Polizei in der Gesellschaft – zwischen Prävention, Strafverfolgung und Sozialarbeit
Veranstaltungsdetails
Über die Veranstaltung
- Polizeipolitik ist ein elementarer Bestandteil grüner Innenpolitik. Wir setzen uns für eine bürgernahe und gut ausgebildete Polizei ein. Die Arbeit von Polizist*innen wollen wir durch gute Personal- und Sachausstattung verbessern und Wertschätzung unter anderem durch die Einführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage konkret machen. Das Bundespolizeigesetz werden wir nach über 30 Jahren novellieren und auf den Stand der Zeit bringen.
- Wie keine andere Institution repräsentiert die Polizei das staatliche Gewaltmonopol. Missstände und problematische Entwicklungen fallen daher besonders ins Gewicht. Zugleich ist die Polizei durch die verschiedenen Krisen und eine polarisierte Gesellschaft enorm herausgefordert.
- Mit Vertreter*innen aus Polizei, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben wir Grüne im Bundestag am 3. November 2023 aktuelle Fragen der Polizeipolitik diskutiert und dabei insbesondere die Potenziale einer engeren Kooperation zwischen Sozialarbeit und Polizei in den Blick genommen.
Grußworte von Britta Haßelmann und Lisa Paus
Für die grüne Bundestagsfraktion begrüßte die Moderatorin des Kongresses, die Journalistin Christiane Meier, die zahlreich angereisten Gäste aus Polizei, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft, bevor unsere Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann mit ihrem Grußwort den Startschuss für ein volles Tagesprogramm gab.
Sie rief in Erinnerung, in welch schwierigem Umfeld die tägliche Arbeit der Polizei gerade stattfindet. Denn die multiplen Krisen der vergangenen Jahre prägen auch die Arbeit der Polizei. Aktuell betrifft das vor allem die innenpolitischen Folgen des terroristischen Angriffes auf Israel durch die Hamas und die militärische Reaktion darauf. Die Polizei steht dabei vor der Herausforderung, die zahlreichen Demonstrationen zu begleiten und jüdische Einrichtungen vor antisemitischen Angriffen zu schützen.
Um diesen Herausforderungen gerecht werden zu können, brauche es eine gut ausgestattete Polizei, personell, materiell und auch rechtlich. In der Ampel-Koalition bringen wir daher viele wichtige Dinge auf den Weg. Zum Beispiel das Bundespolizeigesetz mit einer Regelung gegen diskriminierende Kontrollen, die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage und das Gesetz zur Schaffung eines oder einer unabhängigen Polizeibeauftragten. Außerdem müsse eine ausreichende Finanzierung sichergestellt werden, so Britta Haßelmann. Aber auch über Probleme müsse geredet werden, wie etwa rechtsextreme Chatgruppen innerhalb der Polizei. Vor allem aber wolle sie ihren Respekt ausdrücken für alle Polizist*innen, die tagtäglich in einem schwierigen Umfeld für unser aller Sicherheit sorgen.
In einem weiteren Grußwort begrüßte die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus, unsere Gäste. Dabei ging sie intensiv auf das Problem häuslicher Gewalt ein, mit dem Polizist*innen oftmals konfrontiert sind. Sie zeigte auf, dass Polizei und Sozialarbeit gut zusammenarbeiten können und sollten.
Ein weiterer Bereich, in dem Polizei und Gesellschaftspolitik enger zusammenarbeiten sollten, sei der sexuelle Missbrauch von Kindern. Große Bedeutung habe hierbei das Programm „Schieb den Gedanken nicht weg“.
