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Brandmauer halten!
Anlässlich der heutigen Fraktionssitzung der Grünen Bundestagsfraktion nachfolgend Statements der Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge zu den Themen Migrationsanträge der Union, Vorschläge von Friedrich Merz,nationale Umsetzung der GEAS-Reform, Sicherheitspolitik und Finanzen sowie Jahreswirtschaftsbericht.
Migrationsanträge der Union:
Schönen guten Tag, schön Sie alle zu sehen, und herzlich willkommen zu dieser Sitzungswoche. Diese Sitzungswoche ist wahrscheinlich die schwierigste Sitzungswoche, die ich in dieser Legislaturperiode erlebt habe und vielleicht auch überhaupt in meiner Zeit im Deutschen Bundestag. Wir stehen jetzt vor einer Sitzungswoche, in der die CDU sehr klar erklärt hat, dass sie mehrere Initiativen in den Deutschen Bundestag einbringen möchte, bei denen sie davon ausgeht, dass sie eine Mehrheit bekommen kann, wenn die Nazis zustimmen werden. Das ist aus meiner Sicht ein wirklich eklatanter Bruch mit dem, was wir als demokratische Fraktionen im Deutschen Bundestag über Jahre hinweg miteinander verabredet, vereinbart und gehalten haben in diesem Parlament. Eine Verabredung, die der CDU-Parteivorsitzende auch auf eigene Initiative und eigenen Impuls hinaus erneuert hatte. Im November noch einmal, als klar wurde, dass diese Regierung gescheitert ist und damit keine stabilen Mehrheiten mehr im Deutschen Bundestag vorhanden sind, hat er selber noch einmal im Deutschen Bundestag gesagt in Richtung von SPD und Grünen: „Ich mache den Vorschlag, dass wir hier in diesem Parlament keine Gesetze und keine Anträge in der zweiten und dritten Lesung zur finalen Abstimmung bringen, für die es keine Mehrheit unter den demokratischen Fraktionen gibt.“
Und ich muss feststellen, dass Friedrich Merz dieses Wort schlichtweg bricht diese Woche. Er bricht ein Wort, das er uns auch ganz persönlich im Gespräch gegeben hat. Aber er bricht auch ein Wort, das er im Deutschen Bundestag gegeben hat. Und ich muss mich fragen, und ich frage das auch Friedrich Merz: Was sollen wir der Union eigentlich noch glauben, wenn das Wort des CDU-Parteivorsitzenden nicht einmal zwei Monate gilt – gerade mit Blick auf die Frage, wie man weiter umgeht mit der Zusammenarbeit mit Rechtsextremen? Die CDU beteuert ja jetzt Land auf, Land ab, dass das keine Zusammenarbeit sei und dass auch in Zukunft, auch nach der Bundestagswahl, keine Zusammenarbeit geplant ist. Aber ich frage mich: Wie soll ich Friedrich Merz diese Worte noch glauben, wenn seine Worte aus der Vergangenheit so wenig gelten?
