Rede von Dieter Janecek Aktuelle Stunde: Digital-Gipfel 2018 

28.11.2018

Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Die Nachrichten der letzten Tage sind vielleicht ein wenig ein Sinnbild für den Zustand der Digitalisierung in Deutschland: Die Bundesregierung hat erst vor kurzem – so war es zumindest zu vernehmen – das Ziel aufgegeben, im ländlichen Raum für ein schnelles mobiles Internet zu sorgen, Stichwort „Milchkanne und 5G“. Heute ist zu lesen: Die CEBIT gibt auf. Manche von uns waren vor 20 Jahren schon dort und haben vielleicht etwas Wehmut. Das ist aber auch ein Zeichen dafür, was nicht mehr funktioniert. Die schlechteste Nachricht – da müssen Sie sich jetzt ganz tapfer in die Augen schauen – ist aber: Unser E-Government-Minister heißt Horst Seehofer.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Während die österreichische Wirtschaftsministerin durchs Land zieht und uns – ich würde nicht sagen: fast schon verhöhnt – einen kleinen Wink gibt, wie man die digitale Verwaltung gestalten und aufs Smartphone bringen könnte, was irgendwie auch plausibel ist, ist Horst Seehofer unser E-Government-Minister. Mein Eindruck in den ersten Monaten seiner Amtszeit war, dass er andere Prioritäten hatte – und das ist noch eine höfliche Beschreibung des Drives, der in diesem Bereich herrscht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Ich glaube, wenn wir die Digitalisierung nicht deutlich ambitionierter gestalten, dann werden wir von ihr gestaltet. Dieser Problematik müssen wir uns ernsthaft stellen. Unsere Souveränität als Staat und Gesellschaft, unsere Freiheit und Mündigkeit als Bürgerinnen und Bürger, Wertschöpfung und Arbeit, ökologische Chancen und Risiken, soziale Schieflagen – all das wird wesentlich davon abhängen, ob und wie wir die digitale Transformation gestalten.

Schauen wir uns einmal die einzelnen Felder an: Beim Thema KI haben wir jetzt eine Strategie; so wird es zumindest genannt. 3 Milliarden Euro werden ausgegeben. Das ist das Versprechen.

(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Zusätzlich!)

– Zusätzlich zu dem, was heute für die Grundlagenforschung ausgegeben wird. – Natürlich hat man da, wenn man nach China oder in die USA schaut, Tränen in den Augen; da halten wir nicht mit. Die Problematik bei dieser Technologie ist aber, dass wir auch Ziele und Anwendungen brauchen, nicht nur ein Sammelsurium an Vorschlägen, wie wir es in so vielen Bereichen haben, zum Beispiel bei der Digitalen Agenda.

Natürlich freuen wir uns, dass im Rahmen der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ das Thema Ökologie – das haben wir ja selber mit verankert – erwähnt wird. Aber wo sind die nötigen Maßnahmen und Projekte, um zum Beispiel, wie in Frankreich, eine KI-Strategie einzusetzen, bei der eine Säule die ökologische Wirtschaft ist? Es wäre doch ein Ziel, für die deutsche KI-Strategie ein solches Ziel zu formulieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um bei dem Thema zu bleiben: Hier in Berlin haben vor wenigen Tagen über 2 000 Menschen auf der Konferenz „Bits & Bäume“ die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen diskutiert. Wir reden hier manchmal über die Klimakrise, ein Thema, das im Koalitionsvertrag übrigens weniger vorkam als Blockchain; das ist auch ein Zeichen, allerdings weniger von digitaler Stärke als von Prioritätensetzung. Daher frage ich hier ernsthaft: Warum schaffen wir nicht offensiv eine technologische Strategie zur Bekämpfung der Klimakrise mit künstlicher Intelligenz? Auch das wäre doch mal ein Ziel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Energiesystem smarter machen, unsere Mobilität intelligenter steuern, im ländlichen Raum neue Geschäftsmodelle in die Fläche bringen, damit die Menschen auf ihr Zweitauto verzichten können – das wären Elemente einer Digitalisierungsstrategie, die die Menschen mitnimmt. Sinnvoll wäre es auch, eine Green-IT-Strategie zu haben; denn wir wissen, dass die Anwendung von KI, von 8K, von 4K, von Netflix den Stromverbrauch im Bereich Internet steigern. Wir werden also einen steigenden Energieverbrauch haben. Auch da brauchen wir eine Strategie. Wo ist die?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir zum sozialen Bereich, und schauen wir nach Schweden und Großbritannien. Dort gibt es große soziale Innovationsstiftungen. Auch wir Grüne fordern so etwas. In UK gibt es zum Beispiel eine interessante Anwendung: Wenn ein Mensch einen Herzinfarkt hat, registriert das Handy das und übermittelt die Information an jemanden in der Nähe, der ihm helfen kann. Das ist eine Anwendung, die nicht vom Markt gesetzt worden ist, sondern von einer sozialen Innovationsstiftung. Solche sozialen Innovationen müssen wir aktiv fördern. Dafür reicht uns nicht eine Agentur für Sprunginnovationen. Dafür brauchen wir einen Ansatz, der breiter ist. Auch das fehlt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Digitalisierung und Gemeinwohl müssen wir zusammendenken. Es gibt eine ganze Reihe von Einzelbeispielen, die mir immer wieder einfallen. Ein guter Fortschritt ist das, was der Bundesrat gerade durchgesetzt hat: die Gemeinnützigkeit von Freifunkinitiativen. – Dafür können wir einmal gemeinsam applaudieren und sagen: Das ist etwas, was uns voranbringt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU])

Aber wie ist es mit einem E-Ticket für den ÖPNV, flächendeckend in ganz Deutschland? Wie schaut es mit der Digitalisierung der Bahn aus? Warum denken wir bei 5G eigentlich immer an die Autobahn? Die meisten Menschen lesen in der Bahn. Die können ja nicht beim Autofahren Zeitung lesen oder arbeiten.

(Manuel Höferlin [FDP]: In autonomen Fahrzeugen dann schon!)

Wo ist da die Digitalisierungsstrategie? Die Digitalisierung der Justiz, die Unterstützung von E-Sport – es gibt so viele Probleme, so viele Herausforderungen, und wir reden immer nur über die großen Schlagworte, über die große Strategie.

Was uns fehlt, sind Anwendungen, was uns fehlt, sind Strategien, was uns fehlt, sind Ziele, was uns auch fehlt, sind Werte. Da müssen wir zusammenkommen. In diesem Sinne unterstützen wir Sie. Aber machen Sie bitte nicht nur Strategien im Großen, sondern kommen Sie endlich auch mal ins Kleine.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)