17. Juni 1953: 70 Jahre nach dem Volksaufstand
Veranstaltungsdetails
Über die Veranstaltung
- Am 17. Juni 2023 jährte sich der Volksaufstand in der DDR und dessen Niederschlagung zum 70. Mal
- Die Proteste vor 70 Jahren wurden zum frühen Symbol des Widerstands gegen das SED-Regime
- Die Aufarbeitung des Unrechts ist noch unzureichend, es gibt Entschädigungslücken
Mit einer Konferenz kurz vor diesem Jahrestag hat die grüne Bundestagsfraktion an den Mut der Protestierenden erinnert. Gleichzeitig haben wir das Datum zum Anlass genommen, um den heutigen Stand zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und verschiedener Unrechtskomplexe kritisch zu beleuchten: Überwachung, Zwangsarbeit von politischen Häftlingen, Staatsdoping, Zwangsaussiedlungen, Opferentschädigungsregelungen, Vertragsarbeiter*innen aus dem Globalen Süden uvm. Außerdem beschäftigten wir uns mit der Erinnerungsarbeit und der Vermittlung an die nachfolgenden Generationen. Und wir richteten den Blick nach vorne: was lernen wir aus Repression und Machtsicherung in der SED-Diktatur, aber auch aus dem Widerstand dagegen und was bedeutet das heute für den Kampf für Demokratie in anderen Ländern?
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, eröffnete die Konferenz. Sie betonte die Bedeutung des 17. Juni. Er erinnert an die brutale Niederschlagung der Proteste vor 70 Jahren und an das Leid und das Unrecht gegen die Menschen an diesem und anderen Tagen der SED-Herrschaft. Die Menschen forderten damals u.a. freie Wahlen, ein vereintes Deutschland, Freiheit und die Freilassung von zu Unrecht Verhafteten. Für diese Werte kämpften auch heutzutage noch viele Menschen, z.B. die Frauen im Iran.
Der Historiker Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk gab einen Überblick über die Ereignisse rund um den 17. Juni 1953 und die Vorgeschichte und Ursachen, die zu dem Volksaufstand führten. Dazu gehörten unter anderem Normerhöhungen, Kollektivierung der Landwirtschaft, das Sparsamkeitsregime und auch besonders harte Urteile für Bagatelldelikte. Ab dem 12. Juni kam es im ganzen Land zu Streiks und Demonstrationen.
Er beschrieb die Forderungen der Protestierenden, unter anderem die Absetzung der Regierung, die Freilassung politischer Gefangener, freie Wahlen, eine Reduktion der Lebensmittelpreise und die Einheit Deutschlands. Der Aufstand wurde dann durch die sowjetische Armee niedergeschlagen. Mindestens 55 Menschen starben, über 15.000 wurden verhaftet und zu teils drakonischen Zuchthausstrafen verurteilt.
Er konstatierte Ignoranz der westeuropäischen Öffentlichkeit für die Geschichte des Kommunismus und besonders auch den mutigen Widerstand am 17. Juni 1953. Beheben ließe sich das seiner Ansicht nach mit besserer universitärer Forschung und eigenen Lehrstühlen für die Geschichte des Kommunismus, wovon es in Deutschland bis heute keinen gibt.
Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, erinnerte in ihrer Videobotschaft daran, dass das Unrecht in der DDR nicht nur 1953 präsent war, sondern erbarmungslos auch in den vielen Jahren danach. Es brachte Tod, Leid und Unfreiheit. Sie berichtete aus ihrer eigenen Biographie und von Repressalien gegen ihre Familie.
Evelyn Zupke, seit zwei Jahren SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, beschrieb in ihrer Keynote die unterschiedlichen Dimensionen und Formen des Unrechts und die weitreichenden Auswirkungen für die Betroffenen. Sie sieht weiterhin großen Aufarbeitungs- und Nachholbedarf, so beispielsweise für die Opfer von Zwangsarbeit und Kinder, die in so genannten Jugendwerkhöfen untergebracht waren. Viele Opfer scheitern bei der Anerkennung ihrer Gesundheitsschäden und die Instrumente zur Unterstützung laufen zu oft ins Leere. Sie plädierte für ein neues transparentes und einfaches Verfahren, um die soziale Lage der Opfer zu stabilisieren.