Danach ging Lisa Paus auf das aktuell besonders sichtbare Problem des Antisemitismus ein. Diesem müsse man sich entschlossen entgegenstellen, gerade auch durch politische Bildung und Prävention, etwa im Rahmen der zahlreichen Projekte im Rahmen von „Demokratie leben“. Hiervon brauche man nicht weniger, sondern mehr. Zum Schluss betonte sie die Wichtigkeit des Schutzes derjenigen, die sich für unsere Demokratie engagieren. Dies sei eine wichtige Voraussetzung für ein demokratisches Gemeinwesen und die Polizei leiste hier einen wichtigen Beitrag. „Je mehr Polizei und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, desto größer ist das Vertrauen. Und deshalb ist dieser Kongress so wichtig.“
Keynote: Rechtswidrige polizeiliche Gewaltanwendungen und ihre juristische Aufarbeitung
In seiner anschließenden Keynote befasste sich der Rechtswissenschaftler Prof. Tobias Singelnstein von der Goethe-Universität Frankfurt (Main) mit dem wenig beleuchteten Problem rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung und ihrer juristischen Aufarbeitung, das er im Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol) erforscht. Ziel des Projektes sei es, einen möglichst breiten explorativen Überblick über Situationen der Gewaltanwendung und die sie kennzeichnenden Faktoren zu erhalten. Dabei solle die Betroffenenperspektive besondere Beachtung erhalten, über die es bisher kaum Forschung gebe.
Hierzu stellte er zunächst dar, dass eindeutigen Fällen übermäßiger Gewaltanwendung ein weiter Graubereich und ein großes Dunkelfeld gegenüberstehen. Große Probleme ergäben sich bei der juristischen Aufarbeitung aus Sicht der Betroffenen. Auffällig sei dabei die im Vergleich zur durchschnittlichen Quote von 35 % sehr hohe Quote von 94 % der mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten Verfahren. Hier haben die Betroffenen oft das Problem, dass Aussage gegen Aussage steht, wobei Polizist*innen aufgrund des Vorverständnisses einer rechtstreuen und integren Polizei eine hohe Glaubwürdigkeit zugeschrieben werde und Kolleg*innen sich unter Umständen gegenseitig deckten.
Hinzu komme eine besondere professionelle und institutionelle Nähe zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften. Oftmals verzichteten daher Betroffene auf eine Strafanzeige. Das Fazit sei also, dass insgesamt eine hohe Definitionsmacht bei der Polizei liege und dass Betroffene ihre Rechte nicht oder nur sehr schwer durchsetzen können.
Podiumsdiskussion: Gewalt im öffentlichen Raum – Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation zwischen Polizei und Sozialarbeit
In der anschließenden Podiumsdiskussion zwischen Dr. Barbara Slowik, Polizeipräsidentin des Landes Berlin, Dr. Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion, Franco Clemens, Streetworker in der aufsuchenden Jugendarbeit zum Thema „Gewalt im öffentlichen Raum – Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation zwischen Polizei und Sozialarbeit“ entwickelte sich eine sehr interessante und vielschichtige Debatte.
In dieser stellte Dr. Barbara Slowik die aktuelle Lageentwicklung in Berlin nach den Ereignissen am 7. Oktober 2023 in Israel und die damit einhergehenden Belastungen und Herausforderungen für die Berliner Polizei dar. Darüber hinaus informierte sie über die zahlreichen und vielfältigen Kooperationen der Berliner Polizei mit Jugendprojekten und Streetworkern in den Berlinern „Problemkiezen“, mit denen man sehr erfolgreich sei. Zudem bereite man sich akribisch und konzeptionell auf die anstehenden Feierlichkeiten zum Jahreswechsel vor.
Der Streetworker Franco Clemens zeigte sich wenig verwundert über die Tatsache, dass es unter anderem mit Jugendlichen und Heranwachsenden aus großen Zuwanderungsgruppen aus Nahost zu Problemen komme. „Man ist immer bestrebt, etwas von der eigenen Kultur zu konservieren und man muss diesen Menschen Orientierung geben, aber auch keine falsche Toleranz gegen Intoleranz zeigen“. Prävention bedeute auch die Eltern mit einzubinden und die erzieherische Kompetenz zu stärken. Er wünsche sich auch klare Signale der Justiz gegenüber Gewalttätern, spätestens nach der dritten Gewalttat müsse ein deutliches „Stoppschild“ gesetzt werden. Zudem müsse man mehr gegen Gewaltverherrlichung im digitalen Raum unternehmen. Es brauche mehr „Digitales Streetworking“.
