08 Nov 2022

Fachgespräch WM in Katar – wo bleiben die Menschenrechte?

  • Im Koalitionsvertrag ist vereinbart: Die Vergabe und Ausrichtung von internationalen Sportgroßveranstaltungen muss strikt an die Beachtung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Nachhaltigkeit geknüpft werden.
  • Am 11. Oktober 2022 hat die grüne Bundestagsfraktion einen Fraktionsbeschluss  zur umstrittenen Fußball-WM in Katar verabschiedet.
  • Im Rahmen unseres Fachgesprächs haben wir am 08. November 2022 über die Rolle von FIFA und DFB, die Lage der Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte in Katar und die zu ziehenden Konsequenzen für künftige Vergabeentscheidungen diskutiert.

Am 8. November 2022 nahmen auf Einladung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen rund 150 Personen am Fachgespräch „WM in Katar – wo bleiben die Menschenrechte?“ teil. Vor dem Hintergrund des Forderungspapiers zur WM in Katar, das die grüne Bundestagsfraktion im Oktober beschlossen hatte, diskutiierten Expert*innen und Gäste engagiert über Fehler, Standards und Lehren. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Journalistin und Autorin Nicole Selmer.

Welche Standards müssen gelten?

Nach der Begrüßung durch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger nahm MdB Boris Mijatovic, Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Bezug auf die Vergabe und Ausrichtung von internationalen Sportgroßveranstaltungen, die zukünftig strikt an die Beachtung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und Nachhaltigkeit geknüpft sein sollen — so steht es auch im Koalitionsvertrag.

Unter dem Titel „Welche Konsequenzen muss die Sportpolitik und der organisierte Sport aus dieser WM-Vergabe ziehen?“ diskutierten Philip Krämer (Stellvertretender Vorsitzender im Sportausschuss), Katja Müller-Fahlbusch (Amnesty International), Steffen Simon (Mediendirektor des DFB) und Helen Breit (Sprecherin der Fan-Organisation „Unsere Kurve“) unter der Moderation von Nicole Selmer (Journalistin und Autorin).

Die Diskussion entfachte sich hier zunächst an einem Brief der FIFA an die 32 teilnehmenden Nationalverbände in dem FIFA-Präsident Infantino die Verbände aufforderte, auf politische Debatten während des Turniers zu verzichten und sich auf den Fußball zu konzentrieren. Simon betonte, dass der DFB – gemeinsam mit neun anderen europäischen Verbänden – darauf eine Erwiderung verfasst habe. Die Verbände würden sich hier nicht den Mund verbieten lassen, so Simon. Weiter verwies er auf eine sehr bewusste inhaltliche Vorbereitung auf das Turnier seitens des DFB. Helen Breit, die Sprecherin der Fan-Organisation Unsere Kurve, forderte in Richtung Simon, dass der DFB insbesondere während des Turniers nicht leise sein dürfe, sich nicht raushalten solle und Gebrauch von der eigenen Stimme machen möge.

Anfang November hatte Katar Forderungen nach einem Entschädigungsfonds für Arbeiter*innen, die auf Baustellen für die Fußball-WM getötet oder verletzt worden sind, zurückgewiesen. Katja Müller-Fahlbusch (Amnesty International) hält das für falsch und machte sich in der Diskussion mehrmals für den Aufbau eines unabhängigen und angemessen ausgestatteten „Entschädigungsmechanismus“ stark. Sie sieht den DFB in der Verantwortung, sich anzuschließen und diesen öffentlich und tatkräftig gegenüber der FIFA und Katar zu unterstützen. Für Philip Krämer ist ein Entschädigungsfonds nicht nur möglich, sondern auch nötig. Es sei politisch zentral, dass Veränderungen, die in einigen Teilen tatsächlich angeschoben worden sind, auch nachhaltig in Gesetze implementiert werden.

Natürlich kam in diesem Panel auch die unsägliche Aussage des katarischen WM-Botschafters Khalid Salman zur Sprache. Am Vortag wurde ein Interview mit ihm ausgestrahlt, in dem er Homosexualität als einen „geistigen Schaden“ bezeichnete. Während der Diskussion wurde deutlich, dass die Vergabe nach Katar einen massiven Rückschritt für den Sport darstellt, den es in den nächsten Jahren aufzuholen gilt. Die Sicherheitsgarantien für alle WM-Besucher*innen, auch die, die offen homosexuell leben, seien das absolute Minimum und hätten bereits Teil der Vergabe sein müssen, sagte Krämer.

Einigkeit herrschte darüber, dass die FIFA zukünftig Verantwortung für ihre Veranstaltungen übernehmen muss. Es brauche Monitoring und klare Zwischenziele, sollten diese nicht eingehalten werden, müsse es künftig auch die Möglichkeit geben, eine Gastgeberschaft wieder zu entziehen, sagte Krämer.

Reformen und Fortschritt am Golf?