Und schlimmer noch: Es ist ja nicht nur so, dass Friedrich Merz jetzt einen Gesetzentwurf zur Abstimmung stellt am Freitag in zweiter und dritter Lesung, der mit den Stimmen von FDP, BSW und AfD eine Mehrheit bekommen könnte. Er hat ja noch nicht einmal versucht, mit den demokratischen Parteien im Wege von Verhandlungen zu einer Einigung zu kommen. Er hat uns seine Anträge zugeschickt, aber nicht mit der Frage: Wollen wir miteinander darüber reden? Das, was Demokraten normalerweise in einer Demokratie machen, ist ja, dass unterschiedliche Seiten Vorstellungen formulieren, dass man sich miteinander an einen Tisch setzt und dass man guckt, ob man miteinander zu einer gemeinsamen Lösung kommt. Und dieses Angebot habe ich von Friedrich Merz bis heute nicht erhalten. Wir haben versucht, das Gespräch an dieser Stelle noch einmal zu führen, aber es ist bislang nicht erwidert worden, sondern schlichtweg die Frage gestellt worden: „Stimmt ihr zu, ja oder nein?“ So arbeitet man nicht zusammen in einer Demokratie. So arbeitet man nicht zusammen in einem Parlament. Es kann nicht einer die Bedingungen diktieren und sagen: „Sonst stimme ich eben mit den Nazis, und dann müsst ihr das in Kauf nehmen, dass meine Gesetze am Ende mit den Stimmen von Nazis eine Mehrheit bekommen.“
Friedrich Merz ist auch schlichtweg in eine Falle getappt, die Alice Weidel ihm schon ganz lange gestellt hat. Es war naiv von ihm, anzunehmen, dass er drei Sätze in einen Antrag schreiben muss, die die AfD kritisieren, und dann zu glauben, dass die AfD dem vielleicht dann nicht zustimmen würde. Wer die AfD erlebt hat in den letzten Jahren, wie sie in den Landtagen agiert hat, wie sie im Deutschen Bundestag agiert hat, der wusste doch, wenn die AfD die Chance bekommt, zu sagen: „Die CDU und die AfD vertreten inhaltlich das Gleiche, und es ist hervorragend, dass wir das jetzt einmal dokumentieren können, weil die AfD wollte diese Brandmauer ja schon lange nicht mehr“, dann wird sie diese Chance nutzen und sich von drei dürren Sätzen in einem CDU-Antrag auch mit Sicherheit nicht abhalten lassen. Und genau da steht jetzt die CDU, und genau da steht jetzt Friedrich Merz.
Und natürlich, es ist nicht nur die CDU, es ist auch die FDP, die vorhat, in diesem Parlament mit dieser Mehrheit Entscheidungen zu treffen. Und ich kann an die Kollegen nur appellieren, das sage ich jetzt als Abgeordnete des Deutschen Bundestages und nicht als Fraktionsvorsitzende – wir sind alle Abgeordnete des Deutschen Bundestages und unserem Gewissen verpflichtet. Ich kann nur an die Kollegen appellieren und sagen: Stimmen Sie nicht mit den Nazis! Es ist Ihre Verantwortung, das jetzt nicht zu tun. Es gibt in diesem Parlament demokratische Mehrheiten, wenn Demokraten miteinander sprechen.
Vorschläge von Friedrich Merz:
In der Sache möchte ich auch darauf eingehen, was Friedrich Merz vorgeschlagen hat. Und danach möchte ich auch zu unseren eigenen Vorschlägen kommen. In der Sache kann das, was Friedrich Merz vorschlägt, nicht funktionieren. Es ist nicht nur offensichtlich europarechtswidrig – das hat die Europäische Kommission bestätigt, das haben verschiedene Verfassungsrechtler und Europarechtler eindeutig formuliert –, es wäre im Kern auch der Anfang vom Ende der Europäischen Union. Denn die Europäische Union basiert auf dem Grundprinzip, dass Länder in Fragen, die nicht an Landesgrenzen Halt machen – und die Unterbringung von Geflüchteten in der Europäischen Union ist eine Frage, die alle Länder in der Europäischen Union betrifft –, dass Länder zusammenarbeiten. Das ist der Kern der Europäischen Union. Und jetzt fragt man sich einmal, und das kann man unsere europäischen Nachbarn ja fragen: Wie würden andere europäische Regierungen reagieren, wenn Deutschland seine Grenzen schließt und sagt: „Europa? Nicht mehr mein Problem, euer Problem!“? Es haben sich mehrere konservative Regierungschefs gestern geäußert. Und die haben Friedrich Merz eine sehr eindeutige Antwort gegeben: Weicht nicht ab von dem Prinzip europäischer Gemeinsamkeit, macht das europäische Asylsystem nicht kaputt.
