Herbe Enttäuschung für Klima und Gerechtigkeit: Koalitionsvertrag der Rückwärtsgewandten

  • Rolle rückwärts in der Klima- und Umweltpolitik: Der Koalitionsvertrag sabotiert den Klimaschutz durch Festhalten am späten Kohleausstieg, Förderung fossiler Technologien wie Gas und CCS, Rollback beim Heizungsgesetz und Aufweichung von Umweltstandards in der Landwirtschaft.
  • Sozialer Rückschritt und Ungerechtigkeit: Die geplante Bürgergeld-Reform verschärft Sanktionen und schwächt die soziale Absicherung, während Steuergeschenke und verfehlte Arbeitsmarktanreize soziale Ungleichheiten eher verstärken als bekämpfen.
  • Sinnlose Härte in der Migrationspolitik und Angriff auf Bürgerrechte: Die Koalition setzt auf Symbolpolitik bei Asyl und Migration mit Fokus auf Abschottung, während gleichzeitig Überwachungsbefugnisse massiv ausgeweitet werden sollen.

Der vorgelegte Koalitionsvertrag von Union und SPD ist eine bittere Enttäuschung für all jene, die auf echten Fortschritt für unser Land gehofft hatten. Statt mutiger Antworten auf die drängenden Krisen unserer Zeit – Klimakrise, Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen soziale Ungerechtigkeit, Angriffe auf unsere Demokratie von innen und außen – präsentiert diese Koalition ein Dokument des Stillstands und des Rückschritts. Für uns Grüne im Bundestag ist klar: Dieser Vertrag zementiert veraltete Strukturen, gefährdet unsere Zukunft und ignoriert die Notwendigkeit einer grundlegenden sozial-ökologischen Transformation. Lösungen für die drängendsten Probleme in unserem Land werden in Kommissionen verlagert. Und trotz Grundgesetzänderung und Sondervermögen steht in diesem Koalitionsvertrag alles unter Finanzierungsvorbehalt. Das heißt: der Streit über die Finanzierung wird einfach nur aufgeschoben. 

Klima- und Umweltpolitik auf dem Abstellgleis

Wir Grünen haben ja erwartet, dass Klimaschutz bei einem schwarz-roten Koalitionsvertrag zur Randnotiz wird – dass die nächsten vier Jahre Stillstand bedeuten würden. Doch was jetzt vereinbart wurde, geht weit über bloßen Stillstand hinaus: Es ist ein aktiver Rückbau klimapolitischer Errungenschaften. Es ist eine Politik, die mutlos ist, rückwärtsgewandt – und damit gefährlich.

Angesichts des bereits heute spürbaren Ausmaßes der Klimakrise – mit brennenden Wäldern, Wassermangel in einigen Regionen und Überflutungen in anderen – wäre ein Nichtstun schon verantwortungslos genug gewesen. Aber CDU/CSU und SPD legen sogar den Rückwärtsgang ein. Sie wollen Kohlekraftwerke länger laufen lassen, neue fossile Gaskraftwerke ohne Wasserstoff-Perspektive bauen – ausgestattet mit CCS, als wolle man sich noch möglichst lange an fossile Strukturen ketten. Beim Deutschlandticket soll der Preis steigen – nachhaltige Mobilität wird so bewusst unattraktiver gemacht.

Und es geht weiter: Unter dem Deckmantel angeblichen Bürokratieabbaus sollen Umweltverbände und engagierte Bürger*innen in ihren Möglichkeiten beschnitten werden. Beteiligungsrechte, Auskunftspflichten – all das, was demokratische Kontrolle und Teilhabe sichert, wird zurückgefahren. Wer auf eine aktive Zivilgesellschaft setzt, wird mit dieser Koalition enttäuscht.

Auch beim Wohnen fehlt jede soziale Handschrift. Anstatt Mieter*innen langfristig vor steigenden Kosten zu schützen, gibt es nur vage Versprechen auf Neubau – irgendwann. Effektive Maßnahmen zur Begrenzung von Mietpreisen fehlen.

Statt mit den begrenzten öffentlichen Mitteln zielgerichtet zu entlasten, setzt diese Koalition auf teure Klientelpolitik – wie die Subventionierung des Agrardiesels. Während viele Menschen auf bezahlbare Energie und verlässliche Infrastruktur angewiesen sind, wird das Geld dort ausgegeben, wo es am wenigsten zum Klimaschutz oder zur sozialen Gerechtigkeit beiträgt.

Das Klimaziel 2030 wird mit diesem Koalitionsvertrag de facto aufgegeben. Union und SPD planen den Bruch des geltenden Klimaschutzgesetzes – und das mit Ansage. Das ist nicht nur rechtlich fragwürdig, es ist vor allem eines: verantwortungslos gegenüber der jungen Generation, die ein Recht darauf hat, in Freiheit, Selbstbestimmung und ökologischer Sicherheit zu leben. 

