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Chancen-Aufenthaltsrecht schafft eine Perspektive für Geduldete
- Mit der Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts wird ein zentrales flüchtlingspolitisches Vorhaben des Koalitionsvertrags umgesetzt. Der Bundestag hat das Gesetz am 2. Dezember 2022 beschlossen, am 1. Januar 2023 ist es in Kraft getreten.
- Wir leiten einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik ein: Menschen, die seit fünf Jahren geduldet oder gestattet in Deutschland leben, erhalten für zunächst 18 Monate das Chancen-Aufenthaltsrecht. Während dieser Zeit soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen.
- Das Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag gegen den Arbeitskräftemangel. Mit dem Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht stärken wir auch die Teilhaberechte von Asylsuchenden und Migrant*innen, denn der Zugang zu Integrationskursen wird für Alle geöffnet.
Für uns Grüne im Bundestag war und ist es ein erklärtes Ziel, die entwürdigenden Kettenduldungen endlich abzuschaffen. Denn bisherige Bleiberechtsregelungen sind ins Leere gelaufen. Endlich sollen Geduldete, die jahrelang Angst vor einer Abschiebung hatten, die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten.
Mit dem Gesetzentwurf wird zunächst nur ein erster Teil der migrations-integrations- und flüchtlingspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrages umgesetzt. Weitere wichtige Vorhaben – wie zum Beispiel die Gleichstellung des Familiennachzugs von subsidiär Geschützten mit anerkannten Flüchtlingen und die Regelung des Geschwisternachzuges sowie die Streichung von Arbeitsverboten. Reformen im Asylverfahrensrecht einschließlich einer unabhängigen Asylverfahrensberatung hat der Bundestag ebenfalls am 2. Dezember 2022 in einem weiteren Gesetzespaket verabschiedet. Auch die Reform der Fachkräfteeinwanderung hin zu einem echten Einwanderungsgesetz haben wir im Juni 2023 im Bundestag beschlossen.
Beim Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht haben die Ampel-Fraktionen nach Auswertung der Sachverständigenanhörung gegenüber dem Entwurf noch folgende Änderungen vorgenommen:
- In der Regelung zum Chancenaufenthalt (§ 104c AufenthG) wird der Stichtag vom 1. Januar 2022 auf den 31. Oktober 2022 verschoben und die Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancenaufenthalt ist um 6 Monate auf 18 Monate verlängerbar ohne weitere Bedingungen. Die Verschiebung des Stichtags für die fünfjährige Voraufenthaltszeit um zehn Monate auf den 31. Oktober 2022 wird dazu führen, dass mehr Menschen von der neuen Regelung profitieren werden als mit der ursprünglich vorgesehenen Regelung.
- In die Regelung für gut integrierte Jugendliche und junge Erwachsene wird ein Jahr Vorduldungszeit als neue Voraussetzung eingefügt. Diesen Kompromiss mussten wir eingehen. Positiv ist aber: Es gibt eine Ausnahmeregel für Jugendliche und junge Erwachsene wenn sie aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung die schulischen Erfolge nicht erbringen können.
Praxistaugliche Lösungen bei Bleiberechten
Über 200.000 Menschen leben aktuell in Deutschland mit einer prekären Duldung, haben damit bisher keine feste Aufenthaltsperspektive. In vielen Fällen droht jederzeit die Abschiebung. Circa 130.000 von ihnen halten sich bereits seit fünf Jahren oder länger in Deutschland auf und können somit jetzt vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren. Nur wenige von ihnen haben bisher eine Arbeitserlaubnis. Hier sieht man, welches große Potenzial zwangsweise brach lag.
Diesen Menschen, die über die lange Aufenthaltszeit ihr Lebensumfeld in Deutschland gefunden haben, soll nun eine aufenthaltsrechtliche Perspektive eröffnet und eine Chance eingeräumt werden, die notwendigen Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt zu erlangen. Die Lebensplanung für diese langjährig in Deutschland lebenden Menschen wird somit verlässlicher.
Beitrag gegen den Arbeitskräftemangel
Das Chancen-Aufenthaltsrecht leistet auch einen Beitrag gegen den Arbeitskräftemangel. Gerade Handwerksbetriebe, aber auch die Wirtschaft insgesamt werden von der Neuregelung profitieren, da nun die jahrelange Unsicherheit für Arbeitgeber*innen beendet wird, ob die gerade eingestellten Mitarbeiter*innen mit Duldung von einem Tag auf den anderen abgeschoben werden.