Ich frage mich auch technisch, wie Friedrich Merz sich vorstellt, wie das Ganze funktionieren soll. Glaubt er, dass Giorgia Meloni in Italien sich noch an die Verabredung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems hält, wenn Deutschland sich nicht mehr an die Verabredung hält? Glaubt er ernsthaft, dass Italien und Griechenland weiter Geflüchtete registrieren, wenn wir sagen: Wir nehmen zwar niemanden mehr, aber die anderen sollen weiterhin registrieren? Glaubt er ernsthaft, dass das noch passieren würde? Und wie würde er eigentlich Geflüchtete an den Grenzen technisch zurückweisen, wenn andere europäische Länder sagen: Dieser Geflüchtete ist jetzt auf deutschem Boden, wir als Österreich, Polen, wir nehmen den nicht zurück? Dann stehen sich Grenzbeamte an der Grenze gegenüber, und beide sagen: Hier kommst du nicht rein. Und dann bleibt man da miteinander stehen? Wie soll das gehen?
Und was sagt er den Menschen, die in unseren Grenzregionen leben, die zum Beispiel jeden Morgen von Freiburg nach Basel zur Arbeit pendeln? Müssen die jetzt jeden Morgen damit rechnen, dass sie an der Grenze eine Passkontrolle erleben? Was sagt er der Logistikbranche, die eh schon in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit agieren muss? Wollen wir jetzt alle LKWs an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich kontrollieren und die Pässe kontrollieren? Wollen wir jetzt jeden Zug an der Grenze zwischen Deutschland und Polen stoppen? Ist das der Vorschlag, den die Union an dieser Stelle macht? Wie wollen wir Grenzen in Europa so effektiv schließen, dass hier niemand mehr reinkommt, wie Friedrich Merz das vorgeschlagen hat? Man kann keine Mauer um Deutschland bauen. Das wäre ein wahnsinniger Vorschlag.
Nationale Umsetzung der GEAS-Reform:
Unsere Antwort im Gegensatz dazu ist klar. Wir sagen: Es ist gut, dass es Europa gibt. Es ist gut, dass es europäische Zusammenarbeit gibt. Und deswegen werden wir in dieser Sitzungswoche auch die nationale Umsetzung der GEAS-Reform aufsetzen, eine historische gemeinsame Leistung, die die europäischen Staaten hinbekommen haben, die für uns Grüne nicht leicht war. Das sage ich auch ganz persönlich. Sie kennen meine Kritik an Inhalten dieser Reform. Aber ich muss im Nachhinein sagen: Gut, dass es sie gibt. Gut, dass es diese gemeinsame Einigung europäischer Staaten an dieser Stelle gibt. Gut, dass damals die Regierungschefs die Kraft gefun-den haben, sich zu einigen. Man sieht jetzt, wo wir einen starken Drall Richtung Nationalismus und Abschottung haben, wie wichtig diese gemeinsame europäische Regelung ist. Und deswegen wird sie auch mit unserer Fraktion in dieser Woche in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Sicherheitspolitik und Finanzen:
Wir sagen als Zweites: Wenn wir über Sicherheit reden wollen, dann lasst uns doch über Sicherheit reden. Dann lasst uns nicht immer wieder Ablenkungsdebatten führen, Maßnahmen, die am Ende alle treffen. Maßnahmen, die auch eine geflüchtete Familie mit kleinen Kindern treffen, die hier einfach nur Schutz suchen und nichts anderes. Lasst uns doch auf diejenigen konzentrieren, die wirklich gefährlich sind. Das würde wirklich Sicherheit in diesem Land bringen. Und deswegen schlagen unsere Innenpolitiker jetzt schon seit Tagen vor, dass es auf der einen Seite zu einer deutlich stärkeren Konzentration auf bekannte Gefährder in Deutschland kommen sollte, und dass es zu einer besseren Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden kommen muss. Viele der Terroranschläge und Gewalttaten, die wir erlebt haben in den letzten Wochen, sind durch Täter begangen worden, die den Behörden bekannt waren, die teilweise, wie in Magdeburg, sogar ihre Pläne im Internet veröffentlicht haben. Sie waren den Behörden bekannt, und trotzdem wurden diese Taten nicht verhindert. Und da liegen doch Fragen, die wir uns anschauen müssen. Da liegen Herausforderungen, die wir lösen können. Deswegen wundere ich mich immer wieder, wenn wir Grünen das formulieren und Vorschläge machen zur besseren Zusammenarbeit zwischen den Behörden, zu einer Reform des Nachrichtendienstgesetzes, für eine Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, damit dieses Frühwarnsystem auch funktionieren kann, zu Reformen im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum, dass das so vom Tisch gewischt wird und gesagt wird: Sie haben ja keine Vorschläge gemacht. Und ich sage: Doch, das sind die Vorschläge, die real zu mehr Sicherheit in unserem Land führen würden, wenn wir uns auf die Menschen konzentrieren würden, die wirklich gefährlich sind.
