Rede von Ricarda Lang Aktuelle Europapolitik

Ricarda Lang MdB
07.06.2024

Ricarda Lang (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte das Glück, Teil einer Generation zu sein, die mit den Vorteilen Europas aufgewachsen ist: der Schüleraustausch mit Frankreich, beim Grenzübergang nicht den Pass zeigen zu müssen. Aber in den letzten Jahren ist mir klar geworden, dass ich damit vielleicht auch Teil einer Generation war, die vieles davon viel zu lange für viel zu selbstverständlich gehalten hat,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

die ein Gefühl hatte, dass Europa irgendwie immer da war und irgendwie auch immer da sein wird. Die letzten Jahre, nicht zuletzt der furchtbare Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, haben mir noch mal gezeigt, dass das alles andere ist als selbstverständlich.

Was es damals für ein humanitärer, für ein aufklärerischer, für ein menschlicher Akt war, dass die Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengekommen sind und gesagt haben: „Wir wollen zusammenarbeiten, statt uns zu bekriegen, lieber hundert Tage am Verhandlungstisch als eine einzige Nacht im Schützengraben“, das ist das Wunder Europas, und dieses Wunder werden wir verteidigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Wenn man ehrlich ist: „Wunder“ ist vielleicht eine etwas falsche Formulierung. Denn das klingt so, als wäre es vom Himmel gefallen, und das ist es bei Weitem nicht. Es wurde hart erarbeitet, es wurde viel dafür getan. Genauso müssen wir heute hart arbeiten. Denn dieses Europa muss sich in der Welt beweisen: Es muss sich sicherheitspolitisch beweisen, es muss sich beweisen, wenn wir Angriffe auf die Freiheit von außen und von innen erleben; aber es muss sich auch im internationalen Wettbewerb beweisen.

Eine Garantie dafür wurde mit dem European Green Deal geschaffen, mit dem wir Wohlstand, Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammenbringen. Jetzt stehen wir mit dieser Europawahl vor einer Richtungsentscheidung. Geht es weiter, oder legen wir jetzt den Rückwärtsgang ein? Bei einer Richtungsentscheidung braucht es Orientierung und klaren Kurs, aber die Union bietet genau das Gegenteil. Sie bietet einen Zickzackkurs. Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, hat vor einiger Zeit gesagt, der Green Deal sei der „Man on the Moon“-Moment für Europa. Nun stellen Sie sich mal vor, beim Weg zur Mondlandung hätte man nach der Hälfte der Strecke gesagt: Ach, das war uns zu anstrengend, wir gehen jetzt doch wieder zurück. – Dieser Zickzackkurs, er ist klimapolitisch schädlich.

Wir sehen gerade die Bilder. Ich war vor zwei Tagen in meinem Wahlkreis, wo Menschen aufgrund der Extremwetterereignisse alles verloren haben: ihr Hab und Gut, ihr Zuhause, ihre Existenz. Wir wissen: Es gibt keine direkte Korrelation zwischen einem Unwetter und der Klimakrise. Aber wir wissen auch, dass die Klimakrise solche Extremwettereignisse häufiger, wahrscheinlicher und weitreichender macht. Für die Menschen in den dortigen Gegenden wäre es ein Schlag ins Gesicht, wenn man jetzt beim Klimaschutz den Rückwärtsgang einlegen würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber machen nicht Sie das?)

Es ist aber genauso wirtschaftspolitischer Unsinn. Denn wir erleben ja ein internationales Wettrennen. Wir wissen schon heute, dass in Zukunft bezahlbare Elektroautos produziert werden. Die Frage, vor der wir stehen, ist nur: Werden sie in Europa produziert, oder werden sie in China produziert? Wenn man jetzt dem Green Deal den Kampf ansagt, dann setzt man sich dafür ein, dass nicht neue Jobs in Deutschland entstehen, sondern neue Jobs in China entstehen, und das ist nichts anderes als wirtschaftsfeindlich, liebe Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist für uns klar: Wir werden dafür sorgen, dass Europa Kurs hält. Wir werden unsere Wettbewerbsfähigkeit und unsere Natur schützen, und wir werden Europa zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsstandort machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der AfD)

Damit sich Europa beweisen kann, müssen wir zusammenarbeiten. Bei allen thematischen Unterschieden ist klar: Europa ist an sich ein riesengroßer Kompromiss. Europa lebt vom Kompromiss, davon, dass unterschiedliche Länder, unterschiedliche Parteien, Menschen mit unterschiedlichen Haltungen zusammenkommen, sich aufeinander zubewegen und miteinander Lösungen finden. Der Kompromiss ist aber nur dann als Wesenskern der Demokratie möglich, wenn gleichzeitig eine ganz klare Linie gezogen wird zu denen, die das demokratische Miteinander zerstören wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Union, hier auf nationaler Ebene haben Sie immer wieder gesagt: keine Kooperation, keine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften. Da fehlt mir jedes Verständnis, dass Ursula von der Leyen jetzt auf europäischer Ebene eine Zusammenarbeit im Europäischen Parlament mit der EKR-Fraktion, mit der italienischen Fratelli, mit der Vox-Partei, mit waschechten Rechtsextremen nicht ausschließen möchte. Ich kann Sie nur auffordern: Verlassen Sie diesen Kurs! Für uns ist ganz klar – und das sollte für alle Demokraten klar sein –: keine Kooperation mit Rechtsextremen im Europäischen Parlament.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn wir wollen, dass Europa sich beweist, dann braucht es Mut und Zuversicht; denn dieses Europa wurde auf Mut und Zuversicht aufgebaut. Wenn wir das nicht gehabt hätten, wenn unsere Vorfahren das nicht gehabt hätten, hätte es das niemals geben können. Und das werden wir auch heute an den Tag legen. Denn bei einem Rechtsruck ist nichts in Stein gemeißelt; das zeigen jetzt noch einmal die Wahlen in den Niederlanden. Wir haben es in der Hand.

Jetzt ist die Zeit, einzustehen für dieses Europa, einzustehen gegen diejenigen, die sich ins Europäische Parlament wählen lassen, um dort die Interessen von Putin und China zu vertreten, einzustehen gegen diejenigen, die dieses Europa kaputtmachen wollen. Denn: Ja, Europa ist ein Wunder. Dieses Wunder wurde uns geschenkt. Es wurde für uns erarbeitet. Wir werden es mit allem, was wir haben, verteidigen, und wir werden es ganz sicher niemals seinen rechtsextremen Feinden überlassen.

Vielen, vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Gunther Krichbaum.

(Beifall bei der CDU/CSU)