Vor dem zweiten Panel nahm Lamya Kaddor, Berichterstatterin für den Nahen Osten und Mittleren Osten, eine außenpolitische Einordnung vor, in der sie sich kritisch mit den Reformbemühungen um den Arbeitsschutz von Wanderarbeiter*innen und der Menschenrechtslage in Katar auseinandersetzte, aber auch Katars geopolitisch vulnerable Position in der Golfregion und die Bedeutung des Emirats für Deutschland hervor hob. Sie arbeitete heraus, dass das autoritäre Katar ein schwieriger Partner sei, aber durch einen politischen Boykott der Fußball WM auch niemandem in Katar geholfen wäre. Denn der Dialog gerade zu Menschenrechtsthemen sei unerlässlich, wenn wir Verbesserungen erwirken wollten.

In der zweiten Diskussionsrunde setzten sich Luise Amtsberg, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der Nahost-Experte Dr. Sebastian Sons, der Gewerkschaftsvertreter Dietmar Schäfers und der Sportjournalist Benjamin Best unter der Moderation von Nicole Selmer (Journalistin und Autorin) mit der Frage, wie die Arbeitsrechtreformen in Katar nachhaltig und über die WM hinaus Bestand haben können, auseinander.

Dietmar Schäfers, der als Gewerkschaftsvertreter häufig zu Gesprächen und Bauinspektionen vor Ort war, erläuterte, dass es in Katar keinen organisierten sozialen Dialog der Interessengruppen gebe, und dass nunmehr die Reformkräfte zunehmend unter Druck geraten würden. Benjamin Best, der für seinen Dokumentationsfilm zuvor in Katar recherchiert hatte, verwies darauf, dass Arbeitercamps aufgrund der prekären Verhältnisse nicht besucht werden dürften, und dass auch die WM-Offiziellen mittlerweile zunehmend nervös würden. Die Verantwortlichen in Katar hätten sich verschätzt, so seine Vermutung, und nicht mit einer derart lang anhaltenden Thematisierung der Menschenrechte in der westlichen Öffentlichkeit gerechnet.

Kritisch äußerte sich auch Dr. Sebastian Sons. Nach seiner Einschätzung ist die Ausbeutung in Katar nach wie vor ein gängiges Geschäftsmodell und bleibt damit ein grundlegendes und strukturelles Problem. Luise Amtsberg hob auch deswegen in ihrem Plädoyer nochmals deutlich hervor, in der Debatte weiterhin konsequent zu sein, auf Missstände hinzuweisen und nichts schön zu reden. Bei Menschenrechtsfragen, betonte Luise Amtsberg, dürfe es keine roten Linien geben.

Zusammenfassend waren sich die Panelist*innen einig, dass durch den internationalen Druck im Zuge der WM bereits einige Verbesserungen für Arbeitsmigrant*innen beim Arbeitsschutz erreicht wurden, die bisherigen Reformen jedoch nicht weit genug gehen und nur unzureichend durchgesetzt werden. Daher kommt es darauf an, auch nach der WM genau hinzuschauen, damit die Reformen nicht wieder zurückgenommen werden, sobald das Turnier vorbei ist.

Uhrzeit Programm
17.30 Anmeldung
18.00

Begrüßung und Einführung

Agnieszka Brugger MdB
Stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

Impulsvortrag:

„Menschenrechte und Sportgroßveranstaltungen – welche Standards müssen gelten?“  

Boris Mijatovic MdB
Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

18.20

Paneldiskussion

„Welche Konsequenzen muss die Sportpolitik und der organisierte Sport aus dieser WM-Vergabe ziehen?“

Philip Krämer MdB
Stellvertretender Vorsitzender im Sportausschuss
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

Katja Müller-Fahlbusch
Amnesty International – Fachreferentin für den Nahen Osten und Nordafrika

Steffen Simon
Mediendirektor des DFB

Helen Breit
Sprecherin der Fan-Organisation „Unsere Kurve“

Moderation: Nicole Selmer
Journalistin und Autorin

19.15

Impulsvortrag:

„Die WM in Katar als Motor für Reformen und Fortschritt am Golf? Eine außenpolitische Einordnung“

Lamya Kaddor MdB
Berichterstatterin Katar der AG Außen
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

19.25

Paneldiskussion

„Arbeitsrechtsreformen in Katar: Wie können sie nachhaltig und über die WM hinaus Bestand haben?“

Luise Amtsberg
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung

Sebastian Sons
Senior Researcher, Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO)

Dietmar Schäfers
Vizepräsident der Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI)

Benjamin Best
WDR-Reporter (Doku-Serie „Katar – WM der Schande“)

Moderation: Nicole Selmer
Journalistin und Autorin

20.20

Zusammenfassung und Ausblick

Boris Mijatovic MdB

20.30 Get-Together mit Imbiss und Getränken

Anreise

Um zum Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu gelangen, fahren Sie mit der Tram, U- oder S-Bahn bis zur Haltestelle "Friedrichstraße" oder per S-Bahn oder Bus 100 bis zur Haltestelle "Brandenburger Tor". Vom Hauptbahnhof sind es zirka 10 Minuten Fußweg, alternativ nutzen Sie von dort die Buslinie TXL bis "Marschallbrücke" oder die U5 bis Station „Bundestag“.