Sanierungswelle mit der EU-Gebäuderichtlinie
Veranstaltungsdetails
Über die Veranstaltung
- Zeit für die nationale Umsetzung der Europäischen Gebäuderichtlinie (EPBD) ist angebrochen
- Ausgestaltung der Richtlinie ist Chance für bessere Datengrundlagen, sozialeren Rechtsrahmen und effektiveren Klimaschutz im Gebäudesektor
- Mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) sind wir bereits auf einem guten Weg, gleichzeitig sind noch einige konzeptionelle Fragen offen
Mit der Europäischen Gebäuderichtlinie hat die EU einen starken Rahmen für den klimaneutralen Gebäudebestand in Europa bis 2050 geschaffen. Diesen Rahmen gilt es nun bis Ende Mai 2026 in nationales Recht umzusetzen. Um diesen Prozess bestmöglich vorzubereiten und zu begleiten, sind wir als Bundestagsfraktion bei dem von Kassem Taher Saleh (Obmann im Bauausschuss) moderierten Fachgespräch am 27.09.2024 frühzeitig mit den beteiligten Ministerien sowie Wissenschaftler*innen und Verbänden in den Dialog getreten.
In der politischen Einführung wirft Dr. Julia Verlinden(stellvertretende Fraktionsvorsitzende) zunächst einen Blick in die Vergangenheit. Im Jahr 2022 hat Russland infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine kein Gas mehr geliefert und die Preise von fossilen Energieträgern schnellte in die Höhe. Es war unklar, ob alle Wohnungen warm bleiben würden. Deswegen hat die Bundesregierung 200 Milliarden Euro in die Hand genommen um, eben jene fossile Energieträger zu subventionieren und Heizen für alle bezahlbar zu halten. Hier wurde offenbar, dass eigentlich besser zehn Jahre vorher in Erneuerbare Energien investiert worden wäre, um solche Notlagen zu vermeiden.
Dr. Julia Verlinden betont, dass die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz sowohl politisch als auch gesellschaftlich eine große Herausforderung war, allerdings im positiven Sinne dafür gesorgt hat, dass ich jede und jeder mit ihren und seinem Heizungskeller beschäftigt hat. Und wir sehen heute: das Gebäudeenergiegesetz wirkt, die Förderung für den Heizungstausch wird verstärkt nachgefragt und die die Wärmewende ist in vollem Gange.
Aus Verlindens Sicht ist die europäische Gebäuderichtlinie der nächste wichtige Meilenstein im Gebäudesektor, um den Fokus auf die Gebäudehülle und die Energieeffizienz zu lenken. Dabei geht es nicht nur um Klimaschutz, sondern auch darum, Menschen vor zu hohen Heizkosten schützen und Bezahlbarkeit sicherzustellen. Dies lohnt sich auch ökonomisch, denn eine Verfehlung der europäischen Klimaziele im Effort Sharing würde uns teuer zu stehen kommen. Deswegen ist das Ziel, gute politische Rahmenbedingungen für die nationale Umsetzung zu schaffen.
Beim anschließenden Panel mit dem Titel „Wege zu einem klimaneutralen Gebäudebestand“ diskutieren Christina-Johanne Schröder (Sprecherin für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen), Christian Maaß (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz), Dr. Sibylle Braungardt (Öko-Institut e.V.) und Dr. Ines Verspohl (Zukunft KlimaSozial - Institut für Klimasozialpolitik) insbesondere die nationale Umsetzung insbesondere hinsichtlich Fragen des klimapolitischen Ambitionsniveaus sowie der Sozialverträglichkeit.
Es besteht Einigkeit darüber, dass es ein Erfolg ist, dass die europäische Gebäuderichtlinie verabschiedet werden konnte, obgleich es gut gewesen wäre, wenn sich auch auf konkrete Sanierungspfade für Wohngebäude hätte geeinigt werden können.