Konservatives Rollback und Symbolpolitik bei der inneren Sicherheit

Im Bereich Flucht und Migration wird mit Symbolpolitik Humanität über Bord geworfen und auf Verunsicherung und Verschärfungen gesetzt. Legale Zugangswege werden abgeschafft – zulasten insbesondere von Frauen und Kindern. Mit Zurückweisungen an der Grenze setzt die Koalition auf nationale Abschottung statt auf europäische Solidarität – ein fatales Signal in diesen Zeiten. Auch im Staatsbürgerschaftsrecht werden Verschärfungen angekündigt. All das droht Menschen abzuschrecken, die wir als Fach- und Arbeitskräfte dringend benötigen.

Bürgerrechte werden bei Schwarz-Rot klein geschrieben. Statt evidenzbasierter Kriminalpolitik liegt der Schwerpunkt auf symbolischen Strafverschärfungen, Entgrenzung von Ermittlungsbefugnissen und anlassloser Überwachung, zum Beispiel Vorratsdatenspeicherung. Prävention hingegen spielt gar keine Rolle. Schwarz-Rot wird somit dem Bundesverfassungsgericht wieder viel Arbeit machen. Und die Sicherheit in unserem Land nimmt Schaden, denn wirksame, aber grundrechtsschonende Mittel bleiben ungenutzt.

Schwarz-Rot steht auch gesellschaftspolitisch für einen Rollback. Das trifft auch die demokratische Zivilgesellschaft. Trotz schöner Worte säen die vereinbarten Maßnahmen ein Klima des Misstrauens. Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten wie Verbandsklagerechte sollen einschränkt werden. Das zeugt von einem überholten Staatsverständnis.

Die neuen hybriden Bedrohungen einschließlich Desinformation werden weiterhin nicht ernst genug genommen. Die Ankündigungen hierzu bleiben äußerst vage. Ob die Koalition zu einer kohärenten Digitalpolitik findet, scheint zweifelhaft. Ein Digitalministerium macht noch keinen digitalpolitischen Frühling. 

Auf Trump, Putin, Xi und das drohende „Ende des Westens“ hat diese Koalition keine Antwort 

Zwar sind im außen-, europa- und sicherheitspolitischen Teil des Koalitionsvertrags einige sinnvolle Passagen zu finden. Dass der Ausbau der Gesamtverteidigungsfähigkeit nun finanziell außerhalb der Schuldenbremse möglich ist, haben wir mit erstritten. Dass die Ukraine weiterhin effektiv unterstützt werden soll, begrüßen wir. Was genau das allerdings heißen soll, bleibt – wie vieles andere – offen. Und nur weil es in einigen Bereichen nicht ganz so schlimm gekommen ist, wie viele befürchtet haben (zum Beispiel Abschaffung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Wiedereinführung der alten Wehrpflicht, Verlagerung der Europakoordination ins Kanzleramt) heißt das nicht, dass die kleine Koalition gut aufgestellt ist und alte verheerende Fehler (zum Beispiel die Fortführung von NordStream 1 und 2, Rüstungsexporte an Autokraten) ausschließt. Die Situation in den USA und ihre Auswirkungen auf Deutschland und die EU erwähnt der Vertrag mit keinem Wort. Viel Bekenntnis, wenig Inhalt: Auf Trump, Putin, Xi und das drohende „Ende des Westens“ hat diese Koalition keine Antwort.

Der Koalitionsvertrag zeigt ein Zurück in eine alte, vorrangig interessengeleitete Politik und einen provinziellen Ansatz, der den außenpolitischen Herausforderungen nicht angemessen ist. 

Europapolitisch bleibt die Koalition ambitionslos, auch was Reformen anbelangt. Menschenrechte spielen (zum Beispiel bei Rüstungsexporten und Lieferketten) kaum noch eine Rolle. In der Entwicklungszusammenarbeit kürzt Schwarz-Rot die Mittel. Von internationalem Krisenmanagement und Rüstungskontrolle ist keine Rede mehr. Sicherheitspolitik wird wieder stärker als Verteidigungs- und Rüstungsbeschaffungspolitik verstanden. Die Erkenntnis, dass innere und äußere Sicherheit, zivile, nachrichtendienstliche und militärische Instrumente, Krisenprävention und Verteidigungsfähigkeit, aktives Eintreten für das Völkerrecht und eine regelbasierte Ordnung zusammengehören, scheint hier nicht durchgedrungen zu sein. Wo dieses Verständnis fehlt, hilft auch ein Nationaler Sicherheitsrat als Stuhlkreis im Kanzleramt nicht weiter.

