Europakonferenz der grünen Bundestagsfraktion Europa stärken - Erweiterung und Reformen Hand in Hand meistern! / Strengthening Europe - mastering enlargement and reforms hand in hand
Livestream in english: https://www.youtube.com/watch?v=6qAmHkuw7io
- Auf unserer Europakonferenz „Europa stärken - Erweiterung und Reformen Hand in Hand meistern!“ diskutierten wir am 15. März mit hochrangigen Politiker*innen, Exper*tinnen, über 200 Gästen und in drei Workshops, was für eine erfolgreiche Erweiterung und welche Reformen der EU nötig sind.
- Die Konferenz war ein weiterer wichtiger Baustein zur Einlösung unseres Versprechens für Reformen der EU und deren Erweiterung, das wir mit dem Koalitionsvertrag gegeben hatten und das mit den neuen Beitrittsversprechen an die Ukraine und die Republik Moldau aktueller denn je ist.
- Wir haben mit der Konferenz auch unseren Anspruch mehr Verantwortung für die europäische Integration und deren aktive Mitgestaltung auch seitens des Parlaments klar unterstrichen.
Unsere Europakonferenz fand vor dem Hintergrund statt, dass die EU aktuell sicherheits- und geopolitisch sowie in ihrem Inneren vor enormen Herausforderungen steht. Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und sein Desinformationskrieg gegen die EU zeigen dies besonders dramatisch. Auch deshalb hatten die Staats- und Regierungschefs im Dezember 2023 die historische Entscheidung getroffen, EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine und der Republik Moldau aufzunehmen sowie die EU-Perspektive der Länder der Westbalkanregion zu erneuern.
In ihrer Begrüßung der über 200 Gäste in der Halle des Paul-Löbe-Hauses des Bundestages betonte unsere Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, unser aller Sicherheit in Europa gefährde. Deshalb sei die Unterstützung der Ukraine so wichtig. Russische Desinformation versuche unsere Demokratie und den Zusammenhalt in Europa zu zersetzen. Es gelte daher jetzt, umfassend über Reformen zu diskutieren.
Hoffnung auf Frieden und Wohlstand
Die Vize-Ministerpräsidentin der Republik Moldau, Christina Gherasimov, zuständig für die EU-Integration, stellte in ihrer Keynote sehr deutlich heraus, dass die EU Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand sei. Auf dem Weg in die EU habe Moldau in den letzten vier Jahren enorme Fortschritte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Zivilgesellschaft, Korruptionsbekämpfung und Schutz der Grundrechte gemacht. Die Justizreform oder der Kampf gegen die Korruption gingen weiter, nicht weil die EU, sondern Moldau es so wolle.
In der sich anschließenden europapolitischen Rede betonte Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin und Abgeordnete, dass Russlands Krieg uns deutlich zeige, dass wir uns heute in Europa keine Grauzonen mehr leisten könnten. Russland habe die Erweiterung zur geopolitischen Notwendigkeit gemacht. Die EU-Mitgliedstaaten seien sich deshalb auch der Dringlichkeit der Erweiterungsfrage bewusst. Sie zollte Moldau größten Respekt, dass das Land trotz massiver Destabilisierungsversuche Russlands seine demokratischen Anstrengungen vorantreibe. Erweiterungspolitik erfordere anders als Verteidigungspolitik keine riesigen Ausgaben. Nötig sei aber eine klare politische Haltung eines "Wir-machen-das!". Lange Wartezeiten bis zum Beitritt müssten enden. Künftig dürften innenpolitischen Logiken einzelner Mitgliedstaaten nicht mehr zu Blockaden von Beitrittsprozessen führen wie zuletzt Bulgarien gegenüber Nordmazedonien. Deshalb befürwortete sie Mehrheitsentscheidungen etwa bei technischen Zwischenschritten im Beitrittsverfahren. Auch sei zu denken an eine informelle Teilnahme an Räten nach Abschluss themenspezifischer Beitrittsthemen. Mit Blick auf die Handlungsfähigkeit der EU in Krisen betonte sie, dass wir uns Einstimmigkeit etwa für Sanktionen nicht mehr leisten könnten. Deshalb solle bei Ergänzungsbeschlüssen zu bestehenden Sanktionsregimen künftig mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt werden. Um generell Vetos zu verhindern und Bedenken von Mitgliedstaaten dennoch gerecht zu werden, könne die Einführung einer gelben Karte helfen, um weiteren Beratungsraum zu schaffen.
