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Gute Ernährung geht uns alle an
- Der in der vergangenen Legislaturperiode vom Bundestag eingesetzte Bürger*innenrat „Ernährung im Wandel“ war ein großer Erfolg und lieferte wichtige Empfehlungen für eine zukünftige Ernährungspolitik. Deshalb ist es vollkommen unverständlich, dass die Empfehlungen nun gar nicht im schwarz-roten KoaVertrag aufgegriffen werden. Sogar der Prüfauftrag für ein Energydrink-Verbot von unter 16-Jährigen ist aus der finalen Version des Vertrags geflogen. Das ist ein Zeichen mangelnden Respekts gegenüber Bürgerschaftlichem Engagement – zumal der Bürger*innenrat ja vom Bundestag selber berufen wurde.
- Das Bürgervotum zeigt: Gesunde, nachhaltige Ernährung ist gewollt – von kostenfreiem Schulessen über einem Wegwerfstopp von Supermärkten bis hin zu einer Umgestaltung der Mehrwertsteuer. Hier lesen Sie unsere Position zu den Empfehlungen des Bürgerrat.
- Wir Grüne im Bundestag unterstützen das Beteiligungsformat Bürgerräte als Bereicherung der Demokratie. Doch wenn die Empfehlungen nicht von der Politik aufgegriffen werden, sorgt man für Frust bei den Bürger*innen, die viel Zeit und Engagement in die Erarbeitung der Vorschläge gesteckt haben. Wir werden in der Opposition die Koalition an die Vorschläge erinnern, damit sie nicht ins Leere laufen.
Im Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ trafen sich die 160 Teilnehmer*innen zwischen September 2023 und Januar 2024 in neun Sitzungen, um an den gemeinsamen Empfehlungen an die Bundespolitik zu arbeiten. Die Mitglieder wurden in einem mehrstufigen Verfahren per Zufallsauswahl bestimmt. Sie bilden bezüglich Alter, Geschlecht, Herkunft (Bundesland und Gemeindegröße), Bildungshintergrund und Ernährungsstil (vegetarisch und vegan) repräsentativ die deutsche Bevölkerung ab.
Es ist sehr bedauerlich, dass der Bürger*innenrat „Ernährung im Wandel“ im neuen Koalitionsvertrag von Union und SPD nicht mit einer Silbe erwähnt wird. Selbst der Prüfauftrag für ein Energydrink-Verbot von unter 16-Jährigen ist aus der finalen Version des KoaVertags geflogen. Dabei hätten die Empfehlungen wichtige Leitplanken für die Ernährungspolitik sein können, ein Politikfeld, in dem die neue Regierung besonders ambitionslos ist.
Absurd ist, dass an anderer Stelle im Koalitionsvertag sich für „zivilgesellschaftliche Bürgerräte“ eingesetzt wird, was wir Grüne im Bundestag begrüßen. Doch wenn die Empfehlungen wie beim Bürger*innenrat „Ernährung im Wandel“ überhaupt nicht aufgenommen werden, verkommen die partizipativen Beteiligungsformate zur Beschäftigungstherapie. Das sorgt langfristig für Demokratieverdrossenheit.
Wir Grüne im Bundestag sehen weiterhin diesen Bürgerrat als eine Bereicherung für eine lebhafte Demokratie und danken allen Teilnehmenden für ihr Engagement. In den Fraktionen von CDU/CSU und FDP herrschte leider von Anfang an wenig Akzeptanz für die Arbeit des Bürgerrates, was die Umsetzung der Empfehlungen erschwerte. Zum Ende der letzten Legislatur wollten die beiden Fraktionen ausdrücklich keine Behandlung im Plenum des Bundestages. Für uns ist wichtig, dass die Empfehlungen des Bürgerrats auch in dieser Legislatur weiterverfolgt werden. Die konstruktive Arbeit von 160 Bürger*innen darf nicht umsonst gewesen sein. In unserem Antrag „Umgang mit den Empfehlungen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ empfehlen wir deshalb den Bürgerrat auch in dieser Wahlperiode fortzuführen und die Empfehlungen ernst zu nehmen.
Schwarmintelligenz der Bürgerinnen und Bürger gegen populistische Parolen
Die Ergebnisse des Bürgerrats zeigen deutlich, wie groß in der Mitte der Gesellschaft die Offenheit für eine nachhaltige Ernährungspolitik ist. Im Gespräch und in der tieferen Auseinandersetzung haben populistische Überschriften á la „Vegi gegen Wurst“ keine Chance gegen wirkliche Lösungen, die den Landwirt*innen eine Umstellung ihrer Betriebe auf die bessere Haltung weniger Tiere ermöglicht, und die Menschen mit allen Ernährungsstilen ein passendes Angebot macht. Zwischen dem, was die Ernährungsstrategie aufführt und uns wissenschaftliche Beiräte empfehlen, und dem, was der Bürgerrat fordert, gibt es eine sehr große Schnittmenge.
Die 9 Empfehlungen des Bürgerrats „Ernährung im Wandel“
1. Investition in die Zukunft: Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder als Schlüssel für Bildungschancen und Gesundheit
2. Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label
3. Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel
4. Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darstellen
5. Fördern statt Fordern – neuer Steuerkurs für Lebensmittel
6. Gesunde, ausgewogene und angepasste Gemeinschaftsverpflegung in Krankenhäusern, Reha-, Senioren- und sonstigen Pflegeeinrichtungen
7. Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls
8. Altersgrenze für Energydrinks
9. Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz der Ergebnisse für die Öffentlichkeit
Kostenfreies Kita- und Schulessen
Ein kostenfreies Kita- und Schulessen ist für die Bürger*innen die wichtigste Maßnahme. Sie soll anteilig von Bund und Ländern finanziert werden. Als Mindeststandard soll die Verpflegung an den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ausgerichtet sein sowie mindestens 30 Prozent Biolebensmittel enthalten. Bislang sind die Bundesländer für die Finanzierung zuständig. Nur in Berlin stehen Kitakindern und Schüler*innen ein kostenloses Essen zur Verfügung, in Hamburg gibt es das kostenfreie Kitaessen.
