Rede von Tabea Rößner Aktuelle Stunde „Meinungsfreiheit“
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als gestern die AfD eine Aktuelle Stunde beantragte, war ich ja schon gespannt, welches brandaktuelle Thema die AfD heute wieder umtreibt.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Dass Sie das nicht interessiert!)
Stattdessen die gleiche alte Leier, mit der Sie Legendenbildung betreiben! Ich weiß nicht, zum wievielten Mal die AfD beschwört, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Das ist, mit Verlaub, Blödsinn!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Allein die Tatsache, dass Sie Ihre Meinung hier so unverhohlen äußern können, zeigt doch, dass an Ihren Behauptungen nichts dran ist. Es wird auch nicht wahrer, je häufiger Sie das behaupten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das hier ist der Bundestag! – Martin Hess [AfD]: Das als Beweis für Meinungsfreiheit zu bringen, ist ja geradezu lächerlich! Das wäre noch die Höhe, wenn Abgeordnete sich nicht frei äußern könnten!)
Es ist manchmal unerträglich, was Sie in diesem Hohen Haus an Unwahrheiten, Diffamierungen, Hass und Hetze verbreiten. Wenn Sie das unter Meinungsfreiheit verstehen, dann liegen Sie falsch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Ich muss nicht betonen, dass die Freiheiten der Meinungsäußerung und der Information für eine Demokratie von essenzieller Bedeutung sind. Sie gewährleisten erst den freiheitlichen Prozess der Meinungsbildung, der den Motor der Demokratie bildet. Daher müssen wir diese kommunikativen Freiheiten schützen.
Es wäre aber ein Missverständnis, anzunehmen, Freiheit hieße, man könne tun und äußern, was man wolle. Jede Freiheit hat ihre Grenzen. Ihre Ausübung darf nicht das Fundament untergraben, auf dem sie steht. Und dieses Fundament bildet unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, in deren Zentrum die Garantie der Menschenwürde steht. Die wechselseitige Achtung der Menschenwürde bildet auch die Grundbedingung eines demokratischen Diskurses. Das haben Sie in der Vergangenheit bisher noch nicht begriffen.
(Martin Hess [AfD]: Sie beschränken in unzulässiger Weise die Meinungsfreiheit in diesem Land, und das ist Fakt! – Weiterer Zuruf von der AfD: Zumindest haben wir keine Steine geschmissen!)
Aber die AfD begeht selbst immer wieder gezielte Tabubrüche, mit denen sie die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreitet. Diese Grenzen sind aber nicht verhandelbar: weder im analogen noch im digitalen Raum. Das Internet darf nicht ein Ort werden, in dem sich Hass, Hetze und Lüge ungehemmt entfalten und Menschen um Leib und Leben fürchten müssen. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.
Wir müssen das Netz zu einem zivilisierten demokratischen Raum machen. Deshalb benötigen wir eine Gesamtstrategie gegen Hasskriminalität und gezielte Desinformation. Das gestern beschlossene NetzDG greift da zu kurz. Es geht darum, Menschen im digitalen Raum zu schützen und zu verhindern, dass Menschen sich aus dem demokratischen Diskurs zurückziehen. Obwohl Sie beim NetzDG wie viele andere am lautesten „Zensur“ schreien: Es ist doch so, dass diejenigen die Meldemechanismen der Social-Media-Kanäle missbrauchen, die für sie unangenehme Meinungen aus dem Diskurs drängen.
(Martin Hess [AfD]: Das ist absolut lächerlich! Das ist genau Ihre Methode!)
Das machen übrigens gerade die Anhänger/‑innen der AfD. Das hat mit Meinungsfreiheit überhaupt nichts zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Vor uns liegen zentrale Weichenstellungen für unser demokratisches Miteinander im digitalen Zeitalter. Internetgiganten darf nicht die Steuergewalt über den öffentlichen Raum überlassen werden. Das gilt auch für das willkürliche Sperren von Nutzer-Accounts.
(Martin Hess [AfD]: Ja! Es wird doch der Weg bereitet durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz!)
Und es darf auch nicht sein, dass Profite von Internetkonzernen über dem Schutz der Grundrechte stehen. Das konterkariert einen freiheitlich demokratischen Meinungsbildungsprozess. Es gefährdet die Meinungsvielfalt und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das dürfen wir nicht länger dulden!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Den journalistisch arbeitenden Medien, insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, kommt heute und zukünftig eine umso bedeutendere Rolle zu. Der verfassungsgemäße Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dient dem Gemeinwohl.
(Zurufe von der AfD)
Er muss eine gemeinsame Öffentlichkeit schaffen, und zwar im Netz, wo diese ja verloren gegangen ist. Ich kann eigentlich nicht begreifen, dass Sie diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer so bekämpfen; denn Sie kommen dort regelmäßig zu Wort,
(Lachen bei der AfD – Martin Hess [AfD]: Sind Sie mal bereit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen?)
Sie sitzen in den Rundfunkräten und haben deshalb natürlich – –
(Martin Hess [AfD]: Sie denken sich die Welt schön!)
– Nein, ich rede mir die Welt nicht schön.
(Martin Hess [AfD]: Das tun Sie! Zu behaupten, wir wären dort regelmäßig vertreten, ist doch geradezu lächerlich!)
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine unabhängige Institution, die den öffentlichen Raum und die Öffentlichkeit gestaltet. Dass Sie das nicht begreifen, ist – –
(Zuruf von der AfD: Gucken Sie mal in den Spiegel, wer was begreift! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterreden! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Einfach weiterreden!)
Die demokratischen Prinzipien müssen aber auch bei den sozialen Netzwerken gelten, insbesondere für die mit hohen Nutzerzahlen, die Meinungsmacht entwickeln und die gesellschaftliche Meinungsbildung maßgeblich beeinflussen können. Zudem müssen wir Internetkonzerne stärker regulieren, vor allem, wenn sie Monopolstellungen haben und mit ihren algorithmischen Entscheidungssystemen darüber befinden, was wir sehen und was nicht, und wenn sie Profile von Nutzern und Nutzerinnen erstellen und ihre Gewinne mit personalisierten Daten maximieren. Der Medienstaatsvertrag der Länder geht da nicht weit genug.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Frau Kollegin.
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Und auf der EU-Ebene wird zurzeit der Digital Services Act verhandelt. Hier muss mit Mut und Durchsetzungswillen eine Regulierung verfolgt werden, die den Internetgiganten die Stirn bieten kann. Laissez-faire war gestern, gestalten ist heute.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Rößner, Sie müssen jetzt den Punkt setzen.
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir brauchen eine gemeinsame Öffentlichkeit, in der Menschen in gegenseitiger Achtung und auf der Basis von Vernunft und Wahrheit um das bessere Argument und die bessere Lösung ringen. Das stärkt unsere Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marianne Schieder [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Norbert Kleinwächter [AfD]: Vier Personen spenden Applaus! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja der Herr Kleinwächter wieder! Hat er wieder was zu melden! Ja ist doch schön!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)