Irene Mihalic stellte die vielschichtigen Probleme in den Vordergrund und machte deutlich, dass wir als Rechtsstaat keine Gewaltverherrlichung, keinen Antisemitismus – egal aus welcher Ecke er kommt – oder Angriffe gegen Polizei- und Rettungskräfte dulden dürfen. Die aktuell erfolgten Vereinsverbote sind deutliche Signale des Rechtsstaates und die Polizei darf nicht allein gelassen werden. Sie muss die Mittel und die Ausstattung erhalten, die sie für Ihre schwere Arbeit benötigt. Politische Bildung ist essenziell. Der Staat muss diese fördern und unterfüttern. Präventionsprojekte und Streetworking müssen dauerhaft finanziert werden. All dies sind Investitionen in die Sicherheit und Resilienz unseres Landes. Prävention ist Sicherheitspolitik direkt an der Basis der Gesellschaft.
Streitgespräch: "Potenziale und rechtsstaatliche Herausforderungen der automatisierten Polizeiarbeit"
Im Streitgespräch debattierten Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, Marie Bröckling, Journalistin, und Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, über Potenziale und rechtsstaatliche Herausforderungen der automatisierten Polizeiarbeit.
BKA-Präsident Münch verdeutlichte zunächst den Haupteinsatzbereich: Häufig könne man die Unmengen eingehender Daten in der polizeilichen Praxis nur durch den Einsatz entsprechender Programme überhaupt noch sichten. Ziel sei eine Vorfilterung, die eine menschliche Bewertung aber nicht ersetze. Aktuell arbeite man daran, die polizeiliche Datenverarbeitung zu standardisieren, um zukünftig leichter Verbindungen zu parallellaufenden Verfahren herstellen zu können.
Marie Bröckling wies darauf hin, dass jedoch längst auch auf die Prognose von Kriminalität abzielende Tools umstrittener US-Firmen wie Palantir eingesetzt würden, welche sich gegen Transparenz verwahrten. Mehr Rechtsstaatlichkeit könne ggf. durch Software-Eigenentwicklungen durch den Bund erreicht werden.
Konstantin von Notz verwies auf die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zur automatisierten Polizeiarbeit hin, die für die Gesetzgebung maßgeblich seien und betonte, dass für Entscheidungen stets Menschen verantwortlich bleiben müssten. Alle Beteiligten waren sich einig, dass eingesetzte Algorithmen transparent sein müssen.
Podiumsdiskussion: Unabhängiger Polizeibeauftragter – Zur Relevanz unabhängiger Beschwerdestrukturen
In diesem Panel wurde angesichts der geplanten Einführung eines*einer unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes über die Relevanz und die Herausforderungen dieses Amtes diskutiert. In dem von Marcel Emmerich, Obmann im Innenausschuss, moderierten Panel diskutierte Irene Mihalic mit Alexander Oerke, dem Polizeibeauftragten von Berlin und Lars Wendland, Vertreter der Gewerkschaft der Polizei, anschaulich über die Relevanz und das Potenzial von unabhängigen Polizeibeauftragten.
Mit dem Polizeibeauftragten im Bund sollen strukturelle Probleme in den Blick genommen werden, die das bisherige Beschwerdewesen nicht ausreichend bearbeiten kann. Durch die Unabhängigkeit des Polizeibeauftragten, der am Deutschen Bundestag angegliedert sein wird, sollen sowohl Bürger*innen als auch Polizist*innen die Möglichkeit erhalten, sich außerhalb der bestehenden Strukturen vertraulich an eine Stelle zu wenden.
Eindrücklich beschrieb der Landespolizeibeauftragte, dass in Berlin eine ganze Bandbreite an Fällen vorliege und die Mehrheit sich durch ein gemeinsames Gespräch mit dem Beschwerdeführer lösen lassen. Auch konnte dargelegt werden, wie anfängliches Misstrauen seitens der Beschäftigten und Gewerkschaften abgebaut werden konnte.