Die Panelist*innen sind sich ebenfalls einig, dass die 65%-Regel für erneuerbares Heizen aus dem Gebäudeenergiegesetz bereits einen guten ersten Schritt Richtung Zielerreichung darstellt, allerdings braucht es nun auch noch den Fokus auf Sanierung – hin zu energetisch schlechtesten Gebäuden. Hier ergeben sich viele offene konzeptionelle Fragen für die Umsetzung, in Deutschland noch weit von der Einführung sogenannter Mindesteffizienzstandards (MEPS) entfernt sind. Das BMWK legt nun die Grundlagen für die nationale Umsetzung mit einem umfangreichen Gutachten.
Insbesondere aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft werden noch Umsetzungs- und Verbesserungsvorschläge eingebracht, u.a.:
- Auch die Sanierungsförderung müsste sozial gestaffelt werden.
- Es werden dringend Daten über den Gebäudebestand benötigt
- Die soziale Perspektive und das Thema Energiearmut müssen in der Umsetzung besonders bedacht werden, hier sollte sich am Drittelmodell und der Warmmietenneutralität orientiert werden
- Vom Vorgehen her wäre es gut, erst die Förderprogramme und dann den ordnungsrechtlichen Rahmen zu schaffen.
In seiner politischen Einordnung zeichnet der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Wenzel (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) das große Bild. Er betont, dass die europäische Gebäuderichtlinie einen wesentlichen Beitrag zu den klimapolitischen Herausforderungen in den Sektoren Gebäude und Verkehr leisten kann. Er betont vor allem die sozialpolitische Verantwortung, weil auch der zweite europäische Emissionshandel (ETS2) ab 2027 für die Sektoren Gebäude und Verkehr greift. Somit lohnen sich die Investitionen in Sanierung und erneuerbares Heizen auch aus ökonomischer Sicht. Für den sozialen Ausgleich ist insbesondere der Klimasozialfonds wichtig. Das CO2KostenaufteilungsG, welches seit 2023 gilt, sieht er als ersten Hebel, um Mieter*innen vor steigenden CO2-Preisen im Wärmebereich zu schützen.
Aus Wenzels Sicht stellt die EPBD einen guten Kompromiss dar und adressiert viele wichtige Themen. Dabei ist es besonders wichtig, Überforderungen für Mieter*innen und Eigentümer*innen zu vermeiden. Auch er rekurriert auf die Risiken aus dem Sommer 2022, wo mit der Gas- und Strompreisbremse eine harte Krise abgewendet werden konnte.
Nun sieht er Kommunikation als entscheidenden Faktor, um mit guter Beratung für Einzelpersonen, finanzielle Unterstützung und best practice Beispielen ein gutes Fundament für die nationale Umsetzung aufzubauen. Der gesellschaftliche Diskurs ist dabei wichtig, um bereits heute Schwachstellen zu identifizieren und bei der Umsetzung zu vermeiden.
Workshops:
Workshop 1: Wohngebäude sanieren – Energieverbrauch im Bestand senken
Nach einer kurzen Einführung durch Kassem Taher Saleh MdB präsentiert Dr. Kjell Bettgenhäuser (Guidehouse) den Regulierungsrahmen für den Wohngebäudebestand, der von der EPBD umrissen wird. Denn gleichzeitig sind ebenfalls die EU-Effizienzrichtlinie und die europäischen Klimaziele umzusetzen. Für die nationale Umsetzung dieses Dreiklangs sind weitere Maßnahmen notwendig, um allen europäischen Anforderungen gerecht zu werden. Eine tragende Rolle kommt dabei dem Gebäudebestand zu, in dem am meisten Emissionen und Energie eingespart werden können. Besonders relevant sind dazu in der EPBD die Definition des Nullemissionsgebäudestandards, der zeitliche Verlauf der Mindestenergieanforderungen an Wohn- und Nichtwohngebäude sowie die nationalen Gebäuderenovierungspläne in denen jeweils Effizienz und Erneuerbare Energien, also die Potenziale der Gebäudehülle und der Wärmeversorgung, zusammengedacht werden müssen.