Eine Konferenz zum Mitmachen – Drei parallele Workshops
In den drei sich anschließenden Workshops hatten auch unsere Gäste die Gelegenheit, sich intensiv einzubringen. Die Diskussion zeigte einmal mehr, wie sehr das scheinbar trockene Thema „EU-Reformen“ gerade auch in diesen Zeiten die Menschen bewegt.
Chantal Kopf, Sprecherin für Europapolitik fasste die Workshops anschließend zusammen. Im ersten Workshop „Das Fundament der EU stärken: Demokratie & Rechtsstaat schützen! Ein Auftrag an die Parlamente.“ erläuterte Maria Skóra, dass die Resilienz der Rechtsstaatlichkeit in den EU27 sehr unterschiedlich ausgeprägt sei: In Nord- und Westeuropa stark, in Ost-, Mittel- und Südeuropa schwächer. Es liege an Politiker*innen und Bürger*innen, demokratische politische Kultur zu leben und dadurch die Resilienz zu erhalten und zu stärken. Rechtsstaatlichkeit müsse immer Teil der Reformdebatte sein. Im Fall Ungarn hätte früher und konsequenter gehandelt werden müssen. Hier sei klar geworden: Money does the talking. Der Konditionalitätsmechanismus habe großes Potenzial, wenn er konsequent umgesetzt würde.
Im zweiten Workshop „Neuer Schwung für die Erweiterungspolitik: Impulse für ein wachsendes Europa und die Rolle der parlamentarischen Zusammenarbeit“ diskutierte Prof. Dr. Sead Turčalo aus Sarajevo mit den Gästen die Zusammenarbeit zwischen Parlamenten. Dabei sollte es nicht nur um die Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten, sondern auch um den Austausch zwischen den Parlamentsverwaltungen gehen, um bei der nationalen Umsetzung europäischer Gesetze und demokratischer Regeln zu unterstützen. Generell könne die Kooperation der Parlamente die Hoffnung auf und das Vertrauen in den Beitritt stärken.
Schließlich stellte Dr. Thu Nguyen, Vize-Direktorin des Jacques Delors Centre im dritten Workshop „Fit für die Erweiterung: Notwendige Reformen der EU – Eine parlamentarische Antwort für mehr Handlungsfähigkeit!“ ebenfalls die übergreifende Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit heraus, die etwa das Funktionieren des Binnenmarktes sichere. In der Diskussion wurde die geringe Wirksamkeit der zahlreichen Mechanismen zur Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit betont. Endlich müsse das sogenannte Artikel-7-Verfahren so reformiert werden, damit der Stimmentzug im Rat tatsächlich möglich werde. Mit Blick auf den EU-Haushalt wurde herausgestellt, dass die Aufnahme weiterer Länder Auswirkungen auf die Verteilung der EU-Gelder haben werde, etwa in der gemeinsamen Agrarpolitik. Die Bauernproteste in einigen EU-Ländern wie Polen und die nötige Unterstützung der Ukraine berge großen Konfliktstoff, die den sozialen Zusammenhalt gefährden könnten. Deshalb müsse der nächste EU-Haushalt entsprechend ausgestattet sein. Eine gemeinsame Schuldenaufnahme dürfe dabei kein Tabu sein.
Hochrangig besetzte Podiumsdiskussion – Höhepunkt der Konferenz
Auf die Eingangsfrage unserer Moderatorin Eva van de Rakt, Leiterin des EU-Referats der Heinrich-Böll-Stiftung, was die Empfehlungen für Erweiterung und Reformen konkret seien, wenn wir uns keine Grauzonen mehr leisten könnten, zeichnete Jean Asselborn, langjähriger ehemaliger Außenminister Luxemburgs ein gemischtes Bild der Erfolgsaussichten für Reformen. Es sei grundsätzlich gut, parallel Vertiefung und Erweiterung anzustreben und so Solidarität und Verantwortung zum Ausdruck zu bringen. Auch sei es wünschenswert, die bestehenden Möglichkeiten in den Verträgen wie Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit in der Außenpolitik zu nutzen. Dafür sei aber vorab wiederum eine einstimmige Entscheidung notwendig. Ungarn etwa habe immer wieder gemeinsame Positionen der EU blockiert. Er wünsche sich einen Bann von Mitgliedstaaten, wenn diese die Werte und Prinzipien der EU (Art.2 EUV) verletzten. Die Erweiterung der EU sei zwar richtig, um Kriege in unserer Nähe zu verhindern. Doch sei wichtig, dass die Erweiterung kein Klumpfuß für die EU werde, sondern wir mit Mut zu ihr stünden. In der Vergangenheit seien Fehler gemacht worden. Kein Land außer Nordmazedonien sei je gezwungen worden, seinen Namen zu ändern. Er forderte keine „buchhalterische“ Fortführung der Erweiterungspolitik mit Blick auf die Ukraine, Nordmazedonien oder Moldau. Als zentrales Reformprojekt hob er schließlich auch die Migrationspolitik hervor. Hier habe es bislang null Solidarität bei der Verteilung gegeben, obwohl der Geist der Verträge dies fordere und letztlich auch alle Mitgliedstaaten von europäischen Steuergeldern profitierten.
