Rede von Stephanie Aeffner Aktuelle Stunde „Bürgergeld“

Stephanie Aeffner
13.06.2024

Stephanie Aeffner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde diese Debatte wirklich traurig. In der Überschrift der Aktuellen Stunde steht: „Lehre aus der Europawahl“. Ich finde, zu ernsthafter Politik gehört, dass wir alle Demut zeigen und uns alle hinterfragen. Stattdessen werden arbeitslose Menschen benutzt, um Wahlen zu analysieren. Ich frage Sie: Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie sich diese Menschen angesichts dieser Debatte fühlen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Haben Sie mal die Bürger gefragt, die die Beiträge zahlen?)

Ja, wir als Ampelfraktionen haben Hausaufgaben zu erledigen.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Man kann nicht einfach so weitermachen nach so einem Wahlergebnis!)

Und ja, wir haben uns zu hinterfragen. Aber ich finde, wenn wir so ehrlich sein können, das zuzugeben und zu sagen, dass wir an manchen Stellen nachdenken müssen, dann würde Ihnen das vielleicht auch gut zu Gesicht stehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Schauen wir doch einmal: Was hat sich denn bei Ihnen verändert? Europawahlen sind oft Wahlen, bei denen Regierungskoalitionen abgestraft werden. Das war, als Sie regiert haben, nicht anders. Und das kommt normalerweise den demokratischen Oppositionsfraktionen zugute. Sie haben aber sage und schreibe nur 1,1 Prozent dazugewonnen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Jetzt reden wir über unser Ergebnis!)

Jetzt nehmen Sie als Allererstes das Bürgergeld als Lehre aus der Europawahl und fordern hier eine entsprechende Reform.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Sie sind Teil des Problems! Null Selbstkritik!)

Ja, es stimmt, Menschen haben soziale Sicherheit als entscheidend für sich angegeben. Und ja, es stimmt, Menschen haben wirtschaftliche Sorgen. Diese Menschen landen aber nicht bei Ihnen, sondern bei den nichtdemokratischen Parteien.

(Lachen des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Vielleicht könnten Sie auch einmal fragen, ob das irgendetwas mit der Kampagne zu tun hat, die Sie seit der Bürgergeldreform fahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Nein, das hat mit Ihrer Politik zu tun! – Nina Warken [CDU/CSU]: Den Kanzler plakatiert und abgeschmiert!)

Schauen wir uns doch einmal das Konzept an, das Sie vorschlagen. Sie sagen, die Regelsätze müssten anders berechnet werden. Wie, sagen Sie aber nicht. Sie sagen, der Anpassungsmechanismus sei notwendig gewesen, aber es gebe Akzeptanzprobleme. Sie sagen, Arbeit würde sich nicht mehr lohnen. Das – mit Verlaub – sind Fake News.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Arbeit lohnt sich im Vergleich zu Nichtarbeit immer. Es gibt einen Bereich, wo sich Mehrarbeit nicht besonders lohnt. Wir haben das im Gegensatz zu Ihnen erkannt. Das war nämlich Bestandteil des alten Hartz-IV-Systems, und Sie haben dies in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht einmal angefasst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben gerade für junge Menschen an diesen Stellen deutliche Verbesserungen vorgenommen. Einkommen bis 1 000 Euro sind inzwischen deutlich bessergestellt. Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, und auf der Grundlage von Fakten werden weitere Reformschritte kommen. So machen wir das.

Ein weiteres Problem, das Sie ansprechen, ist, dass Menschen gar keine Arbeit aufnehmen wollen. Eine Reduzierung der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit haben Sie in Ihrer Regierungszeit aber überhaupt nicht geschafft. Immer wieder gab es Drehtüreffekte, wonach Menschen aus der Arbeitslosigkeit in niedrig entlohnte, prekäre Jobs gekommen sind und dann wieder in die Arbeitslosigkeit. Und dann greifen Sie den Vermittlungsvorrang auf und wollen ihn wieder einführen. Wir sagen: Menschen sollen qualifiziert werden und eine Ausbildung machen, damit sie in gut entlohnter Arbeit landen

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Sie erhalten in dem Sinne Arbeitslosigkeit! 200 000 Menschen zusätzlich! – Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

und eben nicht immer wieder im Sozialleistungsbezug. Das haben wir vor einem Jahr eingeführt. Natürlich muss so etwas wirken; denn üblicherweise dauert das Nachholen eines Schulabschlusses oder das Nachholen einer Berufsausbildung ein bisschen Zeit. Also, bevor Sie sagen, dass das, was wir in Qualifizierung und Vermittlung investieren, nicht wirkt, sollten Sie sich vielleicht erst einmal die Wirkungen angucken.

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Auch ansonsten haben Sie keinerlei Respekt vor der Lebensleistung der Menschen. Was sagen Sie denn der selbstständigen Hebamme, die sich einen komplizierten Beinbruch zuzieht und deshalb im Bürgergeldbezug landet.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Um die geht es doch gar nicht!)

Sie muss sofort aus ihrer Wohnung.

(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Ach, das ist doch Blödsinn! – Nina Warken [CDU/CSU]: Quatsch!)

– Natürlich landet die im Bürgergeldbezug.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was erzählt ihr denn für einen Unsinn? – Nina Warken [CDU/CSU]: Sie müssen jetzt auch mal ein bisschen auf dem Boden der Tatsachen bleiben! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Kein Mensch will das!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Stephanie Aeffner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie haben keinerlei Respekt vor der Lebensleistung von Menschen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ist das das Niveau, auf dem wir das hier diskutieren, oder was?)

Wenn Sie sagen, Sie wollen über gute Sozialpolitik diskutieren, dann sollten Sie sich vielleicht auch mal fragen,

(Nina Warken [CDU/CSU]: Jetzt wird es ein bisschen schwurbelig!)

wie man über gute Sozialpolitik diskutiert,

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Betroffenheitsreden sind doch gar keine Lösung! Unsinn!)

ohne die Menschen in diesem Land gegeneinander aufzuhetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Janine Wissler für die Gruppe Die Linke ist die nächste Rednerin.

(Beifall bei der Linken)