Panel: Welche Dimensionen hatte das Unrecht und wie steht es um die Aufarbeitung?
Im Panel mit dem Titel „Welche Dimensionen hatte das Unrecht und wie steht es um die Aufarbeitung?“ wurden die beiden Keynotes vertieft. Dieter Dombrowski beschrieb als Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. (UOKG), welche Entschädigungslücken es für die Betroffenen und Opfer noch gibt. Er musste Zwangsarbeit leisten, unter anderem für Kameras, die auch in die BRD verkauft wurden. Die meisten der Westfirmen weisen bis heute jede Verantwortung von sich.
Die grausamen Haftbedingen konnte Dr. Helge Heidemeyer, Direktor der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt, bestätigen. Dort wurden die rund 10.000 Häftlinge zwischen 1951 bis 1989 mit Foltermethoden verhört. Schlafentzug, brutale Verhörmethoden, Erniedrigung, Isolation, Verunsicherung und Willkür. Die Gedenkstätte hat einen Bildungsauftrag, um zu erklären, was Unfreiheit und Diktatur bedeuten. Zeitzeugen sicherten den Gedenkort und bieten dort Führungen an. Jährlich kommen rund 400.000 Besucherinnen und Besucher.
Katja Meier ist seit Dezember 2019 Sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung für Bündnis 90/Die Grünen. Bei den Gerichten liegt die Verantwortung für die strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts und die Entschädigungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Sie betonte, dass die Aufarbeitung des SED-Unrechts nicht abgeschlossen sei. Die Aufarbeitung sei nötig, um den Betroffenen materiell zu helfen, aber auch um der Verklärung des DDR-Bildes entgegenzuwirken und unsere Bewertungen über die DDR und die SED-Diktatur zu schärfen.
Panel 2: „Widerstand gegen das DDR-Regime“
Moderatorin war Heide Schinowsky, die geschäftsführende Vorsitzende und Gedenkstättenleiterin des Menschenrechtszentrums Cottbus. Von 2014 bis 2019 war sie bündnisgrüne Abgeordnete im Brandenburger Landtag und dort u. a. Sprecherin für die Aufarbeitung von DDR-Unrecht.
Dr. Anna Kaminsky ist seit 2001 Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie sagte, die Diktatur werde heute von vielen Menschen verharmlost. Es gilt deshalb für die Arbeit der Stiftung, das Ausmaß von Verbrechen und Unrecht in der DDR deutlich machen. Dazu gehört beispielsweise die fehlende Pressefreiheit in der DDR, die auch die Lesart des 17. Juni bestimmte und diesen propagandistisch verdrehte. Jahrestage können als „Schrittmacher der Erinnerungskultur“ dienen und auch an die mutigen Menschen erinnern, die sich der Diktatur in den Weg gestellt haben.
Die Historikerin Dr. Anja Schröter arbeitet seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Robert-Havemann-Gesellschaft (RHG). DIE RHG vermittelt die Geschichte der Opposition, auch der Jugendopposition. Sie beschrieb, wie bedeutsam die Sammlung der RHG ist, die u.a. Schriftgut mit 1600 laufenden Metern mit Dokumenten aus verschiedenen Widerstandsgruppen und unterschiedlichen Zeiten, 700.000 Fotos, Audioaufnahmen, Objekte wie Druckmaschinen enthält.
Marianne Birthler war von 2000 bis März 2011 die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. In den 80er-Jahren gehörte sie zur Opposition, nachdem sie bereits in den 70er Jahren in der Schwedter Kirchengemeinde aktiv war. Die Entwicklungen in Polen seien eine große Ermutigung auch für die Entwicklung in der DDR gewesen. Die Rolle der Kirche war zwiespältig, da sie zwar Schutzräume für Arbeitskreise bot, aber eben auch darauf bedacht war, dem SED-Regime nicht in die Quere zu kommen. Marianne Birthler betonte, dass wir Rüstzeug für den heutigen Demokratiekampf brauchen, wofür der Widerstand in der DDR wichtiges Vorbild ist.