Der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland Janusz Reiter betonte angesichts des russischen Angriffskrieges das Glücksgefühl aktuell in der EU zu sein und nicht draußen zu stehen. Wir sollten diese „Gunst der Stunde“ nutzen. Jetzt sei die Zeit für unsere Entscheidungen. Die Erweiterungspolitik sei der wichtigste Beitrag der EU zur Weltpolitik gewesen. Mit der Erweiterungsrunde vor 20 Jahren habe sich die EU als fähig zur Weltpolitik erwiesen. In der Erweiterungspolitik zeige die EU zu stark das Gesicht einer Meritokratie, bei dem das strategische Interesse zu kurz komme. Während die Aufnahmeländer das strategische Interesse betonten, wachse in der EU das Vorurteil, „die wollten nicht alles erfüllen“. Umgekehrt entstehe der Vorwurf an der EU, sie wolle den Beitritt auf die lange Bank schieben. Mit Blick auf die Ukraine stehe zwar heute die Geopolitik im Vordergrund. Es sei aber wichtig, von Anfang an als gute Investition in die Zukunft die Zivilgesellschaft zu stärken. Für Polen sei es aktuell eine großartige Chance sich in die Reformdebatte einzubringen. Die Probleme der EU beträfen den Osten besonders, doch die Lösungswege kämen noch nicht aus den östlichen Mitgliedstaaten. Polen könne mit allen Gruppen kommunizieren. Mit Blick auf den Übergang zu mehr Mehrheitsentscheidungen in der EU analysierte er, dass ein Mitgliedstaat umso stärker dagegen sei, je jünger seine EU-Mitgliedschaft sei. Rechtsstaatlichkeit sei die gemeinsame Geschäftsgrundlage der EU, weshalb sie sich wehren müsse, wenn sie zerstört wird. Ein Rausschmiss von Mitgliedstaaten verhindere aber die Fähigkeit zur Geopolitik. Es gehe um die Vermittlung der Rechtsstaatlichkeit als Kanon der Gemeinschaft.
Anna Lührmann, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, bedauerte, dass die EU noch nicht strategiefähig sei. Die EU gehe noch zu viele Umwege. Der Strategiemangel zeige sich etwa im Fall des Beitrittskandidaten Nordmazedonien. Hier habe die EU auf die Bremse getreten. Kleinere Beitrittsländer wie Montenegro müssten auch eine Chance erhalten voranzugehen. Wir können bei der Erweiterung nicht auf Serbien warten. Einen Widerspruch zwischen Werten und geostrategischen Interessen sehe sie nicht. Die Kandidatenländer und deren Menschen wollten ja gerade deshalb in die EU, weil sich hier frei entfalten könnten. Wichtig seien zudem aber auch Reformen der EU. Sollten diese nicht vor der Erweiterung funktionieren, endeten wir in einer Sackgasse. Der Vertrag von Lissabon sei bereits erweiterungsfest. Um künftige Blockaden zu verhindern, plädierte auch sie für mehr Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik. Ein Konsensverfahren sei grundsätzlich gut, aber wir bräuchten Regeln, damit sich etwas ändern könne. Mit Blick auf die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit betonte auch sie, dass Solidarität keine Einbahnstraße sei, da es um Steuergelder der EU-Bürger*innen ginge. Zu deren besseren Schutz sollten im Artikel-7-Verfahren die hohen Hürden abgesenkt werden.
