Rede von Lisa Paus Aktuelle Stunde "Cum-Ex"

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09.09.2020

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das waren wirklich starke Worte von Olaf Scholz im Dezember 2019, als er zu Cum/Ex-Geschäften sagte: Mir ist völlig schleierhaft, wie jemand das für legal oder nur irgendwie legitim halten kann. – Aber seit Donnerstag letzter Woche wissen wir, dass derselbe Olaf Scholz sich 2016 und 2017 nicht nur einmal, sondern dreimal mit dem Chef der Warburg-Bank, Christian Olearius, getroffen hat – mit dem Chef der Bank also, die inzwischen wegen genau dieser illegalen Cum/Ex-Geschäfte vom Bonner Landgericht zu einer Rückzahlung in Höhe von 176 Millionen Euro verurteilt wurde, mit einem Mann, gegen den ermittelt wird und dem zehn Jahre Haft drohen. Und wir wissen, dass Olaf Scholz diese drei Treffen eben nicht dazu genutzt hat, um Herrn Olearius mitzuteilen, dass er Steuerraub durch Cum/Ex für eine „Riesenschweinerei“ hält, wie der Scholz von 2019 es formulierte. Vielmehr hat Olaf Scholz sich dreimal mit dem Chef der Warburg-Bank getroffen und sich erläutern lassen, warum Herr Olearius die geraubten Steuern nicht an den Staat zurückzahlen will. Olaf Scholz hat einen Brief desselben Inhalts angenommen und später telefonisch angeregt, diesen Brief an den Finanzsenator zu schicken. Meine Damen und Herren, mir ist völlig schleierhaft, wie jemand, der Cum/Ex wirklich für eine Schweinerei hält, so etwas machen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN und des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU])

Im Übrigen: 2016 gab es bereits erste Cum/Ex-Verurteilungen durch Finanzgerichte. 2016 hat der Deutsche Bundestag auf Initiative der Grünen einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um den größten Steuerraub mit zig Milliarden Euro Schaden aufzuarbeiten. In allen Bundesländern hatten zu der Zeit die Finanzämter begonnen, Cum/Ex-Steuerbescheide zu ändern und so den Steuerraub rückgängig zu machen – nur in Hamburg passierte das nicht, obwohl die Staatsanwaltschaft das Finanzamt über ihre Ermittlungen gegen die Warburg-Bank informiert hatte. In Hamburg verjährte eine Rückzahlung von 47 Millionen Euro. Hamburg war auch das einzige Land, das sich massiv widersetzt hatte, weitere 43 Millionen Euro im Jahr darauf einzufordern. Das Bundesfinanzministerium musste es anweisen.

Dennoch bleibt Olaf Scholz bei seiner Aussage, es habe keine politische Einflussnahme gegeben. Mir fällt es schwer, das zu glauben, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN und des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU])

Es bleiben die Fragen: Warum hat Olaf Scholz sich dreimal mit Olearius getroffen? Denn spätestens nach dem ersten Treffen muss ja wohl klar gewesen sein, dass es nicht um die Elbphilharmonie, sondern um Cum/Ex und um Rückerstattungsansprüche ging. Warum hat Olaf Scholz den Brief angenommen? Warum hat Scholz Olearius später noch in einem Telefonat direkt aufgefordert, den Brief an seinen Kollegen Tschentscher und nicht an das Finanzamt zu schicken?

Scholz hatte uns für heute volle Transparenz versprochen. Was wir bekommen haben, war erneut eine scheibchenweise Aufklärung. Er hat heute alles eingeräumt, was in der Zeitung stand; die Termine muss es wohl so gegeben haben. Gleichzeitig hat er gesagt, das Problem sei gewesen, er könne sich daran aber nicht erinnern. Außerdem hält er weitere wichtige Dokumente in diesem Zusammenhang unter Verschluss mit dem Hinweis, wir Parlamentarier hätten kein Recht auf Akteneinsicht. Das ist keine volle Transparenz, das ist eine weitere scheibchenweise Aufklärung, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Christian Dürr [FDP])

Aber ich verstehe das Agieren; denn natürlich kann es Olaf Scholz nicht gefallen, was die Öffentlichkeit jetzt in voller Klarheit sieht, nämlich die zwei Gesichter von Olaf Scholz: öffentlich der Kämpfer für Steuergerechtigkeit, aber hinter den Kulissen Kuschler mit der Wirtschaft zulasten des Gemeinwohls. Vielleicht hätte Olaf Scholz, wenn er alles früher offengelegt hätte, die Wahrheit über seine Treffen und Verbindungen zu Olearius und der Warburg-Bank gesagt hätte, glaubwürdig die Geschichte „Vom Saulus zum Paulus“ erzählen können, also die Geschichte, dass er Herrn Olearius schon so lange als ehrenwerten Mann kannte, als jemanden, der der Stadt schon so oft geholfen hat, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass dieser illegale Geschäfte macht, selbst als die Staatsanwaltschaft Köln gegen ihn und seine Bank ermittelte. Aber auch diese Chance ist inzwischen vorbei; denn unter anderem ist mir Scholz bis heute eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie er denn die Cum/Ex-Geschäfte der Warburg-Bank, die er heute als Schweinerei bezeichnet, damals bewertete.

Es gibt also keinen Wandel; es gibt keine Läuterung; es gibt keinen anderen Scholz. Es gibt nur einen Scholz, und zwar den mit zwei Gesichtern – damals wie heute –: einen öffentlichen, sozialdemokratischen Scholz, der sich als Kämpfer gegen Steuerbetrug und Steuervermeidung inszeniert, und einen, der sich im Zweifel für die Interessen der Wirtschaftslobby entscheidet.

Wer diese zwei Gesichter sucht, der findet sie eben nicht nur 2016, sondern auch 2020, nur dass sie jetzt den Steuerzahler nicht Millionen kosten, sondern Milliarden. Beispiel: öffentliches Country-by-Country Reporting. Alle Experten sind sich einig; das Europäische Parlament ist dafür; die Kommission hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Es geht darum, dass internationale Konzerne endlich verpflichtet werden, ihre Gewinne nach Ländern aufzuschlüsseln, damit aggressive Steuergestaltung besser entdeckt werden kann. Auch Olaf Scholz ist öffentlich selbstverständlich dafür; aber konkret verhindert gerade die Bundesregierung die Beratung dieses Gesetzentwurfs, in dem das öffentliche Country-by-Country Reporting eingeführt werden soll, weil sie den Vorsitz hat und dieses Thema einfach nicht auf die Tagesordnung setzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Denken Sie an Ihre Redezeit; die ist zu Ende.

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja. – Das Gleiche bei der Digitalsteuer: Öffentlich ist er dafür, aber seit zwei Jahren verhindert er, dass es in Europa so etwas gibt.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Das betrifft auch weitere Gesetze. Deswegen versichere ich Ihnen heute, Herr Scholz: Wir werden Ihre zwei Gesichter weiter aufdecken, auch in der nächsten Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Lisa Paus. – Der nächste Redner: Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)