Vielfach werden bislang Beschäftigungen unterbrochen, oder es scheitert die Aufnahme einer Beschäftigung, weil die Arbeitgeber*innen keine Planungssicherheit haben, weil kein Pass vorgelegt werden kann oder die Identität nicht geklärt ist und dies den Betroffenen angelastet wird. Um zu einer pragmatischen Lösung zu kommen, braucht es die Verknüpfung von Aufenthaltssicherheit mit Identitätsklärung und Beschäftigungsperspektive. Deshalb erhalten Menschen, die zum 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet sind, ohne weitere Voraussetzung einen einjährigen Aufenthaltstitel, um die Voraussetzungen für andere Bleiberechte erfüllen zu können. Die Reform ist ein motivierendes Angebot gerade für junge Menschen und eine gute Nachricht für die Wirtschaft. Viele Unternehmen dringen wegen großer Personalnöte schon seit langem auf pragmatische aufenthaltsrechtliche Verfahren nach dem Prinzip "Ausbildung statt Abschiebung". Somit ist das neue Chancen-Aufenthaltsrecht auch eine effektive Maßnahme gegen den Arbeitskräftemangel, der in den kommenden Monaten noch weitere folgen werden.
Die Voraussetzungen zu bereits bestehenden Bleiberechtsregelungen im Aufenthaltsrecht werden ebenfalls ausgeweitet, damit mehr Menschen davon profitieren können.
Zugang für alle zu Integrationskursen
Für Asylsuchende soll der Integrationskurs und der Berufssprachkurs künftig grundsätzlich zugänglich sein, unabhängig vom Herkunftsland oder Einreisedatum der betroffenen Personen. Damit wird die Vorgabe des Koalitionsvertrages in einem ersten Schritt umgesetzt, für eine möglichst rasche Integration allen Menschen, die nach Deutschland kommen, von Anfang an Integrationskurse anzubieten. Dies ist ein wichtiges Signal, um dem Eindruck einer „Zweiklassengesellschaft“ und der Spaltung zwischen Flüchtlingsgruppen entgegenzuwirken, der durch die zu Recht umfangreichen Integrationsangebote für ukrainische Geflüchtete entstanden ist. Hier ist es uns nun wichtig, auch die finanzielle Ausstattung im Bundeshaushalt entsprechend anzupassen, damit es ein ausreichendes Kursangebot gibt.
Weitere Regelungen des Gesetzentwurfes
Es gibt erste Erleichterungen beim Familiennachzug: Bei Ehegatten und Kindern von Fachkräften ab dem 16. Lebensjahr soll zukünftig vom Erfordernis deutscher Sprachkenntnisse vor der Einreise abgesehen werden. Diese Erleichterung beim Familiennachzug von Fachkräften ist begrüßenswert. Deutsch lernt man am besten in einer deutschsprachigen Umgebung. Die bisherige Regelung bedeutete für Familien oft unnötig lange Trennungszeiten, wenn Deutschkurse für die Betroffenen zum Beispiel nur schwer erreichbar waren oder durch widrige Umstände der Deutsch-Test nicht bestanden werden konnte. Das ist der erste Schritt. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass beim Familiennachzug die Erfordernis des Nachweises deutscher Sprachkenntnisse vor der Einreise generell für alle Menschen gestrichen wird.
Der Koalitionsvertrag sieht auch eine Rückführungsoffensive vor, insbesondere hinsichtlich der Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Im nun beschlossenen Gesetz ist bei der Beendigung des Aufenthalts von Straftätern und Gefährdern eine Änderung der Regelung über deren Ausweisung vorgesehen.
Das Gesetz ist 1. Januar 2023 in Kraft getreten.
"Aufenthaltsrecht auf Probe ist ein Gewinn für alle - reicht aber nicht"
Gastbeitrag unserer parlamentarischen Geschäftsführerin Filiz Polat im Tagesspiegel, 11. Oktober 2022
Im Tagesspiegel legt Filiz Polat dar, warum das Chancen-Aufenthaltsrecht einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitk einläutet: "Das ist ein Meilenstein, denn mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ermöglichen wir einen Spurwechsel: Personen, die zwar kein Asyl erhalten haben, aber seit Jahren in Deutschland leben, ebnen wir den Weg in unseren Arbeitsmarkt und eröffnen nicht nur ein Recht auf Zukunft in Deutschland, sondern gewinnen motivierte Arbeitskräfte."
Gesetzentwurf
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