Rede von Andreas Audretsch Aktuelle Stunde „Bezahlkarte für Geflüchtete“

Andreas Audretsch MdB
22.02.2024

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist viel Aufregung in der Debatte. Ich würde mir wünschen, dass wir, gerade wenn wir über Asylpolitik reden, sachlich beraten und uns den ganz konkreten Zusammenhängen widmen. Deswegen einmal zur Sortierung: Die Frage, ob Bezahlkarten eingeführt werden, steht überhaupt gar nicht zur Debatte – im Gegenteil: Alle Bundesländer haben angekündigt, Bezahlkarten einzuführen. 14 Bundesländer beteiligen sich an einer gemeinsamen Ausschreibung; die zwei anderen haben eigene Ausschreibungen bereits auf den Weg gebracht.

Mehr noch: Ein grüner Oberbürgermeister, Belit Onay in Hannover, ist einer der absoluten Vorreiter darin, eine Bezahlkarte einzuführen. Das tut er äußerst erfolgreich.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Und warum haben Sie das nicht auch schon gemacht?)

Im November 2023 ist es in Hannover losgegangen. In den letzten Wochen sind über 150 Karten ausgegeben worden. Eine deutliche Ausweitung ist geplant. Das Ganze funktioniert ganz hervorragend. Es braucht keine Auszahlungsstellen in Hannover mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Verwaltung ist massiv entlastet worden. Das ist ein Erfolgsprojekt, das Belit Onay dort in Hannover umgesetzt hat.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Warum machen Sie das dann nicht? – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das brauchen wir nicht!)

In Hamburg werden seit einer Woche Bezahlkarten ausgegeben. In Bayern steht das kurz bevor. Natürlich spricht Herr Söder nur in Superlativen: Es werde das schnellste und das härteste Projekt. Sie kennen diese Rhetorik. Ich muss nicht teilen, was Markus Söder in Bayern macht, was Markus Söder sagt. Aber Markus Söder beweist eines: Es geht, es ist möglich, und es ist rechtssicher möglich.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Und er fordert auch die Änderungen, Herr Audretsch!)

Ich muss auch dem Chef der bayerischen Staatskanzlei Florian Herrmann ausdrücklich zustimmen. Er hat gestern erklärt – ich zitiere –:

„Wir sind der Auffassung, so wie wir sie einführen, ist sie durch die Rechtslage abgedeckt.“

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So!)

Man brauche zur Einführung keine Gesetzesänderung, sagt der Chef der bayerischen Staatskanzlei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Eine zweite Frage steht immer wieder im Raum: die nach der Einheitlichkeit in ganz Deutschland. Das ist eine Frage, die in den Ländern gelöst wird. Die Länder sind für die Auszahlung zuständig und dürfen eigene Verfahren festlegen. Wenn Ihnen von der Union an Einheitlichkeit gelegen ist, dann hätte ich einen Rat: Sprechen Sie mit Markus Söder. Das ist derjenige, der sich der Einheitlichkeit gerade am allerdeutlichsten verweigert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler hat versprochen, die Änderungen durchzuführen, Herr Audretsch! Ihr Bundeskanzler! Was ist davon zu halten? Fallen Sie nicht Ihrem Bundeskanzler in den Rücken!)

Es geht also nicht um das Ob bei Bezahlkarten, darum geht es überhaupt nicht. Es geht auch nicht um die Frage der Einheitlichkeit. Beide Fragen sind abgeräumt, darum geht es dezidiert nicht. Was für uns aber tatsächlich wichtig ist – und das gehört zur Seriosität –,

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ha, Seriosität!)

ist die Frage, was wir mit einer solchen Bezahlkarte tatsächlich erreichen wollen. Ich will Ihnen gerne zwei Beispiele nennen. Wir alle kennen die Geschichten von Menschen, die viele Jahre hier bei uns leben, weil sie nicht zurückkönnen, von Kindern, die hier geboren werden, die hier in die Schule gehen, sechs Jahre hier sind, acht Jahre hier sind, zehn Jahre hier sind und Teil unserer Gesellschaft werden. Für uns Grüne zählt jedes einzelne dieser Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Erstes Beispiel. Welche Folgen hat es – vielleicht auch unbeabsichtigt –, wenn wir für diese Kinder den Zugang zu Bargeld deutlich einschränken? Sie können am Schulkiosk kein Brötchen mehr kaufen. Sie können im Secondhandladen keine gebrauchten Schuhe kaufen. Sie können auf Klassenfahrten als Einzige kein Taschengeld mitnehmen. Womöglich können sie auch den Beitrag im Sportverein nicht zahlen, wenn es auf dem Fußballplatz kein Kartenlesegerät gibt.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles gar nicht! Herr Audretsch, was erzählen Sie denn da?)

Es geht um Kinder, die dauerhaft hier leben, es geht um die Frage: Welche Folgen hat es für sie?

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Herr Audretsch, Sie haben es nicht einmal verstanden! Das ist ja wirklich skandalös! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ruhe! Jetzt hören Sie mal zu!)

Ein zweites Beispiel betrifft Menschen, die hier in die Schule gegangen sind, die Schule abschließen, ein Studium aufnehmen. Soll diesen jungen Menschen zugemutet werden, dass die Karte nur in einem Postleitzahlenbereich gilt? Wenn man Berlin als Beispiel nimmt: Heißt das, in Charlottenburg ja, in Pankow nein, in Neukölln auch nein? Im ländlichen Raum: Heißt das, die Karte gilt nur in einem Dorf, nur an dem kleinen Kiosk, nur an der Tankstelle, sonst nicht? Darum geht es. Das ist die Frage, die wir hier konkret und im Einzelnen prüfen müssen.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das ist absurd! Was sind das für Beispiele?)

Ich bin dankbar, dass einer Ihrer Innenminister, der Innenminister der CDU in Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, heute eine weitere wichtige Frage angesprochen hat. Es geht um das Risiko, dass Menschen durch ein Bargeldverbot im Zusammenhang mit solchen Bezahlkarten in die Fänge der Organisierten Kriminalität getrieben werden.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das will die CSU!)

Gut, dass Herr Reul heute versprochen hat – das sind Zitate von heute –, die Entwicklung genau im Auge zu behalten, und gut, dass das Bundesinnenministerium heute erklärt hat, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder die Entwicklung im Bereich der Organisierten Kriminalität aufmerksam beobachten, um zu verhindern, dass Menschen im Zusammenhang mit Bezahlkarten und einem Verbot von Bargeld in Schwierigkeiten geraten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Aber bei den Schleppern und Schleusern geht es, Herr Audretsch, oder? Ist das Ihre Auffassung? Na, super!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich bin dankbar für diesen ernsthaften Umgang mit dem Thema.

Abschließend: Bezahlkarten sind rechtssicher möglich.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Nein! Genau falsch, Herr Audretsch! Rechtspolitische Ignoranz!)

Belit Onay zeigt das. Bayern zeigt das.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir werden gründlich beraten müssen, wie wir mit den ernsten Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, umgehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Die heimlichen Verbündeten der OK!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Ich möchte Sie alle bitten, auf Ihre Redezeiten zu achten. Wir sind bei Sitzungsschluss 3 Uhr morgens.

Als Nächster erhält das Wort Jens Teutrine für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)