Lars Wendland betonte die bereits existierenden Beschwerdestrukturen und mahnte an, dass es auf Bundesebene schwieriger sein würde, einzelne Dienststellen zu besuchen und etwaiges Misstrauen unter den Beschäftigten abzubauen. Es wurde resümiert, dass eine faire Prüfung der Fälle dazugehört, um unrechtmäßige Anschuldigungen zu entkräften. In den Bundesländern werde bereits erlebt, dass auch die Polizei von den Verfahren profitiere.
Podiumsdiskussion: Jugend und Gewalt
In der abschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Jugend und Gewalt“ thematisierten Dr. Daniele Hunold, Armin Bohnert und die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Lamya Kaddor unter der Moderation von Christiane Meier sowohl die falsche Wahrnehmung vermeintlich steigender Jugendkriminalität als auch Möglichkeiten sowie Aufgaben der Gesellschaft und Polizei bei der Bekämpfung von Jugendkriminalität.
Die durch die verstärkte Medienberichterstattung entstandene Wahrnehmung, dass die Jugendkriminalität seit Corona immer weiter ansteige, sei ein Zerrbild, da abgesehen vom Coronatief die Zahl der Straftaten stabil geblieben sei und sogar längerfristig sinke. Dennoch sind besonders Jugendliche, die von den psychosozialen Folgen der Coronamaßnahmen oder weiterer sozioökonomischer Faktoren sowie Frustrations- und Diskriminierungserfahrungen betroffen waren, stärker gefährdet, Straftaten zu begehen.
Ebenso verstärkten Filterblasen auf Social Media polarisierende Meinungen und befeuerten Konflikte und stellten damit ein großes Radikalisierungspotential dar. Hier sahen die Diskutant*innen die Aufgabe von Gesellschaft, Politik und Polizei, in Bildung zu investieren, die Jugendlichen abzuholen und den Austausch zu fördern. Der Kampf gegen Hass, Antisemitismus und der Abbau von Stereotypen und Zerrbildern sei das Fundament, auf dem gesamtgesellschaftliche Kooperation und Dialog fußen müsse.
Vielfalt in staatlichen Institutionen wie der Polizei, individuelle Kommunikationsangebote als auch ausreichend finanzielle Mittel für sozial benachteiligte Wohnviertel seien besonders wichtig bei der Arbeit gegen Jugendkriminalität.
Workshops
Workshop 1: Rechtsextreme und rassistische Chatgruppen innerhalb der Polizei – Was muss dagegen unternommen werden?
Die überwiegende Mehrheit der Beamt*innen steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Doch leider häufen sich Meldungen über Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen, die rechtsextreme und rassistische Inhalte in Chatgruppen austauschen. Alleine die Berliner Polizei untersuchte 300 Fälle problematischer Äußerungen in zwei Jahren. Rassistische und rechtsextreme Gesinnung von Polizeibeamt*innen sind daher leider keine Einzelfälle, sondern ein ernstzunehmendes Problem.
Wir haben uns deshalb gemeinsam mit unserem Publikum und unseren Expert*innen Prof. Dr. Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, Dr. Jessica Heun, Rechtsanwältin mit einem Schwerpunkt im Beamtenrecht, und Dirk Peglow, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, in einem interaktiven Workshop darüber ausgetauscht, welche präventiven, dienstrechtlichen und strafrechtlichen Möglichkeiten den Beamt*innen und ihren Dienstherren im Falle von rechten Chatgruppen zur Verfügung stehen und wo wir gesetzlich noch nachbessern müssen.
Betont wurde, dass die Polizei bei der Rassismus-Prävention und politischer Bildung innovationsstärker werden muss. Dabei bedürfe es eines gemeinsam entwickelten Leitbild- und Alltagsdiskurses. Dieser kann den einzelnen Polizist*innen dabei helfen, eine klare innere Haltung und Führung zu entwickeln. Das stärkt ihnen den Rücken, sich gegen rassistische Äußerungen zu stellen und Verdachtsfälle öffentlich zu machen. Hierbei können wir gesetzlich Hilfe leisten, etwa durch den Ausbau des Hinweisgeberschutzgesetztes, die wirklich großen Veränderungen müssen jedoch durch die Änderung der Arbeitskultur selbst erfolgen.
