Rede von Dr. Anna Lührmann Aktuelle Stunde „Deutsch-Polnische Regierungskonsultationen“

Anna Lührmann
04.07.2024

Dr. Anna Lührmann, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor genau zwei Wochen stand ich mit meinem polnischen Kollegen Adam Szłapka und unserer ukrainischen Kollegin Olha Stefanischyna im Hafen von Odessa. Einschlaglöcher, zerbombte Häuser, beschädigte Hafenanlagen, Glassplitter, verbogene Stahlträger, Luftalarm: Die russische Zerstörungswut macht auch vor dieser Perle des Schwarzen Meers nicht halt. Hier sind Putins Bomben eingeschlagen und haben unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer ermordet. Eine russische Rakete braucht von der Krim nur 90 Sekunden, um in Odessa zu zerstören.

Manche sagen: Der Krieg in der Ukraine, was geht uns das eigentlich an? Ihnen allen möchte ich sagen: Dieser Krieg ist nicht weit weg. Er findet direkt vor unserer Haustür statt. Von der deutsch-polnischen Grenze bis in die Ukraine sind es keine acht Stunden. Von Odessa bis zur nächsten EU-Grenze sind es keine 200 Kilometer. Putins Angriffskrieg meint auch uns. Er findet mitten in Europa statt. Russlands Terror muss endlich aufhören!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In Polen wird die Bedrohung durch Putin vielleicht noch etwas eindrücklicher gespürt als bei uns. Deswegen war es mir so wichtig, gemeinsam mit meinem polnischen Kollegen in die Ukraine zu fahren, einerseits um zu zeigen, Deutschland und Polen stehen fest an der Seite der Ukraine – so lange wie nötig –, andererseits aber auch, um zu zeigen: Liebe Freundinnen und Freunde in Polen, wir sehen eure Ängste, wir sehen eure Sorgen, und wir stehen an eurer Seite. Polens Sicherheit ist auch Deutschlands Sicherheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Deutschland und Polen verbindet eine gemeinsame Geschichte, auch eine dunkle Vergangenheit. Vor 85 Jahren hat Nazideutschland Polen überfallen, vor 80 Jahren hat der Warschauer Aufstand stattgefunden und wurde brutal niedergeschlagen. Ich war bei einem meiner letzten Besuche zum ersten Mal im Museum des Warschauer Aufstandes, ein Besuch, den ich jedem und jeder von Ihnen nahelegen kann. Als jemand, die sich schon seit ihrer Kindheit sehr intensiv mit der deutschen Geschichte auseinandersetzt, war ich doch noch mal überrascht und geschockt von dem Ausmaß der Gräueltaten, die Deutsche den Polen angetan haben.

Es ist so wichtig, dass wir dieses Erinnern, dieses Gedenken, auch dieses Wissen über dieses dunkle Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte stärker nach Deutschland bringen. Deswegen brauchen wir ein Deutsch- Polnisches Haus hier im Herzen von Berlin. Deswegen ist es gut, dass wir im Kabinett vor einigen Wochen dazu ein genaues Konzept beschlossen haben, das Sie jetzt hier im Bundestag beraten werden. Denn es muss uns klar sein: Es kann beim Gedenken, es kann beim Erinnern keinen Schlussstrich geben. Wir müssen das Gedenken, das Erinnern an diese dunkle Seite der Geschichte wachhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen ist es auch gut, dass wir für die Überlebenden dieses deutschen Terrors die Härten des Alters lindern wollen, bei der Pflege unterstützen wollen. Wir werden bei der Umsetzung dieser humanitären Geste mit der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ zusammenarbeiten. Wir sind da über die Details gerade noch im Gespräch. Bei diesem Thema ist Zeit ein knappes Gut angesichts des fortgeschrittenen Alters der überlebenden Opfer. Aber ich bin optimistisch, dass wir in diesem Jahr noch zu einer Lösung kommen werden. Denn Deutschland steht zu seiner Verantwortung, und auf dieser Verantwortung für das dunkle Kapitel unserer Geschichte bauen wir eine gemeinsame, eine hellere, eine friedliche Zukunft auf.

Und genau damit haben wir jetzt in Warschau bei den ersten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen seit sechs Jahren angefangen. Ich bin wirklich unheimlich dankbar dafür, dass es uns gelungen ist, hier eine neue Seite aufzuschlagen. Ich bin froh, dass wir jetzt wieder an einem Strang ziehen. Es war ein Zeichen des Aufbruchs, ein Zeichen des Neuanfangs. Und wir haben wirklich auch viel zu tun. Die Herausforderungen sind immens; ich habe gerade schon Russland angesprochen. Der Aktionsplan, den wir gemeinsam verabredet haben, umfasst 40 Seiten mit ganz vielen, detaillierten Projekten und Arbeitssträngen.