Workshop-Phase
Workshop 1: Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur - Herausforderungen und Perspektiven (Moderation: Helge Limburg MdB)
Inge Bennewitz, die selbst von den Zwangsaussiedlungen in der DDR betroffen war, berichtete, wie diese Opfergruppe nach der Wende durch das Raster der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze fiel und eine Wiedergutmachung für die Vertreibung ausblieb. Heute setzt sich Bennewitz dafür ein, die Betroffenen durch eine Einmalzahlung zu entschädigen.
Petra Morawe, Bürgerrechtlerin und heute Traumaberaterin bei der Brandenburger Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, schilderte Erfahrungen aus der Beratung von SED-Opfern und sprach Lücken in den UnBerG an. Dazu gehört die Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung bei Opferrenten, die Einführung eines Zweitantragsrechts, damit auch diejenigen, deren Anträge bereits abgelehnt wurden, von Gesetzesänderungen profitieren oder auch die Einführung einer Regelvermutung bei gesundheitlichen Verfolgungsschäden.
Peter Wurschi erläuterte die Rolle der Landesbeauftragten für die SED-Opfer bei der Beratung der Opfer, aber auch in der politischen Arbeit zugunsten der Betroffenen. Er betonte den Wert der Rehabilitierung als elementaren Beitrag zur Wiederherstellung der Würde der Betroffenen.
Workshop 2: Doping im Sportsystem der DDR (Moderation: Tina Winklmann MdB)
Im von Tina Winklmann MdB moderierten Workshop zum DDR-Doping wurde die grüne Initiative einer Einbeziehung von schwer gesundheitlich geschädigten Sportler*innen in die Aufarbeitungs- und dauerhaften Entschädigungsstrukturen der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze unterstützt. Für Andreas Krieger (Europameisterin im Kugelstoßen 1986) sind Spitzensport und die damit einhergehende staatlich verordnete Dopingverabreichung in der DDR nicht zu rechtfertigende "Eingriffe in Gesundheit und die eigene Biografie" gewesen. Eine Entschädigungsrente sei heute überfällig, da sich gesundheitliche Schäden potenzierten.
Michael Lehner, Vorsitzender des Vereins Doping-Opfer-Hilfe e.V. (DOH), und die Journalistin Grit Hartmann hoben hervor, dass die Strafprozesse 1999/2000 gegen Verantwortliche des DDR-Dopings allein nicht ausreichend gewesen seien. Insbesondere die Opferhilfe sei zu kurz gekommen und Sportverbände hätten wenig bis kein Interesse an Aufarbeitung und Unterstützung gezeigt. Übereinstimmung zwischen allen Teilnehmenden bestand in der Forderung nach Ausbau von Prävention und Schutz für Sportler*innen auch im heutigen Spitzensportsystem.
Workshop 3: Gedenkstätten und Museen: wie geht gute Erinnerungsarbeit? (Moderation: Kassem Taher Saleh MdB)
Dr. Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments für die Fraktion Die Grünen/EFA und Vorstandsvorsitzende des Fördervereins Campus für Demokratie e.V., welcher in Lichtenberg auf dem Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR aufgebaut werden soll. Dort stehen zehntausende Quadratmeter Fläche leer und werden von Jahr zu Jahr immer baufälliger. Dieser historische Ort soll bewahrt werden und zu einem Ort des Lernens und der Demokratie werden. Dafür braucht es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine gemeinsame Anstrengung von Bezirk, Land und Bund, wofür sich der Förderverein einsetzt.
Uljana Sieber ist seit 2011 Leiterin der Gedenkstätte Bautzener Straße, in die viele Schulklassen zu Besuch kommen. Für die wertvolle Arbeit bräuchten sie und ihr Team aber eine gesicherte Finanzierung und mehr Personal, beispielsweise jemand mit pädagogischer Expertise.