Neben der Präventionsarbeit wurde jedoch auch deutlich gemacht, dass das Disziplinarrecht und das Strafrecht nachgeschärft werden müssen. Damit die strafrechtlichen Verfahren gegen solche bedrohlichen rassistischen Chatgruppen nicht weiterhin im Sande verlaufen, müsse der strafrechtliche Begriff der „Öffentlichkeit“ auf das Zeitalter der Messengerdienste angepasst und deutlich erweitert werden.
Workshop 2: Städtebau und Polizeiarbeit – Deutung, Praxis und Prävention in sozialen Räumen
Workshop 2 befasste sich mit der Thematik der städtebaulichen Kriminalprävention. Lukas Benner, Mitglied im Rechtsausschuss, diskutierte zusammen mit den geladenen Expert*innen aus Wissenschaft, Polizei und Streetwork die zahlreichen Wechselwirkungen der Polizeiarbeit in städtischen Räumen.
Die Soziologin Prof. Dr. Daniela Hunold von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin beleuchtet in ihrer Forschung, wie Wissen und Wahrnehmungen über städtische Räume innerhalb der Polizei institutionalisiert werden. Oftmals werde hierüber ein stark durch soziale Merkmale wie Armut oder Migrationshintergrund geprägtes Problembild gezeichnet. Dies führe dazu, dass nicht Personen kontrolliert würden, sondern stattdessen ein bestimmter Raum als Ganzer in den Verdacht gerate.
Der Sprecher des für Prävention & Opferschutz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter Hans Hülsbeck beschrieb, dass die Polizei in einigen Bundesländern bei Bauvorhaben beispielsweise durch Architekt*innen mitberaten. Er begrüßte, dass innerhalb der Polizei ein Umdenken stattfinde. Weg von Stereotypen, hin zu mehr Mikro- und Makroforschung, denn: „Städtebauliche Kriminalprävention braucht viele Augen“.
Malte Dau und Maria Schaal berichteten aus ihrer Praxis als Streetworker*innen bei der Fixpunkt gGmbH. In ihrem Alltag auf den Straßen Berlin-Neuköllns erleben sie und ihre Kolleg*innen, dass das Problem des öffentlichen Drogenkonsums zugenommen hat, da ein großer Mangel an Schutzräumen herrsche. Dies führe zu Konflikten zwischen den Konsument*innen, Anwohner*innen und der Polizei.
In der abschließenden Diskussions- und Fragerunde wurde deutlich, dass alle Expert*innen sich wünschen, dass den betroffenen Personen mehr zugehört wird. Zwar gebe es einige positive Ansätze, aber noch viel Raum für Verbesserungen, insbesondere in Bezug auf die Finanzierung. Lukas Benner betonte abschließend, dass dies vor allem präventiv und im Bereich der chronisch unterfinanzierten Streetwork gelten müsse, statt alle Aufgaben auf die Polizei abwälzen zu wollen.
Workshop 3: Einsatzbereit gegen Rassismus? Polizeilicher Umgang mit Betroffenen von rassistischer Gewalt
Diskriminierung und Rassismus sind gesamtgesellschaftliche Probleme und strukturell tief in unserer Gesellschaft und Institutionen verankert. Damit finden sich diese Denkweisen und Strukturen auch innerhalb der Polizei wieder. Gemeinsam mit Newroz Duman und Said Etris Hashemi von der Initiative 19. Februar Hanau sowie Christine Howe, Sozialwissenschaftlerin und Studienleiterin der „Berliner Polizeistudie“ der TU Berlin, sind Misbah Khan, Mitglied im Innenausschuss, und Schahina Gambir, Mitglied im Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, der Frage nachgegangen, wie die Polizei mit Diskriminierung, Rassismus und Betroffenen von rassistischer Gewalt umgeht.
