auto, das für viele Regionen in Deutschland konstitutiv ist, weil es ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor ist, über die Automobilwirtschaft, die vor dramatischen Umbrüchen steht, und über die Beschäftigten, die sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, weil es dramatische Umbrüche gibt – die Stichworte kennen wir alle: automatisiertes Fahren, vernetztes Fahren und zunehmend auch emissionsfreies Fahren –, führen müssten, beschäftigt sich das CSU-geführte Verkehrsministerium mit der von ihm selbst angerichteten absurden Maut. Das richtet Schaden bei Jobs und für den Standort Deutschland an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir jetzt brauchen, ist ein Verkehrsminister, der den Stier bei den Hörnern packt, sich an die Spitze der Transformation stellt, Wirtschaft, Beschäftigte und Klimaschutz zusammenbringt und dafür sorgt, dass wir mit all den Partnern zusammen die Verkehrswende gestalten.

Es ist doch bemerkenswert: Der Chef von Volkswagen, Herbert Diess, kündigt an, dass VW auf E-Mobilität setzt. Was fällt dem Minister dazu ein? Er sagt, das sei total falsch. Wenn mittlerweile die Mehrheit unserer Bevölkerung für ein Tempolimit auf Autobahnen ist und sogar der ADAC, man höre und staune, nicht mehr hart dagegenhält: Was fällt dem CSU-geführten Verkehrsminister ein? Man wittert Verrat. Wenn dann auch noch der Deutsche Städtetag für weniger Autos in unseren Städten wirbt, merkt man: Die CSU ist in der Verkehrspolitik aus der Zeit gefallen. Sie verstehen unser Land nicht mehr, Sie verstehen nicht, was da draußen passiert: dass die Bürgerinnen und Bürger längst die Verkehrswende gestalten wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Christian Jung [FDP]: Sie haben die falsch verstanden! – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Zur Sache!)

Am Anfang dieser Legislaturperiode hat die Koalition das Innenministerium um die Abteilung Heimat erweitert. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Aber sind Sie nicht der Meinung, dass das eigentliche Heimatministerium das Verkehrsministerium hätte sein müssen? Dort wird über die wesentliche Infrastruktur dieses Landes entschieden. Ich finde, es ist Zeit, dass das Verkehrsministerium künftig nicht mehr als eine Art CSU-Strafbataillon dieser Republik behandelt wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Thema verfehlt! – Gegenruf des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD]: Genau!)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Michael Kießling.

(Beifall bei der CDU/CSU)