Drei Hebel für mehr Klimagerechtigkeit

In allen Bereichen ist der Umstieg auf moderne klimafreundliche Technologien in vollem Gange. Aber nicht überall gleichermaßen schnell und nicht für alle sind Investitionen gleichermaßen zu stemmen. Welche Rolle kann der Strompreis spielen? Wie geben wir es Kommunen und Bürger*innen mit Energy-Sharing-Konzepten selbst in die Hand, von wem sie günstigen erneuerbaren Strom beziehen? Und wie nehmen wir Konzerne in Verantwortung, die maßgeblich für die enormen Schäden klimabedingter Extremwetter verantwortlich sind?

Mit der grünen Trendwende der vergangenen drei Jahre ist die Richtung klar eingeschlagen: Klimaneutrale Lösungen entwickeln sich im Verkehr, beim Heizen und bei der Stromversorgung zum Standard oder sind auf dem Weg dorthin. Die First-Mover wohnen in Passivhäusern, haben ökologisch saniert und laden ihr E-Auto an der eigenen Solaranlage. Aber in den nächsten fünf Jahren erwarten uns neue Herausforderungen der Transformation, denn nicht für alle ist der Umstieg auf klimafreundliche Alternativen wie ein E-Auto oder eine Wärmepumpe so leicht möglich und klimagerechte Mobilität und Energieversorgung werden noch nicht ausreichend kollektiv bereitgestellt. Insbesondere Mieter*innen haben beispielsweise wenig Einflussmöglichkeiten auf die Stromerzeugungs-, Lade- und Heizungsinfrastruktur. Erste Antworten haben wir mit der gesetzlichen Regelung zur Aufteilung des CO2-Preises zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen schon gegeben, aber weitere Schritte müssen jetzt gegangen werden. Auch Energieeffizienz und Energieeinsparung werden künftig relevanterer Teil der Gerechtigkeitsdebatte und Lösung sein müssen, denn bei ineffizient wachsendem Energiebedarf würden die Klimaziele erst mit deutlicher Verzögerung erreicht, weil diese Menge Erneuerbare nicht rasch genug zur Verfügung stehen.

Nachdem wir die Wende zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen eingeleitet haben, erwarten uns in den nächsten fünf Jahren neue Herausforderungen. Da die Vorgängerregierungen zu lange gezögert haben, muss der Wandel nun in größeren Schritten geschehen – und gleichzeitig findet eine Modernisierung in unterschiedlichen Geschwindigkeiten statt. Während die Investition in sauberen Strom schon in vollem Gange ist, steht sie im Bereich Wärme und Gebäude noch ziemlich am Anfang. Der richtige Weg für die nächsten Schritte ist eine sozial aufmerksame Klimapolitik.

Es ist keine Option – in unser aller Interesse als Bürger*innen – nur zu 50 Prozent klimaneutral zu werden. Wir müssen den ganzen Weg gehen. Sonst drohen noch ungekannte Härten einer eskalierenden Klimakatastrophe. Die nötigen Aufgaben vor der Klimadeadline, wie Investitionen in Fernwärmenetze oder Ladesäulen für Elektroautos können wir dabei nicht erst kurz vor knapp angehen und schlagartig alle Investitionen nachholen, sie müssen jetzt laufen und wir können uns keine Umwege mehr leisten.

Dazu muss erfolgreicher Klimaschutz in den nächsten Jahren immer ermöglichen, mitnehmen und fördern. Ein guter Anfang ist der in dieser Legislatur eingeführte besondere Bonus für Menschen mit niedrigem Einkommen beim Austausch der Heizung, mit dem die Förderung bis zu 70% der gesamten Investitionssumme betragen kann. Oft sind die besonders klimagerechten Lösungen abhängig von öffentlicher Infrastruktur, wie zum Beispiel einer funktionierenden Bahn, einem gut ausgebauten ÖPNV, sicheren Radwegen oder effizienten Wärmenetzen.  Wir müssen jetzt dringend klären, wie wir klimagerechte Lösungen rechtzeitig für alle zur Verfügung stellen. Denn damit ermöglicht die Gemeinschaft auch denen ein klimaneutrales Leben, die eigene Investitionen absehbar nicht stemmen können. Damit stehen Umverteilungs- und Gerechtigkeitsfragen zentral in einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik.