Im Rahmen der „Berliner Polizeistudie“ wurden ausgewählte Dienstbereiche der Polizei Berlin diskriminierungskritisch und qualitativ untersucht. Dabei wurde deutlich, dass es der Polizei Berlin an kommunikativen Kompetenzen und professionellen Reflexionsmöglichkeiten im Umgang mit Rassismus fehlt. Eine verbesserte diskriminierungssensible Polizeiarbeit ist ohne fortlaufende, kritische (Selbst-) Reflexion des eigenen Handelns nicht möglich.
Im Kontext des rassistischen Anschlags am 19. Februar 2020 in Hanau wurde die polizeiliche Einsatzbereitschaft gegen Rassismus auf die Probe gestellt. Dabei wurden strukturelle Fehler im Umgang mit Überlebenden und Angehörigen gemacht – sowohl unmittelbar nach der Tat als auch im weiteren Verlauf. Bis heute beklagen die Betroffenen eine mangelnde Aufklärungsbereitschaft, nicht-vorhandene Kommunikation und psychologische Begleitung sowie die Reproduktion von Rassismen und Diskriminierung. Die Betroffenen wünschen sich im Umgang mehr Verantwortungsübernahme, einen Raum zum Austausch auf Augenhöhe und abschließende Gerechtigkeit.
Die Teilnehmenden des Workshops kamen in der anschließenden Diskussion zu dem Fazit, dass es innerhalb der Polizei mehr Reflexion bedarf. Ebenso sollte es ein besseres innerpolizeiliches Lernen geben, zum Beispiel aus Bereichen, in denen das polizeiliche Handeln gegenüber Betroffenen bereits sensibler ist, wie etwa im Kontext häuslicher Gewalt. Als zentral wurde auch die Verbesserung des Opferschutzes benannt. Mit dem Wunsch nach einer reflektierten Fehlerkultur in der Polizei knüpfen die Teilnehmenden an die Handlungsempfehlungen der „Berliner Polizeistudie“ an.
Workshop 4: Umgang mit Menschen in psychischen Krisen
Wenn Polizist*innen im Einsatz auf Menschen in psychischen Ausnahmesituationen treffen, kommt es häufig zu Überforderungen, was in bestimmten Fällen in Gewalt oder schlimmstenfalls dem Tod eines Menschen münden kann. Solche Situationen sind auch für die Polizist*innen äußerst belastend. Polizeieinsätze, die tödlich enden, betreffen überproportional häufig Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dies beschrieb die Journalistin Lena Kampf im ersten Vortrag im Rahmen des Workshops.
Prof. Mario Staller, der Narrative in der Polizei und polizeilichen Ausbildung analysiert, nannte die übermäßige Betonung von Gefahren für die Polizei im Einsatz als einen wichtigen Faktor. Treffen Polizist*innen auf einen psychisch erkrankten Menschen, steht häufig nicht die Erkrankung und Deeskalation im Vordergrund, sondern die empfundene potenzielle Gefahr für die Polizist*innen. In Toronto, Kanada, wird diesem Problem mit gemeinsamen Einsatzteams von Polizist*innen und Pflegekräften, die psychosozial speziell geschult sind, begegnet, wie Sergeant Niki Spyropoulos beschrieb. Ein Leuchtturmprojekt in Leipzig setzt bei der Sensibilisierung während der Polizeiausbildung an. Trialogische Intervention sind dabei ein Erfolgsfaktor, um Stigma und Vorurteile abzubauen.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass es nicht mehr Forschung, sondern konkrete gesetzliche und praktische Veränderungen bei der Polizei und in der Vernetzung mit den bestehenden Hilfsangeboten, braucht. In Berlin und in Bayern wurde die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Krisendienst als erfolgreich beschrieben. Aber auch hier reichen die Ressourcen nicht aus, um in ähnlicher Weise wie in Kanada bei akuten Einsätzen mit psychosozialer Kompetenz unterstützen zu können.