Birgit Marzinka leitet den Lernort Keibelstrasse, das ehemalige Polizeigefängnis unweit des Berliner Alexanderplatzes. Bisher gibt es keinen öffentlichen Zugang, aber Gruppen können das Gefängnis nach Anmeldung besichtigen und im Rahmen eines pädagogischen Konzepts erkunden. Im Zuge von Filmdreharbeiten in den 90er-Jahren wurde das Gefängnis stark verändert, das hätte aus ihrer Sicht nicht zugelassen werden dürfen.
Alle drei waren sich einig, dass gerade junge Menschen einen Zugang zu diesem Teil der deutschen Geschichte brauchen und es dabei wichtig ist, einen Bezugspunkt zu ihrem eigenen Leben herzustellen.
Workshop 4: Umkämpfte Entschädigungen: Warum wir bis heute bei Diskussionen zur Ost-West-Rentenüberleitung auch über gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen in der DDR sprechen müssen (Moderation: Dr. Paula Piechotta MdB)
Der Workshop setzte sich vor dem Hintergrund des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 damit auseinander, wie die SED-Diktatur u.a. mit Zusatzrenten auf schlechte und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen reagierte - beispielsweise mit der Rentenregelung für Arbeiter*innen in der Braunkohleveredlung Espenhain oder aber den besonderen Absicherungen der WISMUT-Bergarbeiter im Uran-Bergbau. Nicht alle diese Ansprüche wurden in das Rentenrecht der Bundesrepublik überführt. Alle Diskussionsteilnehmer*innen betrachteten es vor diesem Hintergrund als erforderlichen Schritt, dass der Renten-Härtefallfonds für DDR-Rentner*innen, jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler*innen zur Kompensation erlittener Härten nach über 30 Jahren schwieriger Verhandlungen endlich eingerichtet wurde, wenn auch in nicht zufriedenstellender Größe. Deutlich wurde auch, dass der Fonds nicht als Ausgleich sämtlicher Härten angesehen werden kann und weitere Maßnahmen erforderlich wären, um den Erwartungen der Betroffenen gerecht zu werden.
Workshop 5: Das Unrecht der Vertragsarbeiter*innen in der DDR - verschwiegen und vergessen? Perspektive der ostdeutschen Migrationsgesellschaft (Moderation: Filiz Polat MdB)
Zu diesem Workshop wurden die Referentinnen Dr. Noa K. Ha (Wissenschaftliche Leitung des DeZIM Instituts, Peggy Piesche (Referentin für Diversität, Intersektionalität und Dekolonialität beim BpB) und Tamara Hentschel (Gründerin des deutsch-vietnamesischen Vereins "Reistrommel e.V.") eingeladen. Diskutiert wurde, inwiefern die ostdeutsche postmigrantische Perspektive durch die zahlreichen Vertragsarbeiter*innen in der DDR geprägt wurde. Als große Ungerechtigkeit standen dabei die Lebens- und Arbeitsumstände, sowie die entzogenen Gehälter der Vertragsarbeiter*innen im Mittepunkt. Ein Großteil der Gelder der Vertragsarbeiter*innen wurde einbehalten, mit der Zusage, ihnen diese nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland auszuzahlen. Nach ihrer Rückkehr standen die Vertragsarbeiter*innen jedoch vor leeren Konten, da die Gelder teilweise genutzt wurden, um Schulden bei der DDR zu begleichen. Bis heute wird dieses Unrecht nicht anerkannt und Entschädigungszahlungen kamen kaum bei den Betroffenen an. Ehemalige Vertragsarbeiter aus Mosambik und Angola kamen zu Wort und haben von Ihrer Geschichte erzählt. Die Gespräche sollen fortgesetzt und die Vertragsarbeiter*innen unterstützt werden.
