Rede von Andreas Audretsch Aktuelle Stunde „Maskenbeschaffung“

Andreas Audretsch MdB
27.06.2024

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Coronapandemie war ohne Zweifel eine schwere Krise mit auch sicher schwierigen Entscheidungen. Im Grunde teile ich deswegen den Satz, den Jens Spahn gesagt hat: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Dieser Satz ist mit Sicherheit korrekt.

Genauso ist aber auch richtig, dass eine Krise kein Freifahrtschein für völlig unkontrolliertes Handeln sein darf, für Handeln, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir hatten das Thema gestern im Haushaltsausschuss, und die Vorwürfe, die dort vonseiten des Bundesrechnungshofs gemacht wurden, sind auch ganz offen in Berichten von 2021 und 2024 nachzulesen. Die Liste an Mängeln ist gewaltig. Der Einsatz von Steuergeldern in Milliardenhöhe für windige Verträge muss aufgearbeitet werden, und das tun wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Gehen wir zurück an den Anfang des Jahres 2020. In den Medien ist zu verfolgen, wie das Virus immer näher kommt. Am 22. März wird der erste Lockdown verhängt. Ziemlich zur gleichen Zeit wird im Kabinett ein Beschluss darüber gefasst, dass man Masken bestellen will, und es ist die Rede von 275 Millionen Masken, die bestellt werden sollen. Am Ende werden 5,7 Milliarden Masken bestellt.

Was war da los, 5,7 Milliarden Masken statt 275 Millionen, die am Anfang standen? Warum hat Jens Spahn auf dem Weg bis dorthin die Kontrolle so dermaßen verloren und das Ganze dermaßen aus dem Ruder laufen lassen?

Das Chaos war absehbar angesichts völlig wilder Vergabeverfahren; gemeint ist das sogenannte Open-House-Verfahren. Jede Maske sollte für 4,50 Euro abgenommen werden, ohne Begrenzung, völlig freihändig. 500 Millionen Euro standen dafür im Haushalt. Am Ende waren es nicht 500 Millionen Euro, sondern 6,4 Milliarden Euro, die auf dem Einkaufszettel standen.

Das Desaster zieht sich bis heute. Von den 5,7 Milliarden Schutzmasken wurden sage und schreibe nur 1,7 Milliarden hier in Deutschland verteilt. Schon 2023 mussten 1,2 Milliarden Schutzmasken vernichtet werden. Weitere 1,7 Milliarden Schutzmasken sind noch zur Vernichtung vorgesehen, und der Spuk ist noch nicht zu Ende. Die juristisch fraglichen Ausschreibungen ziehen Milliardenforderungen nach sich. Das Gesundheitsministerium selbst bestätigt vor Gericht Forderungen von weiteren 2,3 Milliarden Euro. Was für ein Desaster, Herr Spahn – was für ein Desaster!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

All das ist in Zahlen gegossene Verantwortungslosigkeit. Allein die Zinsen für mögliche Strafzahlungen könnten das komplette Mautdebakel von Ex-CSU-Minister Scheuer übersteigen – allein die Zinsen. Wir reden von einem der größten Steuerverschwendungsskandale, den es je in der Bundesrepublik gegeben hat. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig: Wir müssen aufklären, und wir werden aufklären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir müssen noch genauer hinschauen; denn es steht nicht nur die Frage im Raum: War es schlechtes Management? Es steht auch die Frage im Raum: Waren es Gefälligkeiten nach dem Motto: In dieser Krise schaut niemand hin, es guckt niemand, ob es richtig läuft – also macht man mal.

Nehmen wir den Fall Emix aus der Schweiz. Das Unternehmen hat im Frühjahr 2020 Zuschläge aus dem Gesundheitsministerium bekommen; unklar ist, warum. Der Verdacht liegt nahe, dass die Parteifreundin und Abgeordnete im Europaparlament Monika Hohlmeier nachgeholfen hat. Ihre Freundin Andrea Tandler hat einige Millionen Euro Provision von Emix bekommen, weil sie die Maskendeals ans Gesundheitsministerium vermittelt hat.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Die wurde von Herrn Graichen beraten!)

Hohlmeier hat den betreffenden Kontakt direkt mit dem ehemaligen Minister hergestellt und sogar im Nachhinein per SMS Druck zur Auszahlung von 170 Millionen Euro gemacht. Was war da los? Was muss aufgeklärt werden? Wir werden genau das tun.

Viele andere Fragen sind offen und noch völlig im Dunkeln. Warum wurden selbst nach dem Stopp des Open-House-Verfahrens immer mehr Zuschläge erteilt? Warum wurden immer mehr Verträge geschlossen?

Auch nachdem das Gesundheitsministerium intern am 5. Mai 2020 ein Ende aller Beschaffungen erklärt hatte, wurden munter weitere Verträge geschlossen. Beispielsweise erging am 6. Mai 2020, also einen Tag später, eine Ministerweisung zum Abschluss eines weiteren Vertrages. Auch wurden Verträge mit weiteren Anbietern geschlossen, die im ersten Verfahren, im Open-House-Verfahren, Lieferfristen nicht einhalten konnten. Warum dieser Kontrollverlust, warum dieser Rausch, in den man offensichtlich in einer Situation gekommen ist, in der man selbst nach dem Abschluss des Verfahrens immer weiter, immer weiter Verträge gemacht hat?

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das fragen die Profis allen Ernstes!)

Ja, „Wir werden einander viel verzeihen müssen“ – das ist richtig –; das war der Ausgangspunkt. Aber angesichts der Tatsache, dass wir gerade darum kämpfen und darum ringen, jede Million für Kitas zu sichern,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

jede Million für Schulen zu sichern, jede Million zu sichern, damit dieses Land nach vorne kommt, dürfen und können wir die Augen nicht verschließen, wenn ein Milliardenskandal in dieser Größenordnung hier auf dem Tisch liegt.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Populistisch! Totalitär!)

Wir werden die Augen nicht verschließen, sondern wir werden sie aufmachen, und wir werden aufklären in dieser Sache.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Von den Profis der Vetternwirtschaft müssen wir uns hier nicht belehren lassen! Das ist ja an Doppelmoral nicht zu überbieten!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie sehen, hat das Präsidium gewechselt.

Wir fahren in der Aktuellen Stunde fort. Das Wort hat der Abgeordnete Martin Sichert für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)