Günstiger grüner Strom für alle: alle Haushalte entlasten

Der Weg aus der Klimakrise führt in nahezu allen Fällen von fossilen Brennstoffen zu grünem, erneuerbar produziertem Strom. Die sichtbaren Erfolge der vergangenen drei Jahre machen Mut und zeigen, dass wir große Schritte in diese Richtung bereits unternehmen: Rekordausbau bei Solarkraftwerken, endlich wieder ein Anstieg der Genehmigungen bei Windenergie und ein Erneuerbaren-Stromanteil von inzwischen rund 60 Prozent. Grüner Strom senkt die Preise an der Strombörse, längst kann er günstiger produziert werden als fossiler oder Strom aus Atom. Aber dieser Preisvorteil kommt noch nicht genug bei den Menschen an, die ihren Strom nicht direkt an der Börse kaufen können. Deshalb schlagen wir vor, alle Haushalte in Deutschland bei ihrer Stromrechnung zu entlasten. Nach der Abschaffung der EEG-Umlage ist der größte staatliche Anteil am Strompreis der Bürger*innen die Mehrwertsteuer auf Strom. Diese staatlichen Anteile sollten zumindest für eine Zeitlang so gesenkt werden, dass die günstigen Börsenstrompreise direkt bei den Menschen ankommen. Mit einer Entlastung bei den staatlichen Preisbestandteilen wird die Zeit überbrückt, bis die vollen Preissenkungspotenziale durch Erneuerbare und Flexibilisierung bei den Endkund*innen in der Breite angekommen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Effizienzanreize nicht verloren gehen sollen und es sich perspektivisch besonders für diejenigen bezahlt macht, die ihren Verbrauch mit Blick auf Verfügbarkeit von Wind und Sonne flexibilisieren. Vorstellbar ist, dass Entlastungen bei den staatliche Preisbestandteilen so gestaltet werden, dass Haushalte in den nächsten Jahren stärker entlastet werden als in den Jahren danach und der Spareffekt sowie der Anreiz zur raschen Umstellung im Wärme- und Mobilitätsbereich damit besonders hoch sind. Außerdem geben wir so das klare Zeichen: Grüner Strom statt schmutzigem Gas oder Öl ist der Weg nach vorne.

Energy-Sharing: Unser eigenes Kraftwerk – Teilhabe an der Energieinfrastruktur von morgen

Das trifft auch auf die eigene Produktion von Strom vom Nachbarschaftsdach in der Stadt oder vom Windrad des Bauern auf dem Dorf zu. Bisher war es dazu aber nötig, das nötige Kapital und am besten das entsprechende Dach oder Grundstück parat zu haben. Viel mehr bringt es, wenn Strom vor Ort geteilt wird. Zwar sind mit den weitreichenden Erleichterungen bei der Installation von Balkonkraftwerken inzwischen viel mehr Menschen in der Lage, zumindest einen Teil ihres Verbrauchs durch eigenen Sonnenstrom zu decken, aber das echte, große Potential zur Teilhabe an der Energiewende ist damit noch nicht ausgeschöpft. Wo die Energiewende begann, vor Ort, dezentral und bürger*innennah, kann sie auch im Stromsystem der Zukunft den nächsten Sprung nehmen. Auf der Basis einer modernen Digitalisierung bei Verbraucher*innen und Betreiber*innen der erneuerbaren Kraftwerke kann Strom in Zukunft vor Ort geteilt werden. Die Ersparnis ergibt sich durch die zeitliche Verschiebung des Verbrauchs in der Zeit, in der lokal viel Strom produziert wird. Die Nachbarschaft wird flexibel und produziert und verbraucht dann, wenn es sinnvoll für das Gesamtsystem ist. Den Rahmen dafür gibt die EU bereits mit dem Konzept des Energy Sharing vor, erste Umsetzungsschritte sind noch in dieser Legislatur geplant. Ambitioniert umgesetzt, ermöglicht es sowohl, dass Bürger*innen vor Ort gemeinsam ein Kraftwerk besitzen und sich dadurch versorgen, aber auch den nicht verbrauchten Strom an die Nachbarschaft abgeben können. Das bedeutet für Bürger*innen, dass sie ihren Stromverbrauch günstig aus der eigenen PV oder dem Windrad des Nachbarn decken können. Aber auch das lokale Stadtwerk kann den Überschuss von der lokalen Turnhalle günstig verteilen. Da Strom insbesondere dann günstig ist, wenn viel erneuerbarer Strom verfügbar ist, nutzt ein flexibler Verbrauch sowohl dem eigenen Geldbeutel als auch dem Klima.