Workshop 6: Folgen der SED-Diktatur für die seelische Gesundheit (Moderation: Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB)
Moderiert von Dr. Kirsten Kappert-Gonther wurde über die Auswirkungen der SED-Diktatur auf die seelische Gesundheit diskutiert. Deutlich wurde, dass politische Verfolgung und Haft, aber auch tägliche Demütigungen und Angst bei vielen Betroffenen seelische Wunden verursacht haben. Im Zuge von psychiatrischer Behandlung kamen Schweigepflichtsbrüche häufiger vor, das schürt bis heute Misstrauen bei Betroffenen gegen das Hilfesystem. Prof. Ekkehardt Kumbier und Dr. Kathleen Haack (Universitätsmedizin Rostock) gaben zu Beginn einen Überblick über die psychiatrische Versorgung in der DDR. Die Psychologin Tolou Maslahati (Charité - Universitätsmedizin Berlin) schilderte, dass sowohl bei den Betroffenen politischer Verfolgung in der DDR, als auch bei vielen Nachkommen seelische sowie körperliche gesundheitliche Folgen und höhere Prävalenzen zu beobachten sind. Depressionen sind dabei die häufigste Traumafolgestörung. Stefanie Knorr und Anna Haase (Beratungsstelle Gegenwind) stellten schließlich die inhaltliche Arbeit und Notwendigkeit der Beratungsstelle dar. Sowohl politisch Verfolgte und Opfer von Zersetzung, als auch Menschen, die Erfahrungen mit alltäglichen Demütigungen und Degradierungen gemacht haben, können in der Beratungsstelle Hilfen erhalten. Insgesamt muss über die Zusammenhänge sowohl im Hilfesystem selbst, als auch in der Bevölkerung stärker aufgeklärt werden, Stigma abgebaut und niedrigschwellige Hilfen ermöglicht werden.
In ihrem Video-Grußwort berichtete Bundesaußenministerin Annalena Baerbock von einem Zusammentreffen im April in Südkorea mit drei beeindruckenden Frauen, die aus Nordkorea geflüchtet waren. Es ging um die Teilung Nord- und Südkoreas und Flüchtlinge, weshalb sie gefragt wurde: „Und wie habt ihr das eigentlich gemacht?“. Diese Frage komme immer wieder an unterschiedlichsten Orten der Welt. Dadurch werde ihr jedes Mal in Erinnerung gerufen, was die Menschen in Deutschland geschafft haben. Wie bei vielen Krisen und Konflikten lassen sich die Erfahrungen eines Landes nicht gänzlich auf ein anderes übertragen. Was allerdings weitergeben werden kann - und was auch für die Wiedervereinigung Deutschlands wichtig war – ist, dass die Weltöffentlichkeit hinschaut, darüber spricht und die Bewegung unterstützt. Annalena Baerbock verdeutlichte in ihrem Grußwort, wie wichtig es ist, den Menschen Hoffnung zu geben und deutlich zu machen, dass Geschichte sich verändern kann.
„Blick nach vorn: was können Demokratiebewegungen weltweit aus der friedlichen Revolution lernen?“
Dr. Hannah Neumann MdEP übernahm die Moderation des Abschluss-Panels und fragte zu Beginn Prof. Stefan Röpke, Professor an der Charité und Leiter des Forschungsbereichs für Traumafolgestörungen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, nach den gesundheitlichen Folgen von politischer Haft in der DDR und SBZ. Er leitet ein Teilprojekt im Forschungsverbunds „Landschaften der Verfolgung“. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Rate von körperlichen und psychischen Erkrankungen signifikant höher ist als in der Vergleichspopulation. Das gilt erstaunlicherweise auch für die Kinder der ehemals Inhaftierten. Helfen könne gesellschaftliches Wissen über psychische Folgen, gesellschaftliche Verantwortungsübernahme, Wiedergutmachung, Würdigung und Akzeptanz.