Als Fazit wurde von Dr. Kirsten Kappert-Gonther, die den Workshop moderiert hat, abgeleitet, dass in der Polizeiausbildung und im Studium konsequent auch in trialogischen Formaten und mit Peer-Beteiligung Stigmata gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen abgebaut werden müssen. Zudem sollten niedrigschwellige Krisendienste flächendeckend in Deutschland ausgebaut und eine Vernetzung des Hilfesystems mit der Polizei gestärkt werden. Idealerweise gelingt es auch in Deutschland multiprofessionelle Einsatzteams nach kanadischem Vorbild zu etablieren.
Workshop 5: Präventivgewahrsam im Rechtsstaat? Eine Bestandsaufnahme
Im Workshop „Präventivgewahrsam im Rechtsstaat? Eine Bestandsaufnahme“ diskutierten die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Isabel Feichtner, der Berliner Fachanwalt Adrian Wedel und Michael Labetzke, Sprecher von PolizeiGrün e.V. Moderiert wurde der Workshop von Helge Limburg, Sprecher für Rechtspolitik.
Prof. Feichtner, eine der Initiator*innen der Popularklage gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) führte aus, dass § 17 PAG bereits verfassungswidrig sei, da er eine Kombination aus niederschwelligen Tatbestandsvoraussetzungen und unverhältnismäßig langer Gewahrsamsdauer beinhalte. Diese sei auch nach Art. 5 EMRK unverhältnismäßig. Weiter beschrieb Prof. Feichtner, dass Präventivgewahrsam nicht zur Gefahrenabwehr, sondern als Freiheitsprävention angewandt werde. Der Zweck des Präventivgewahrsams ziele darauf, die Freiheit der Person als Voraussetzung für jegliches weiteres Handeln einzuschränken.
Fachanwalt Adrian Wedel, Strafverteidiger auch von Klimaaktivist*innen, schilderte, dass Präventivgewahrsam bei politischen Versammlungen strafenden Charakter erhalte und die Gewahrsamsdauer sogar die bei einer Verurteilung zu erwartende Strafe überschreite. Dabei sei nicht einmal abschließend geklärt, ob die in Rede stehenden Handlungen überhaupt strafbar seien. Betroffene seien rechtlich schlechter gestellt als Beschuldigte in Strafverfahren. Die schädigende Wirkung der Isolationshaft auf die Psyche der Betroffenen sei verheerend. Daraus folge eine abschreckende Wirkung für soziale Bewegungen, von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch zu machen.
Michael Labetzke führte aus, dass die Ausweitung der Präventivgewahrsams auch für Polizei als Teil der Exekutive problematisch sei. Gerade im Kontext von Versammlungen werde die Bewertung stark politisiert und die Polizei letztlich zu Willkürakten gedrängt. Gleichwohl gäbe es sinnvolle Anwendungsfälle, etwa im Bereich häuslicher Gewalt. Voraussetzung sei aber eine klare Eingrenzung auf konkrete Gefahr und kurzen Zeitraum. Ansonsten bestehe die Gefahr eines Gesinnungsstrafrechts und der Aushöhlung des Rechtsstaats.
Programmauszug
Anmeldung
Begrüßung und Eröffnung
Britta Haßelmann MdB
Fraktionsvorsitzende
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Grußwort
Lisa Paus MdB
Bundesministerin für Familie, Jugend, Frauen und Senioren
Podiumsdiskussion Gewalt im öffentlichen Raum - Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation zwischen Polizei und Sozialarbeit
Dr. Barbara Slowik
Präsidentin der Polizei Berlin
Franco Clemens
Streetworker in der aufsuchenden Jugendarbeit
Dr. Irene Mihalic MdB
Erste Parlamentarische Geschäftsführerin
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Moderation: Christiane Meier
Journalistin und Moderatorin
Keynote Rechtswidrige polizeiliche Gewaltanwendungen und ihre juristische Aufarbeitung
Prof. Dr. Tobias Singelnstein
Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie
Juristische Fakultät, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main
im Anschluss kurze Diskussion
Kaffeepause
Gespräch Automatisierte Polizeiarbeit – Potenziale und rechtsstaatliche Herausforderungen
Holger Münch
Präsident des Bundeskriminalamts
Marie Bröckling
Journalistin
Dr. Konstantin von Notz MdB
Stellvertretender Fraktionsvorsitzender
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Moderation: Christiane Meier
Mittagessen
Workshop-Phase
Workshop 1
Rechtsextreme und rassistische Chatgruppen innerhalb der Polizei – Was muss dagegen unternommen werden?