Terry Reintke, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament sah mehr Hoffnung auf Veränderung in der EU als früher. Während noch Kommissionspräsident Junker Erweiterungen in absehbarer Zeit eine Absage erteilt habe, zeige die Diskussion um die Ukraine, Moldau oder Georgien heute, angesichts des russischen Angriffskrieges eine neue Dynamik. Auch habe Orbán nachgeben müssen, etwa bei der Ukraine-Unterstützung durch die EU. Die geostrategische Lage habe sich angesichts der Aggression Putins und der Rivalität mit China dramatisch geändert. Wir könnten uns deshalb klein gegen klein in Europa nicht mehr leisten. Die EU könne nicht zum Nulltarif stärker werden. Ohne Geld werde es nicht funktionieren. Der Kuchen müsse vergrößert werden. Sie betonte, dass das Europäische Parlament einen Konvent für weitgehende Reformen wolle. Wir müssten jetzt "ready for the right moment" werden und unsere Hausaufgaben vorab erledigen, um vorbereitet zu sein. Das Konsensprinzip passe nicht mehr, außerdem warnte sie vor einem Rechtsruck im Zuge der Europawahlen. Dann fiele das Parlament als treibende Kraft für eine progressive Europapolitik aus. Eine Debatte über die Möglichkeit, einzelne Mitgliedstaaten aus der EU werfen zu können, hielt sie für überflüssig. Ein Entzug von Haushaltsmitteln und ein reformiertes Artikel-7-Verfahren, das tatsächlich zum Stimmrechtsentzug führe, komme aufgrund der vollständigen Isolierung einem Rauswurf sehr nahe.
Anton Hofreiter, Vorsitzender des EU-Ausschusses im Bundestag, warb für mehr Kreativität in der Reformdebatte. Das Erfordernis an EU-Reformen dürfe beitrittsbereite Länder wie Montenegro nicht ausbremsen. So könne etwa auch vereinbart werden, dass ein Beitrittsland auf sein Veto verzichte, solange die EU nicht reformiert sei. Mehrheitsentscheidungen würden durch kleinere Mitgliedsländer weniger unterstützt. Ihnen könnte etwas zwischen dem aktuellen qualifizierten Mehrheitsverfahren und Einstimmigkeit angeboten werden. Ein eingeschränktes Konsensprinzip könne die Lösung sein, wenn etwa erst drei Veto-Stimmen eine Blockade erwirkten. Wichtig sei auch anzuerkennen, dass die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und geopolitische Interessen sich nicht ausschlössen, sondern zusammen gehörten. Orbán blockiere die EU gerade, weil die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn fehle. Wir sollten uns generell vergegenwärtigen, dass wir handeln müssten, weil ein erheblicher Teil der Rechten in Europa von Putin unterstützt würde und wir uns längst in einer hybriden Auseinandersetzung befänden.
Uhrzeit | Programm |
11.30 | Einlass: Get-together - Kleiner Imbiss / Admission: Get-together - welcoming snack |
13.15 | Begrüßung / Welcoming Britta Haßelmann |
13.20 | Key-note Cristina Gherasimov |
13.35 | Europapolitische Rede / Speech on European policy Annalena Baerbock |
14.15 | Parallele Workshops / Parallel workshops Workshop 1: Mit Toni Hofreiter MdB (Moderation) | Dr. Maria Skóra, Institut für Europäische Politik (IEP) Workshop 2: Workshop 3: Mit Chantal Kopf MdB (Moderation) | Dr. Thu Nguyen, Stv. Direktorin Jacques Delors Centre | Hertie School |
15.30 | Kaffeepause / Coffee break |
16.00 | Input & Workshop Wrap-Up Chantal Kopf |
16.15 | Podiumsdiskussion: Erweiterung und Reformen Hand in Hand meistern! / Panel discussion: Mastering enlargement and reforms hand in hand!
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17.30 | Schlussbemerkungen / Closing remarks Toni Hofreiter MdB |
Moderation der gesamten Veranstaltung / Event Moderation Eva van de Rakt |
Anreise
Zum Paul-Löbe-Haus gelangen Sie mit der U-Bahn bis Haltestelle „Bundestag" oder der U- oder S-Bahn bis Haltestelle „Hauptbahnhof“ oder „Brandenburger Tor“ oder mit dem Bus 100 bis zur Haltestelle „Reichstag/Bundestag“. Über den Eingang West, Konrad-Adenauer-Str. 1 gelangen Sie zum Veranstaltungsort. Um in das Paul-Löbe-Haus zu gelangen, benötigen Sie ein amtliches Personaldokument. Eine namentliche Anmeldung mit Angabe des Geburtsdatums ist im Vorfeld erforderlich.