Staatliches Lebensmittelsiegel
Ein staatliches Lebensmittelsiegel soll es in drei Kategorien geben: Gesundheit, Klima/Umwelt, Tierschutz und Ausweitung der Tierhaltungskennzeichnung. Ein solches Label mit drei Kategorien, die unabhängig voneinander erkennbar sind, gibt es etwa schon in Frankreich als den Nutriscore ergänzenden „Eco“ oder „Planet Score“. Der Bürgerrat fordert eine freiwillige Einführung in Deutschland, dem eine verbindliche Einführung auf EU-Ebene folgt. Wir unterstützen ein solches Label.
Damit weniger Tiere besser gehalten werden und die Tierhaltung für alle Verbraucher*innen und Verbraucher transparent ist, haben wir die Tierhaltungskennzeichnung eingeführt und den schrittweise Umbau der Tierhaltung auf den Weg gebracht und damit ein zentrales Anliegen der Bürger*innen Auch für die empfohlene Tierwohlabgabe haben wir verschiedene Konzepte vorgelegt, die leider allesamt von FDP und Finanzministerium geblockt wurden. Wir bleiben dran!
Wegwerfstopp für Supermärkte
Ähnlich wie in Frankreich soll es laut Bürgerrat gesetzlich festgeschrieben werden, dass Supermärkte über 400 Quadratmeter Ladenfläche noch genießbare Lebensmittelreste an gemeinnützige Organisationen (zum Beispiel Tafeln) und für gemeinnützige Zwecke weitergeben. Wir Grüne im Bundestag unterstützen diese oder ähnliche Maßnahmen der Lebensmittelrettung aus dem Einzelhandel. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat rechtliche Möglichkeiten vorgelegt, die mit der Zustimmung aller Koalitionspartner hätten umgesetzt werden können. Wir nehmen das Thema der Bürger*innen mit in die nächste Wahlperiode.
Mehrwertsteuer gesund und nachhaltig gestalten
Eine Nullbesteuerung für Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Nüsse, Hülsenfrüchte und Wasser steht auf der Forderungsliste der Bürger*innen. Im Gegenzug würden Zucker sowie tierische Produkte der Haltungsstufe 1 und 2 mit 19 Prozent besteuert. Fleisch- und Milchersatzprodukte sollen in die Liste der Grundnahrungsmittel aufgenommen werden. Wir fordern, dass sich die Gleichwertigkeit der Ernährungsformen auch in den Steuersätzen widerspiegeln muss. Für eine Nullbesteuerung von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten hat sich Ernährungsminister Özdemir öffentlich ausgesprochen.
Gesunde Krankenhaus- und Pflegeversorgung
In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sollen nach Votum des Bürgerrats die DGE-Standards eingeführt werden. Damit die Finanzierung gesichert ist, ist ein wichtiger Punkt, dass Ernährung in der Budgetierung der Krankenhäuser unter Gesundheitskosten verbucht würde, und nicht wie bisher unter „Sonstiges“. Hierfür machen sich unsere Abgeordneten Renate Künast und Johannes Wagner schon länger stark.
Altersgrenze für Energydrinks
Der Bürgerrat plädiert für eine Altersgrenze von mindestens 16 Jahren bei Energydrinks, um den gesetzlich verankerten Kinder- und Jugendschutz zu gewährleisten. Die Gesundheitsschäden und das Suchtpotential seien ähnlich gravierend wie bei Zigaretten und Alkohol. Das BMEL hat sich dem Thema mit einer Studie gewidmet, deren Ergebnisse demnächst vorliegen werden. Basierend auf dieser wissenschaftlichen Grundlage und weiterer Studien sollten rechtliche Schritte eingeleitet werden, um den Kinder- und Jugendschutz besser zu gewährleisten.
Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen
Für Gesundheitsschutz und Transparenz fordern die Bürger*innen mehr Personal für häufigere Lebensmittelkontrollen. Die Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Als Bundestagsfraktion der Verbraucherschutzpartei unterstützen wir diese Empfehlungen.
Weitere Texte und Dokumente zum Thema
Am 11. Februar 2025 wurde der Sachstandsbericht des Bürger*innenrat "Ernährung" an die Bundestagspräsidentin übergeben. Für uns ist klar: Die Empfehlungen sind auch über die Legislaturperiode hinaus wichtige Leitplanken für uns.
Der Landwirtschafts- und Ernährungsteil ist sehr ernüchternd. Einen Umbau hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft wird es mit Schwarz-Rot nicht geben.
Erfahre wie Klimavorsorge die Landwirtschaft in Deutschland zukunftsfest macht. Die Grünen im Bundestag setzen auf nachhaltige Agrarstrukturen und Förderprogramme, um Landwirt*innen zu unterstützen.
Mit dem Praxis-Check Lebensmittelhandwerk liegen 26 konkrete Vorschläge auf dem Tisch, wie Bäckereien, Schlachtereien und weitere Betriebe des Lebensmittelhandwerks entlastet werden können.
Heute übergibt der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft seinen Sachstandsbericht an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Das ist gut, aber dabei darf es nicht bleiben.