Dr. Anke Gießen ist Mitglied im Vorstand der deutschen Sektion von Memorial und im internationalen Vorstand der in Russland verbotenen NGO Memorial. Sie setzt sich für den bewussten Umgang mit widersprüchlichen Geschichtsnarrativen und die adäquate Weitergabe traumatischer Geschichte an die nächste Generation ein. Sie betonte, dass Demokratiebewegungen in starke Institutionen münden müssen, so dass funktionierende Gewaltenteilung und ein starkes Parlament entstehen. Sonst sei es schwierig, Aufarbeitung zu leisten.
Dr. Susann Worschech ist Post-Doc an der Europa-Universität Viadrina und Demokratie- und Transformationsforscherin. Sie erläuterte aus wissenschaftlicher Sicht, wann aus einer friedlichen Bewegung eine Revolution werden kann: Die Geschichte zeigt, dass aus Protesten nur sehr selten eine Revolution wird, die meisten verlaufen im Sande oder werden brutal unterdrückt. Revolutionen sind Momente, in denen sich in einem großen Prozess des sozialen Wandels viel verdichtet, Revolution ist dann der Tipping Point mit dem Ergebnis, dass sich die Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten verändern. Friedlich verlaufen diese Revolutionen dann, wenn mindestens zehn Prozent des Landes teilnehmen. Doch es gibt weitere notwendige Faktoren: große soziale Unzufriedenheit, Schwäche der Eliten (die die Protestakteur*innen kennen müssen), Schwäche der Geheimdienste und der bewaffneten Gruppen im Land. Wenn also Eliten und bewaffnete Gruppen zusammenhalten, ist eine friedliche Revolution kaum möglich.
Die Ärztin, Autorin und Iran-Expertin Gilda Sahebi schilderte die Brutalität der Staatmacht gegen die feministische Bewegung und die Opposition insgesamt. Fast jede Familie habe in den letzten 40 Jahren Gewalt erfahren. Hinsichtlich der Unterstützung aus dem Ausland gäbe es bei vielen Iraner*innen Kritik, dass Deutschland zu wenig unternehme.
Hannah Neumann betonte in ihrem Schlusswort, dass der Einfluss Deutschlands auf Demokratiebewegungen vielleicht begrenzt sei, dass Deutschland es aber in der Hand habe, wie wir die Menschen behandeln, die zu uns kommen und was wir ihnen hier für Möglichkeiten geben.
Das Gedenken an den 17. Juni 1953 ist Mahnung und Ansporn zugleich: das begangene Unrecht muss weiterhin besser aufgearbeitet und anerkannt werden. Und gleichzeitig ist der Mut der friedlichen Protestierenden gegen das SED-Unrechtsregime während all der Jahre hoffnungsgebend für andere Demokratiebewegungen weltweit.
Aufgezeichneter Livestream
Veranstalter
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
FB 5-Koordinationsbüro (Zusammenleben-Wissen-Gesundheit)
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
TEL 030/227 51066
Programmauszug
Begrüßung
Claudia Roth MdB
Staatsministerin für Kultur und Medien
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Videobotschaft
Katrin Göring-Eckardt
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Keynote
Rückblick auf die Ereignisse am 17. Juni:
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk
Historiker
Keynote
Unrecht in der DDR - Stand der Aufarbeitung:
Evelyn Zupke
SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag
Panel: Welche Dimensionen hatte das Unrecht und wie steht es um die Aufarbeitung?
Evelyn Zupke
SED-Opferbeauftragte
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk
Historiker
Dieter Dombrowski
Bundesvorsitzender
Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. (UOKG e.V.)
Dr. Helge Heidemeyer
Direktor
Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Katja Meier
Staatsministerin der Justiz und für Demokratie
Europa und Gleichstellung, Sachsen
Moderation: Kassem Taher Saleh MdB
Kaffeepause
Panel: Widerstand gegen das DDR-Regime
Dr. Anja Schröter
Robert-Havemann-Gesellschaft
Dr. Anna Kaminsky
Direktorin
Bundesstiftung Aufarbeitung
Marianne Birthler, MdL a.D.
Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR 2000-2011
Moderation: Heide Schinowsky, MdL a.D.