Neben der CO2-Bepreisung ab 2027 durch den ETS2 einerseits und Ordnungsrecht verbunden mit zielgruppenspezifischer Förderung andererseits, schlägt Guidehouse weitere mögliche Maßnahmen vor:
- Individueller Sanierungsfahrplan für jedes Gebäude (mit Check-Box-System)
- Degressive Fördersätze über die Zeit, um neben Instandhaltungs- auch weitere Maßnahmen anzureizen
- Planungssichere unbedingte Mindestanforderungen im Zeitverlauf
- Kapazitäten in Handwerk und Planung erhöhen
In der gemeinsamen Diskussion wird die Wichtigkeit von Planungssicherheit bzw. frühzeitigem Agieren herausgestellt, um einen stärkeren Regulierungsdruck in der Zukunft zu vermeiden. Eine breite Akzeptanz durch umfassende Kommunikation und Beratungsangebote sind von größter Wichtigkeit, um auf Umsetzungsvorgaben und Fristen aufmerksam zu machen. Die Teilnehmenden sind sich einig, dass das grundsätzliche Vollzugs- und Datendefizit im Gebäudesektor, bspw. bei Energieausweisen und Informationen zu Haushalten und Fördermittelempfänger*innen strukturell angegangen werden müssen. Außerdem sollte das Potenzial niedriginvestiver Maßnahmen genutzt werden.
Workshop 2: Kalte Wohnungen im Winter verhindern – Förderungen und Rahmenbedingungen gegen Energiearmut
Nach der Begrüßung von Hanna Steinmüller MdB folgt der Impuls von Dr. Katja Schumacher (Öko-Institut) in dem zunächst auf die Bedeutung von Energiearmut eingegangen wird. Auch wenn es bislang keine einheitliche Definition gibt, lassen sich gemeinsame Einflussfaktoren, niedriges Einkommen, geringe Energieeffizienz und hohe Energiekosten, identifizieren, wovon etwa 8-10% der deutschen Haushalte betroffen sind, mit steigender Tendenz. Problematisch ist, dass eine verlässliche Datengrundlage, wie ein Gebäudekataster, insbesondere der energetisch schlechten Mehrfamilienhäuser, bislang fehlt. Auch mangelt es an struktureller Unterstützung, etwa beim Zugang zu Beratung, oder digitalen Fördermittelanträgen. Diese sind jedoch essenziell, da es neben dem Klimasozialfond weiterer Förderung insbesondere für den sozialen Wohnungsbau, oder die von sozialen Trägern genutzten sogenannten Worst Performing Buildings braucht. Auch sollte die Modernisierungsumlage sozial gestaffelt werden. Denn die Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden hat den größten Einfluss auf den Energieverbrauch, wohingegen individuelles Verhalten nur einen geringen Anteil von etwa 10% ausmacht. Insgesamt sollten Angebote wie der Einkommensbonus in der Heizungsförderung ausgebaut werden, sodass auch Haushalte mit niedrigem Einkommen, die mittelfristig auf fossile Energien angewiesen bleiben, stärker an der Energiewende partizipieren können.
Im Anschluss unterstreicht Dr. Birgit Fix (Caritas), dass Menschen mit geringem Einkommen oder Grundsicherungsbezug häufig in energetisch schlecht sanierten Wohnungen leben, was mit hohen Energiekosten einhergeht. Dabei ist bspw. Warmwasserbereitstellung über Strom im Regelbedarf nicht abgedeckt, was Bewohner*innen weiter belastet. Dagegen können vier zentrale Säulen zur Bekämpfung von Energiearmut genutzt werden:
- Stärkung der sozialen Sicherungssysteme
- Erleichterung des Zugangs zu Unterstützung
- Gebäudesanierung
- Förderung von Energieberatungen, wie dem “Strom-Sparcheck" der Caritas
Im gemeinsamen Austausch wird die Notwendigkeit betont, energetische Modernisierungen warmmietenneutral umzusetzen und gemeinnützige Träger und Kommunen stärker einzubeziehen. Zudem diskutieren die Teilnehmenden die steuerliche Abschreibung energetischer Sanierungen an Zielvorgaben zu knüpfen und auf Vermietende auszuweiten, wohingegen die Förderungen einkommensschwacher Haushalte noch besser durch den Einkommensbonus abgebildet werden kann.