Prof. Dr. Rafael Behr
Professor für Polizeiwissenschaften mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg
Dr. Jessica Heun
Rechtsanwältin für Beamtenrecht
Dirk Peglow
Bundes- und Landesvorsitzender Hessen
Bund Deutscher Kriminalbeamter e.V.
Moderation: Marcel Emmerich MdB
Obmann im Ausschuss für Inneres und Heimat
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Workshop 2
Städtebau und Polizeiarbeit: Deutung, Praxis und Prävention in sozialen Räumen
Prof. Dr. Daniela Hunold
Soziologin mit Schwerpunkt Empirische Polizeiforschung
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Hans Hülsbeck
Sprecher Prävention & Opferschutz im
Bundesvorstand und im Landesverband NRW
Bund Deutscher Kriminalbeamter e.V.
Malte Dau & Maria Schaal
Streetworker*innen, Fixpunkt gGmbH
Lukas Benner MdB
Mitglied des Rechtsauschusses
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagfraktion
Workshop 3
Einsatzbereit gegen Rassismus? Polizeilicher Umgang mit Betroffenen von rassistischer Gewalt
Christiane Howe
Soziologin, Projektleiterin "Neue Berliner Polizeistudie"
Said Etris Hashemi & Newroz Duman
Initiative 19. Februar Hanau
Misbah Khan MdB
Mitglied des Ausschusses für Inneres und Heimat
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Schahina Gambir MdB
Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Workshop 4
Umgang mit Menschen in psychischen Krisen
Lena Kampf
Stellvertretende Ressortleiterin Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung
Prof. Dr. mult. Mario Staller
Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW
Nicolai Hojka
Projektkoordinator Interventionen zur Entstigmatisierung
Vorurteilsfrei e.V. (i.G.), Leipzig
Sergeant Niki Spyropoulos
Mobile Crisis Intervention Team Toronto Police (in englischer Sprache)
Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB
Amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Dr. Janosch Dahmen MdB
Sprecher für Gesundheitspolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Workshop 5
Präventivgewahrsam im Rechtsstaat? Eine Bestandsaufnahme
Prof. Dr. Isabel Feichtner
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht
Universität Würzburg
Adrian Wedel
Rechtsanwalt
Michael Labetzke
Sprecher PolizeiGrün e.V.
Helge Limburg MdB
Sprecher für Rechtspolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Kaffeepause
Podiumsdiskussion Unabhängiger Polizeibeauftragter: Zur Relevanz unabhängiger Beschwerdestrukturen
Lars Wendland
Vorsitzender der GdP Bundespolizei | Zoll Direktionsgruppe Berlin-Brandenburg
Dr. Alexander Oerke
Bürger- und Polizeibeauftragter des Landes Berlin
Dr. Irene Mihalic
Erste Parlamentarische Geschäftsführerin
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Moderation: Marcel Emmerich MdB
Obmann im Ausschuss für Inneres und Heimat
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Podiumsdiskussion: Jugend und Gewalt
Prof. Dr. Daniela Hunold
Soziologin mit Schwerpunkt Empirische Polizeiforschung
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Armin Bohnert
Vorstandsvorsitzender PolizeiGrün e.V.
Lamya Kaddor MdB
Sprecherin für Innenpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Moderation: Christiane Meier
Journalistin und Moderatorin
Verabschiedung
Veranstaltungsende