Leiterin Menschenrechtszentrum Cottbus
Mittagspause
Parallele Workshops Teil 1
Workshop 1: Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur - Herausforderungen und Perspektiven
Inge Bennewitz
Betroffene von Zwangsaussiedlungen
Vorsitzende der Aufarbeitungs-Initiative Zwangsaussiedlungen ( AIZ)
Vorstandsmitglied Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. (UOKG e.V.)
Petra Morawe
bis 2019 Referentin für Rehabilitierung und Entschädigung und heute
Traumaberaterin bei der Brandenburger Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur
Peter Wurschi
Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Moderation: Helge Limburg MdB
Workshop 2: Doping im Sportsystem der DDR
Michael Lehner
Vorsitzender Doping-Opfer-Hilfe Verein
Andreas Krieger
DDR-Sportler*in und Dopingopfer
Grit Hartmann
Journalistin und Expertin für Sportsystem der DDR
Moderation: Tina Winklmann MdB
Workshop 3: Gedenkstätten und Museen: wie geht gute Erinnerungsarbeit?
Birgit Marzinka
Leiterin Lernort Keibelstraße Berlin
Dr. Hannah Neumann MdEP
Vorstandsvorsitzende des Fördervereins Campus für Demokratie e.V.
Uljana Sieber
Leiterin der Gedenkstätte Bautzener Straße Dresden
Moderation: Kassem Taher Saleh MdB
Kaffeepause
Parallele Workshops Teil 2
Workshop 4: Umkämpfte Entschädigungen: Warum wir bis heute bei Diskussionen zur Ost-West-Rentenüberleitung auch über gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen in der DDR sprechen müssen :
Marion Böker
Beratung für Menschenrechte und Genderfragen
Beraterin des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen e.V.
Markus Kurth MdB
Berichterstatter der grünen Bundestagsfraktion für Rentenpolitik
Monika Lazar
langjährige MdB der grünen Bundestagsfraktion aus Leipzig
Dr. Juliane Schütterle
Zeithistorikerin und Alumna der Bundesstiftung Aufarbeitung mit dem Schwerpunkt Uranbergbau der DDR
Moderation: Dr. Paula Piechotta MdB
Workshop 5: Das Unrecht der Vertragsarbeiter*innen in der DDR - verschwiegen und vergessen? Perspektive der ostdeutschen Migrationsgesellschaft
Dr. Noa K. Ha
Migrationsforscherin & Leiterin des DeZIM-Institus
Peggy Piesche
Literatur- und Kulturwissenschaftlerin
Tamara Hentschel
Reistrommel e.V.
Moderation: Filiz Polat MdB
Workshop 6: Folgen der SED-Diktatur für die seelische Gesundheit
Prof. Dr. Ekkehardt Kumbier
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Leiter des Arbeitsbereichs Geschichte der Medizin
Universitätsmedizin Rostock
Dr. Kathleen Haack
Medizinhistorikerin
Universitätsmedizinen Rostock und Greifswald
Tolou Maslahati
M.Sc. Psychologin
Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin
Charité - Universitätsmedizin Berlin
Stefanie Knorr
Diplom-Psychologin
Beratungsstelle Gegenwind für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur
Anna Haase
Zeitzeugin und Stadtführerin, Berlin
Beratungsstelle Gegenwind für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur
Moderation: Dr. Kirsten Kappert-Gonther MdB
Kaffeepause
Videobotschaft
Annalena Baerbock
Bundesministerin des Auswärtigen
Panel: Blick nach vorn: was können Demokratiebewegungen weltweit aus der friedlichen Revolution lernen?
Prof. Dr. Stefan Röpke
Charité, Landschaften der Verfolgung. Forschungsverbund zur Erfassung und Analyse der politischen Repression in SBZ und DDR
Gilda Sahebi
Journalistin, Ärztin und Autorin
Dr. Anke Giesen
Mitglied im Vorstand von Memorial Deutschland e.V.
Dr. Susann Worschech
Europa-Universität Viadrina
Moderation: Dr. Hannah Neumann MdEP
Abschluss
Kassem Taher Saleh MdB
Informelles Get-together