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Gedenken an queere Opfer des Nationalsozialismus
- Am 27. Januar 2023 fand anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 78 Jahren die Gedenkstunde zu den Opfern des Nationalsozialismus im Bundestag statt.
- Im Mittelpunkt standen in diesem Jahr Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Opfer der Verfolgung durch die Nazis geworden waren. Endlich!
- Viel zu lange wurden sie in beiden deutschen Staaten weiter kriminalisiert und verfolgt. Viel zu lange wurde dieses Unrecht totgeschwiegen. Und es ist noch vieles zu tun gegen Hass, Hetze und Diskriminierung. Gedenken bedeutet auch Handeln.
Es darf kein Vergessen geben. Unser Gedenken gilt allen verfolgten und ermordeten Opfern des Nationalsozialismus: Wir gedenken der Jüd*innen, der Sinti*zze und Rom*nja, der Opfer des rassistischen Vernichtungskrieges, der politischen Gegner*innen des NS-Regimes, der Kranken und Menschen mit Behinderungen, der Kriegsgefangenen, der sogenannten „Asozialen“, der Wehrmachtsdeserteure und in 2023 besonders der queeren Opfer.
Jahrzehntelang wurden die queeren Opfer des Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland aus der Gedenkkultur ausgeschlossen, ebenso von Entschädigungen für NS-Unrecht. Bis 1969 blieb der von den Nationalsozialisten 1935 massiv verschärfe § 175 Strafgesetzbuch in der Bundesrepublik unverändert in Kraft, endgültig gestrichen wurde er erst 1994. Zehntausende wurden auf dieser Grundlage verfolgt, eingesperrt und in ihrer bürgerlichen Existenz zerstört.
Erste Schritte zur Aufarbeitung
Am 7. Dezember 2000 stufte der Deutsche Bundestag in einer einstimmig gefassten Entschließung die 1935 erfolgte Verschärfung des § 175 erstmals als „Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankenguts“ ein. Der Bundestag betonte weiter, dass die „Verfolgung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und nach heutigem Verständnis auch gegen das freiheitliche Menschenbild des Grundgesetzes“ verstößt, und bekannte, „dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.“
Die im Nationalsozialismus ergangenen Urteile nach §§ 175 und 175a RStGB wurden 2002 mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgehoben, die Verurteilten damit rehabilitiert.
Seit 2008 gibt es das auf Beschluss des Bundestages errichtete Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten. Engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft haben dafür lange bekämpft, ebenso für ein würdiges Gedenken im Bundestag selbst.
Im Juni 2017 hat der Bundestag endlich auch die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der Homosexuellenverfolgung nach 1945 beschlossen.
Würdige Gedenkstunde
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erinnerte an das lange andauernde Unrecht und betonte die Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft. Die Holocaust-Überlebende Rozette Kats setzte ein eindrückliches Zeichen der Solidarität für die queeren Opfer. Klaus Schirdewahn, der noch 1964 nach dem Nazi-Paragraphen 175 verfolgt wurde, sprach als Vertreter der queeren Community vor dem Plenum.
Der Schauspieler*innen Maren Kroymann und Jannik Schümann trugen Biographien der NS-Opfer Mary Pünjer und Karl Gorath vor. Die Sängerin Georgette Dee und der Pianist Tobias Bartholmeß sorgten für zu Herzen gehende musikalische Begleitung. Neben den Abgeordneten des Parlaments nahmen auch Vertreter*innen der anderen Verfassungsorgane teil sowie junge Menschen, die sich an der diesjährigen Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages beteiligten.
Auftrag für die Zukunft
Gedenken bedeutet auch Handeln. Deutschland trägt vor dem Hintergrund der systematischen Entrechtung, Erniedrigung, Deportation und Ermordung von tausenden queeren Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus und angesichts der Fortsetzung der Verfolgung in beiden deutschen Staaten nach 1945 eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit aufgrund der geschlechtlichen und sexuellen Identität.
Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus muss für uns Ansporn sein, weltweit für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen einzutreten. Gegenüber autoritären Herrschern, die LSBTIQ drangsalieren und ihre Grundrechte mit Füßen treten, müssen klar Grenzen gesetzt und spürbare Konsequenzen gezogen werden. Als international anerkannter Partner und wichtiges EU-Land muss Deutschland ein Vorreiter für den Schutz sexueller Minderheiten weltweit werden. Den queeren Geflüchteten sind wir zu Schutz und Unterstützung verpflichtet.
Trotz großer gesellschaftlicher und rechtlicher Fortschritte bestehen Anfeindungen und Ausgrenzung von LSBTIQ in der Gesellschaft nach wie vor. Tag für Tag kommt es zu transfeindlichen und homophoben Übergriffen. Niemand darf es achselzuckend hinnehmen, wenn eine ganze gesellschaftliche Gruppe alltäglich massiv von Gewalt bedroht ist. Derzeit zielen viele Anfeindungen besonders auf transgeschlechtliche Menschen. Es widerspricht der Idee einer offenen Gesellschaft, wenn gegen eine der vulnerabelsten Gruppen gehetzt wird. Dem Hass, der Hetze und queerfeindlicher Gewalt müssen Staat und Gesellschaft entschieden entgegentreten.
Die noch bestehenden Ungerechtigkeiten gegenüber queeren Menschen müssen endlich beseitigt werden. Wir brauchen ein menschenrechtskonformes Selbstbestimmungsgesetz, damit trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen in ihrer Identität anerkannt werden. Die sogenannten Konversionsbehandlungen sowie medizinisch nicht notwendige Operationen an intergeschlechtlichen Kindern müssen lückenlos verboten werden. Und nicht zuletzt muss das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG ergänzt und es müssen dabei alle queeren Menschen umfasst werden.
Alle diese Vorhaben hat sich die Ampelkoalition auf der Fahne geschrieben. Wir werden sie in dieser Legislaturperiode mit unserer ganzen politischen Kraft vorantreiben.
Aber auch das Engagement für die Demokratie und gegen Autoritarismus, Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit lassen sich für den deutschen Staat und die deutsche Gesellschaft aus dieser historischen Schuld herleiten. Nur in einem freiheitlich-demokratischen Staat und nur in einer offenen Gesellschaft können queere Menschen zuversichtlich sein, dass die Schrecken aus der Vergangenheit sie nicht wieder einholen.
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