Im Mittelpunkt steht unsere Sicherheit, die auch eng damit verknüpft wird, dass es uns gelingt, der Ukraine dabei zu helfen, sich selber zu verteidigen. Es geht auch darum, dass wir gemeinsam zivile und militärische Fähigkeiten entwickeln, dass wir in Forschung für innovative Verteidigungstechnologien investieren, es geht um Zusammenarbeit in der Marine und das Ziel, auch die Luftverteidigungsfähigkeiten zu stärken. Und ja, Herr Kleinwächter, es geht darum, auch unsere polnischen Freundinnen und Freunde vor Russland zu schützen. Es geht darum, Stopp zu sagen zu Tyrannei und zu Bombenterror.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Wir wollen den Raum der Sicherheit, der Freiheit, des Rechtes auch um die Ukraine erweitern.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Da hätten Sie ja auch Panzer kaufen können!)

Da ziehen wir an einem Strang gemeinsam mit Polen.

Wir wollen eine gemeinsame Zukunft in Freiheit, in Solidarität, in Demokratie. Deswegen arbeiten wir gemeinsam auch in der EU an Reformen, um die EU vorzubereiten auf diese Erweiterung. Wir arbeiten auch gemeinsam daran, uns gegen russische Desinformationen zu wehren. Hier, Frau Klein, kann ich Sie beruhigen: Ich habe auch gemeinsam mit meinem polnischen Kollegen und dem französischen Kollegen erst kürzlich in Brüssel eine Initiative mit 20 ganz konkreten Punkten vorgelegt, wie wir – Deutschland, Polen, Frankreich – gemeinsam in Europa gegen Desinformation vorgehen wollen, wie wir die Resilienz unserer Gesellschaften stärken wollen, wie wir aufklären wollen. Ich glaube, das ist wichtig, damit wir es unseren Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, eine Zukunft in Frieden, in Freiheit und in Demokratie zu haben. Das ist nämlich das, was sie alle wollen.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Die Freiheit hat in Polen abgenommen seit der Regierung Tusk!)

Wir wollen auch den Bürgerinnen und Bürgern stärker Kontakte zwischen Deutschland und Polen ermöglichen. Wir wollen hier zum einen den Jugendaustausch stärken. Wir wollen auch im Jahr 2025 ein Freundschaftsticket einführen, damit dieser Austausch zwischen Deutschland und Polen besser möglich ist. Wir wollen auch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit stärken. Wir haben ganz viele konkrete Projekte vor, damit wir gemeinsam diese Zukunft für unsere beiden Länder in der EU schaffen können, damit wir gemeinsam auch mit einer starken Stimme Polens in der Europäischen Union daran arbeiten, diesen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes auszudehnen, zu erweitern und zu stabilisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Als ich am Dienstag in der Runde der deutschen und polnischen Ministerinnen und Minister saß, wurde ganz klar gesagt – das hat man von jedem im Kabinett gehört –: „Wir haben uns doch gerade erst vor zwei Wochen getroffen, haben das Projekt in Brüssel schon angeschoben und haben das noch gemeinsam vor.“ Einige haben auch gesagt: „Wir sehen uns ja häufiger als unsere eigenen Ehepartnerinnen und Ehepartner“, weil der Austausch so oft und so intensiv stattfindet. Man spürte also, dass es wirklich eine Situation ist, wo jetzt zwei Freunde wieder zueinander gefunden haben, zwei Freunde, die vielleicht nicht immer ganz einer Meinung sind, sich aber respektieren und die Lösungen im Austausch und im Dialog suchen, zwei Freunde, die sich aufeinander freuen und die ihre Freundschaft und Zusammenarbeit nach einer längeren Pause wieder intensivieren wollen, zwei Freunde, die sich ihrer gemeinsamen Verantwortung auch für die Europäische Union bewusst sind und ihr gerecht werden wollen, zwei Freunde, die im Bewusstsein auch der dunkleren Kapitel der Vergangenheit gemeinsam in eine helle und friedvolle Zukunft der Europäischen Union aufbrechen wollen.

Diese Regierungskonsultationen und der Aktionsplan sind hier nur der allererste Schritt. Ich freue mich, den weiteren Weg gemeinsam mit unseren polnischen Freundinnen und Freunden zu gehen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Und für die FDP-Fraktion hat das Wort Thomas Hacker.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)