Workshop 3: Vertrauen ist gut, Kontrolle noch besser – Datengrundlagen und Vollzug schärfen
Nach einem kurzen Problemaufriss von Bernhard Hermann MdB stellte Arne Kruft (GIH-Bundesverband) Hemmnisse bei der Datenerhebung zu Gebäuden vor. Der in Deutschland genutzte Energieausweis war zwar ein erster Schritt, aber ist mittlerweile veraltet – da Daten nur punktuell entweder als Energiebedarf oder –verbrauch ermittelt werden. Je nach Gebäudealter können diese stark auseinanderfallen, was einen Vergleich untereinander und eine Verknüpfung mit dem individuellen Sanierungsfahrplan erschwert. Stattdessen könnten ganzheitliche Renovierungspässe, wie sie die EU-Effizienzrichtlinie für Nichtwohngebäude vorsieht als Inspiration auch für Wohngebäude dienen. So bietet eine digitale Gebäudeakte einen besseren Überblick und kann zudem detailliertere Infos bereithalten. Die digitale, gebündelte und anpassbare Darstellung ist weniger statisch als aktuelle Energieausweise und bietet einen doppelten Nutzen, da Daten zu Sanierungsplänen, Betriebsoptimierung und zum Lebenszyklus direkt ergänzt werden können.
Daran anknüpfend eröffnet Sebastian Metzger (co2online) die Makroebene mit Blick auf die EU-Taxonomie, durch die Sanierungen auch für den Finanzmarkt an Bedeutung gewonnen haben, weshalb es ein gesteigertes Interesse an Gebäudedaten gibt. Dazu bedarf es größerer Transparenz, da Eigentümer*innen oftmals wenig über ihre Gebäude wissen und bei bestehenden Erhebungen wie durch Energieausweise oder im Rahmen der Förderung der Vollzug ausbleibt. Um bessere Angebote zu schaffen, sollte Gebäudedaten also einerseits verständlicher und leichter zugänglich sein, und anderseits weiteren Akteursgruppen der Zugang erleichtert werden.
Die Diskussion dreht sich um die These “Vom Nutzen her zu denken”. Ziel muss es sein, tatsächlich brauchbare Daten zu erheben und Sanierungsmöglichkeiten bspw. dann auch nach praktischen Gelegenheiten anzugehen. Ebenfalls erleichtert ein kontinuierlicher und automatisierter Aktualisierungs- und Verbesserungsprozess der Daten ihre Zugänglichkeit und Sinnhaftigkeit. Dazu zählen die gemeinsame Erfassung von Verbrauch und Bedarf sowie ein vereinfachter Vollzug, die sich an den Lebensrealitäten und Gegebenheiten vor Ort orientieren.
Learnings:
- Energiearmut: Die Zugänglichkeit zu Sozialleistungen und der Ausbau von Beratungsangeboten bei der Beantragung von Leistungen, um Energiearmut zu verhindern sind ebenso wichtig, wie eine soziale Ausgestaltung der Modernisierungsumlage.
- Gebäudedaten: Erforderlich sind eine breite Datenbasis und eine bessere Vergleichbarkeit von Daten. Dafür müssen Gebäudedaten verständlicher und leichter zugänglich werden sowie einheitliche Standards für ihre Erhebung bestimmt werden.
Wohngebäude: Ein Mix aus Effizienz und Erneuerbaren ist wichtig, um die Klimaziele zu erreichen. Auch die Branche braucht Planungssicherheit, daher ist ein klarer Fahrplan für die Umsetzung nötig.
Veranstalter
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
FB 2-Koordinationsbüro (Ökologie)
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
TEL 030/227 59406
E-Mail fachbereich2@gruene-bundestag.de