Rede von Dr. Konstantin von Notz Aktuelle Stunde „Demokratie und Extremismus“
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorfälle und Bilder, die uns jüngst aus Berlin und Leipzig, aber davor auch aus anderen Städten erreichten, sind verstörend und zeugen davon, wie sehr sich unsere Demokratie und unser Rechtsstaat in diesen Tagen bewähren müssen.
Lassen Sie mich das unmissverständlich klarstellen: Es geht nicht um unsinnige Gleichsetzung von Dingen, die nicht gleichzusetzen sind, schon gar nicht sicherheitspolitisch. Es geht hier ganz bestimmt nicht um die abwegige und längst wissenschaftlich widerlegte Hufeisentheorie, sondern in diesen bewegten Tagen einer Pandemie und massiver Anfeindungen, Verhetzungen und Verächtlichmachungen von Personen und Symbolen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht es um die grundsätzliche Haltung und ein glasklares Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eben Gewaltfreiheit. Das muss jede Demokratin und jeder Demokrat spätestens jetzt verstanden haben, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])
Das Gewaltmonopol in unserem Land liegt beim Staat. Punkt! Wer das relativiert und damit versucht, seine Gewalt zu legitimieren, ob nun mit vermeintlich hehren und edlen politischen Motiven oder mit den abwegigsten Verschwörungsideologien oder durch Herbeischwadronieren eines irgendwie gearteten Notstandes, der untergräbt vorsätzlich unsere Verfassung, unsere Freiheit und unsere Demokratie, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])
Wer Polizeibeamte verletzt, Fahrzeuge demoliert oder anzündet, Landfriedensbruch begeht und gewalttätig in Parlamente einzudringen versucht, der handelt nicht revolutionär und schon gar nicht patriotisch, sondern schlicht kriminell.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP und des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])
In Deutschland, meine Damen und Herren, gilt die Versammlungsfreiheit. Unabhängige Gerichte prüfen und korrigieren behördliche Entscheidungen. Das gilt sogar für Versammlungen von Menschen, die behaupten, in einer Diktatur zu leben, oder die sich völlig offen eine solche herbeiwünschen; auch für die gilt das. Diese Versammlungsfreiheit in unserem Land entbindet aber niemanden – niemanden! – von der demokratischen Pflicht sich von den Antisemiten, Neonazis und Reichsbürgern, die zu Tausenden hier in Berlin vor Ort waren, deutlich zu distanzieren, und zwar sprachlich wie räumlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Herr Curio, nichts von Ihnen dazu. Nichts! Im Gegenteil: Verletzte Polizisten hier in Berlin, Landfriedensbruch, der dokumentierte Versuch mehrerer Hundert Menschen, mit Gewalt in dieses Gebäude vorzudringen
(Franziska Gminder [AfD]: Das ist überhaupt nicht wahr!)
aus einer Demo heraus, zu der Sie ganz massiv mobilisiert haben, wo Ihre Leute aus Ihrer Fraktion vor Ort waren, und Sie distanzieren sich nicht.
(Thomas Hitschler [SPD]: Sie waren dabei! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Natürlich haben wir uns distanziert! Das ist doch gelogen, und das wissen Sie auch!)
Sie haben sich gestern als einzige Fraktion hier im Saal nicht für die drei Polizeibeamten erhoben, die mit ihrer Gesundheit und ihrem Rückgrat an einem Wochenende für dieses Haus gestritten haben. Sie diskreditieren sich auch noch parlamentarisch in jeder Art und Weise, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Es ist wichtig, ernst zu nehmen, was die Vertreter der Sicherheitsbehörden, Herr Curio,
(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Sie verbreiten Fake News!)
mit zunehmender Dramatik jeden Tag sagen: Die größte extremistische Gefahr in der Bundesrepublik geht derzeit eindeutig von rechts aus.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Thomas Seitz [AfD]: Fake News!)
– Das sagen die Sicherheitsbehörden. Das sagen die Polizeien, zu deren Anwalt Sie sich gerne machen würden. Und da lachen Sie. Ja, so abstrus ist es. Da lachen Sie.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie motivieren uns ja auch!)
Wem das nicht über die Lippen geht, was die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und deren Präsidenten sowie die Nachrichtendienste in aller Klarheit sagen, und wer das mit „Hufeisen made in Connewitz“ zu konterkarieren versucht, der macht sich schlicht unglaubwürdig, und der dokumentiert, dass er selbst Teil des Problems ist, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Niemand versucht – die Ministerin hat es eben gesagt –, über diese Argumentation irgendwelche Diskurse plattzumachen oder Meinungen zu unterdrücken, auch keine kritische Auseinandersetzung mit Coronamaßnahmen; im Gegenteil. Ob in unseren Fraktionen – in Ihrer hoffentlich auch – hier im Hohen Haus selbst, gerne auf der Straße des 17. Juni, in den Medien, den öffentlich-rechtlichen und den privaten, zu Hause bei uns allen, am Arbeitsplatz: Das ganze Land diskutiert über Pro und Kontra dieser Coronamaßnahmen – jeden Tag, den Gott gibt, und das ist gut so.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Wir sind ein freies Land. Es ist ein Popanz, wenn behauptet wird, dass solche Diskussion nicht stattfinden könnten und nicht stattfinden würden, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Schließen möchte ich mit den gestrigen Worten unseres Präsidenten Wolfgang Schäuble – ich zitiere –: ... jeder politischen Seite muss klar sein: Die Gewaltfreiheit – die Gewaltfreiheit! - steht in der Demokratie über allen Meinungsverschiedenheiten.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)