Unsere Vision ist ein voll digitales, dynamisch reagierendes Versorgungssystem vor Ort, das nicht nur Versorgung und Teilhabe für die Menschen ermöglicht, sondern auch auf die Ansprüche und den Flexibilitätsbedarf der Stromnetze reagiert.

Make Polluters pay – Gerechte Finanzierung der Klimaschäden

Doch wo die Zukunft sauber, sozial und durch die Teilhabe möglichst vieler Menschen an der Transformation gekennzeichnet ist, werden auch die Schäden und Zerstörungen der fortschreitenden Klimakrise sichtbarer werden. Deshalb sollten Schäden und Kosten besonders von denen ausgeglichen werden, die mit Umweltverschmutzung große Gewinne machen konnten, weil sie die Folgen an andere ausgelagert haben.

Die Debatte über „polluters pay“ wird international bereits geführt, aber es zeigt sich, dass bei bestehenden Bepreisungssystemen, wie dem europäischen Emissionshandel, zahlreiche Ausnahmen und Abweichungen von diesem Prinzip gibt. Auch stellt sich die Frage, warum die zunehmenden Schäden durch weggeschwemmte Häuser und Straßen, verdorrte oder abgesoffene Ernten allein von einzelnen Betroffenen oder der solidarischen Gemeinschaft gezahlt werden sollten, wenn sie doch das Resultat von Geschäftsmodellen wie Öl- und Gasbohrung sind, mit denen in den letzten vierzig, fünfzig Jahren riesige Vermögen angehäuft wurden. In einem Jahr, in dem der Schutt der Fluten aus dem Frühsommer noch nicht beseitigt ist, wenn bereits die nächsten Flutwellen im Spätsommer rollen, ist es legitim und angemessen, diese Fragen zu stellen.

Während auf der einen Seite Milliardenschäden entstehen, werden auf der anderen Seite durch fossile Konzerne - besonders die Öl- und Gaskonzerne - Milliardenprofite eingefahren und das Geschäft läuft weiter. Ähnlich sieht es bei den Fonds und Rücklagen für Ewigkeitskosten zum Beispiel bei Atomkraft oder Braunkohle aus, die voraussichtlich noch nicht einmal die von Klimaschäden unabhängigen Kosten decken werden. Daher sollte über einen Klimaschäden-Hilfsfonds nachgedacht werden. International werden verschiedene Finanzierungsmodelle diskutiert, wie ein solcher Fonds gefüllt werden kann. Konkrete Schritte dorthin müssen auch für Deutschland identifiziert werden. Im Raum stehen beispielsweise Übergewinnsteuern für fossile Konzerne oder eine Gewinnabführung speziell auf Börsengeschäfte mit fossilen Anlagen, ebenso wie Extraktionsabgaben direkt bei der Gewinnung fossiler Brennstoffe. In den USA erlassen erste Bundesstaaten bereits Gesetze für die Finanzierung von Klimaschäden durch fossile Konzerne. In anderen Bereichen als der Klimapolitik wird die Verantwortung der Verursacher*innen von Schäden ebenfalls verschärft, so wird zum Beispiel in der EU eine Verursacherverantwortung der Pharmabranche für durch Medikamente verschmutztes Wasser eingeführt.

Die Klimakrise wird weitere Schäden nach sich ziehen. Ohne gesellschaftlichen Zusammenhalt werden vor allem Menschen mit geringen finanziellen Mitteln unter ihr leiden. Sie können zerstörtes Hab und Gut nicht ersetzen, wenn der Dorfbach über die Ufer tritt, in den Städten wohnen sie an besonders heißen und lauten Straßen. Wir wollen, dass unsere Orte bewohnbar bleiben.  Für uns ist das ein zentrales Projekt der Klimagerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit.

 

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Diese Zukunftsidee ist auch Teil des Thesenpapiers "Mut macht Zukunft! Für ein Land, das einfach funktioniert"


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