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Bleibt Europa gentechnikfrei?
- Am 10. Dezember hat die ungarische EU-Ratspräsidentschaft den Diskussionsstand um die Regulierung neuer Gentechnik in den Agrarministerrat getragen.
- Die EU-Kommission will bestehende Standards für Produkte neuer Gentechnik senken. Das Parlament will die Kennzeichnung auf Gentechnikprodukten erhalten. Im Fokus der Debatte im Rat stehen Patente. Eine Einigung könnte die polnische Ratspräsidentschaft im kommenden Halbjahr bringen.
- Wir sagen: Auch neue Gentechnik ist Gentechnik. Keine Absenkung von Umwelt- und Gesundheitsstandards. Wahlfreiheit geht nur über Kennzeichnung.
Dass unsere Äcker in Europa gentechnikfrei sind – bis auf sehr kleine Flächen in Spanien und Portugal – verdanken wir Ihnen, also dem starken Willen der Verbraucher*innen. Ihr „Gentechnik nein danke!“ sorgt bis heute dafür, dass fast keine mithilfe gentechnischer Eingriffe erzeugten Produkte in den Supermarktregalen liegen. Denn auf diesen müsste deutlich sichtbar „Gentechnik“ stehen. Niemand in Europa möchte das kaufen.
Im Gegenteil: Die Verbraucher*innen bevorzugen gentechnikfreies Essen, zum Beispiel die gesamte Biopalette von Brot über Gemüse bis hin zu Fleisch. Das Siegel garantiert Gentechnikfreiheit. Oder die Menschen greifen zu Produkten, die das „Ohne Gentechnik“-Siegel tragen. Hier kann man sicher sein, dass die Tiere gentechnikfrei gefüttert wurden. In der Regel bedeutet es, dass keine gentechnisch veränderte Soja aus südamerikanischen Monokulturen im Futtertrog gelandet ist. So sind Dreiviertel der in Deutschland verkauften Milch mit „Ohne Gentechnik“ ausgezeichnet. Inklusive der Bioprodukte handelt es sich um einen Markt mit rund 33 Milliarden Euro Umsatz allein in Deutschland. Eine Erfolgsgeschichte!
Diese Wahlfreiheit ist für uns Grüne im Bundestag ein hohes Gut. Damit sie auch für Landwirt*innen gilt, braucht es wissenschaftlich fundierte Abstandsregeln. Sie sichern, dass gentechnisch veränderte Pollen des Nachbarn nicht den eigenen Acker kontaminieren und der betroffene Landwirt oder die betroffene Imkerin das Produkt anschließend nicht mehr als gentechnikfrei oder bio verkaufen kann. Die so genannte Koexistenz ist schwierig und sehr bürokratisch bis unmöglich umzusetzen, besonders bei Pflanzen wie Raps, dessen Pollen kilometerweit fliegt.
Aus diesen Gründen gibt es in Europa etliche Regionen, die sich als gentechnikfrei deklariert haben und ganze Mitgliedstaaten wie Deutschland, die auf den Anbau des Genmaises MON810 verzichten, der einzigen Gentech-Pflanze, die bisher in der EU zum Anbau zugelassen werden sollte.
Wir als Grüne Bundestagsfraktion setzen uns dafür ein, dass das so bleibt. Stellt ein Unternehmen einen Antrag auf Zulassung seines Produkts als Lebens- und Futtermittel oder zum Anbau, müssen die hohen Umwelt- und Verbraucherstandards der EU gelten. Sie stellen weltweit ein Vorbild dar. Jeder einzelne gentechnisch veränderte Organismus – das sind Pflanzen, aber auch Tiere und Mikroorganismen – muss vor einer Marktzulassung auf mögliche negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit eingehend und wissenschaftlich unabhängig getestet werden.
Das europarechtlich verankerte Vorsorgeprinzip muss für alle gentechnisch veränderten Organismen gelten, sobald sie freigelassen werden. Denn dort können sie sich vermehren, mit natürlichen Sorten auskreuzen und fragile Ökosysteme durcheinanderwirbeln. Wir können dies nicht kontrollieren oder rückgängig machen. Vorsorge bedeutet: wenn die Auswirkungen zu unklar sind und wir zu wenig über sie wissen, sollten wir von einer Freisetzung die Finger lassen. Wir tragen hier eine große Verantwortung.
Neue Gentechnik
Seit einigen Jahren gibt es neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas. Trotz andererorts laxerer Regeln als in der EU findet man weltweit wenige Produkte, unter anderem eine vermeintlich blutdrucksenkende Tomate und eine Sojabohne mit verändertem Fettsäuregehalt, die so erfolglos war, dass der Hersteller sie zurücknahm. Dennoch ist der Druck der Hersteller auf die EU-Gesetzgeber enorm.
Mit einem Vorschlag zur Deregulierung stellt die EU-Kommission die Pflicht zur Kennzeichnung und damit die Wahlfreiheit in Frage. Das Parlament will die Kennzeichnung auf dem Produkt erhalten. Beide wollen das Zulassungsverfahren für neue Gentechnik in vielen Fällen verkürzen bis ganz wegfallen lassen. Damit wären Umwelt- und Gesundheitsschutz in Gefahr. Dem Rat fehlt bislang eine Mehrheit für einen Vorschlag. Die kommende polnische Ratspräsidentschaft für die erste Jahreshälfte 2025 hat die Suche nach einem Kompromiss angekündigt, bei dem die Frage nach der Patentierbarkeit neuer Gentechnikpflanzen im Zentrum stehen.
Wir sagen: Auch neue Gentechnik ist Gentechnik und soll wie diese reguliert bleiben (Link: Fraktionsbeschluss neue Gentechnik 2020). Eine Absenkung von Umwelt- und Gesundheitsstandards nehmen wir nicht in Kauf. Ebenso muss die Wahlfreiheit gesichert sein. Jeder Mensch hat das Recht zu wissen, was drin ist. Und jede/r Erzeuger*in muss sicher sein können, auch gentechnikfreie Produkte verkaufen zu können. Mit neuer Gentechnik veränderte Pflanzen sind ebenso patentiert wie die ältere Generation, mit allen negativen Auswirkungen. Wir beleuchten dies in einem aktuellen Rechtsgutachten (Link).
Die Debatte um Gentechnik auf Acker und Teller bestimmen am Ende die Verbraucher*innen – also Sie. Mischen Sie sich ein!
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