Mutlosigkeit und Stagnation bei Pflege, Familien und Gleichstellung

Die Mutlosigkeit dieser Koalition zeigt sich auch in der Gesundheitspolitik. So bleibt völlig unklar, wann und wie Pflege- und Krankenversicherung stabilisiert werden sollen. Diese dringenden Entscheidungen werden in eine Kommission und damit auf die lange Bank geschoben – zulasten der Bürger*innen, die mit steigenden Beiträgen rechnen müssen. Bereits begonnene Strukturreformen wie bei den Krankenhäusern werden hingegen verwässert.

Maßnahmen zur Partnerschaftlichkeit bei jungen Eltern, wie eine Familienstartzeit, bleiben aus. Beim Elterngeld überwiegen vage Ankündigungen. Geplante Maßnahmen gegen Kinderarmut, wie die Zusammenführung von Kinderzuschlag und Wohngeld, begrüßen wir – nun kommt es auf die Umsetzung an. 

Impulse für Gleichstellung von Frauen und Männern bleiben vage – § 218 StGB bleibt unverändert bestehen, Gleichstellung in der Privatwirtschaft fehlt und die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen im Parlament soll im gleichen Format erneut geprüft werden. Dies lässt wenig Hoffnung auf konkretes und zügiges Handeln.

Im Kulturbereich soll einiges, das wir angestoßen haben, wie der Kulturpass oder die Green Culture Anlaufstelle, fortgeführt werden. 

Für zukunftsorientierte Bildungspolitik haben wir mit der Grundgesetzänderung der kommenden Koalition den Spielraum für Milliardeninvestitionen ermöglicht. Der Koalitionsvertrag bleibt aber unambitioniert: Ein bisschen für Bau und Sanierung, ein bisschen Digitalisierung, ein bisschen mehr Zusammenarbeit im Bildungsföderalismus. Und das alles unter Finanzierungsvorbehalt.

Zukunftsvergessen und  ideenlos

Im Bereich Arbeit und Soziales ist der Koalitionsvertrag ein Angriff auf den Sozialstaat. Das Bürgergeld, unser Versuch, Menschen Sicherheit und Perspektiven zu geben, wird faktisch abgewickelt. Die Folge: Schnellstmögliche Vermittlung auch in prekäre Jobs statt Qualifikation, nicht auskömmliche Regelsätze und Sanktionen bis zum Totalentzug. Gleichzeitig schwächt die geplante Aufweichung der Höchstarbeitszeit zugunsten einer Wochenarbeitszeit die Position von Beschäftigten, während über den Mindestlohn gestritten wird und echte Fortschritte Mitbestimmung vage bleiben. 

Die Rentenpolitik ist ein teures, planloses Sammelsurium ohne nachhaltiges Konzept, das die Finanzierungsprobleme angesichts der Demografie massiv verschärft. Für die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme werden die drängenden Fragen nicht beantwortet, sondern in eine Kommission verschoben. Allein auf die Finanzierung der Mütterrente konnten die Koalitionäre sich einigen – für die jungen Generationen bleiben Perspektiven für ihre Altersversorgung allerdings aus. 

Bei Haushalt und Steuern fehlt jede Vision. Statt klarer Prioritäten für Zukunftsinvestitionen werden Milliarden für rückwärtsgewandte Subventionen und Geschenke wie Agrardiesel, Pendlerpauschale und Gastro-Mehrwertsteuer verplant. Trotz Grundgesetzänderung und Sondervermögen ist der Koalitionsvertrag nicht gegenfinanziert. Steuererleichterungen für Konzerne und Besserverdienende verschärfen die Ungleichheit, während die Erbschaftsteuer unangetastet bleibt. Dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) droht die Zweckentfremdung für Steuersenkungen statt für zusätzliche Klimaprogramme.

Auch wirtschaftspolitisch ist der Vertrag unambitioniert und schafft keine Planungssicherheit. Echte Antworten auf Fragen der Wirtschaftssicherheit oder der Gleichstellung von Frauen fehlen völlig.

Fazit: Eine kraftlose Koalition ohne Zukunftsvision

Dieser Koalitionsvertrag ist kein Aufbruch, sondern ein Festhalten an überholten Konzepten. Er liefert keine Antworten auf die zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Klimaschutz wird zur Nebensache degradiert, soziale Gerechtigkeit ausgehöhlt und Bürgerrechte werden leichtfertig geopfert. Wir Grüne im Bundestag werden diesem Kurs des Rückschritts im Parlament entschieden entgegentreten und weiterhin für eine Politik kämpfen, die unsere Zukunft sichert: ökologisch, gerecht und weltoffen.