Wir haben eine hohe Zahl an nicht vollzogenen Haftbefehlen in diesem Land – und Bayern ist da Spitzenreiter. Die Vollstreckungsoffensive wäre notwendig – und Bayern könnte da vorangehen. Bayern sollte auch erklären, warum das Land nicht gehandelt hat, nachdem der Deutsche Bundestag eine Reihe von Asylgesetzen in der Vergangenheit verschärft hat und den Bundesländern die Kompetenzen gegeben hat, die sie sich von der Bundesregierung lange Zeit gewünscht haben. Die Länder hatten die Rechtsgrundlagen, zu handeln, auch mit Blick auf den Täter von Aschaffenburg – und sie haben es nicht getan. Deswegen stellt sich bevor nach weiteren Gesetzesverschärfungen gerufen wird, erst einmal die Frage, warum nicht die Gesetze, die wir in diesem Land haben, genutzt werden.
Und dann kommen wir auch zum Thema Geld. Wir haben immer wieder gesagt: Wir fordern eine Sicherheitsoffensive, auch mit Blick auf die finanzielle Ausstattung unserer Behörden. Die Bundespolizei, die Friedrich Merz mit immer weiteren Aufgaben belasten will, winkt ja ab. Die sagt: Ihr könnt uns nicht immer mehr Aufgaben geben, ohne uns zu sagen, wie wir das machen sollen. Lasst uns doch einfach mit den Experten reden. Lasst uns doch einfach mit den Praktikern reden und das ist die Bundespolizei an dieser Stelle. Und lasst sie uns so ausstatten, dass sie vernünftig ihren Job machen können, statt immer mehr sinnlose Aufgaben obendrauf zu packen. Das ist das, was wir vorschlagen. Da würden wir sehr gerne auch mit den Kollegen drüber sprechen. Das haben wir auch in den letzten Monaten schon versucht. Und wer Sicherheitspolitik ernst meint, der könnte solche Gespräche mit uns führen.
Jahreswirtschaftsbericht:
Das letzte Thema, auf das ich eingehen möchte, ist der Jahreswirtschaftsbericht. Der wird in dieser Woche im Deutschen Bundestag diskutiert. Sie wissen, die Wirtschaft hat im letzten Jahr stagniert. Wir hatten im letzten Quartal ein leicht negatives Wachstum. Deswegen ist es auch hier so wichtig, dass wir uns auf Maßnahmen konzentrieren, die der Wirtschaft helfen, und nicht, wie Friedrich Merz das gerade vorschlägt, mit dem Grenzschließen noch mehr Maßnahmen beschließen, die die Wirtschaft belasten, die im Kern ja auch das Schengen-System und den gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum infrage stellen. Die Wirtschaft schaut gerade mit Sorge auf das, was Friedrich Merz macht.
Und wir sagen, angesichts von Donald Trump und seiner Politik, jetzt schon anderen Ländern mit Zöllen zu drohen, angesichts der Herausforderungen, die wir wirtschaftspolitisch gerade haben, ist eine Stärkung des europäischen Binnenmarktes dringend notwendig, ist eine Stärkung der Investitionen auch in unserem Land gerade notwendig, sind Bürokratieabbau und Fachkräftemangel zu bekämpfen. Das sind Maßnahmen, wenn man Wirtschaftspolitik ernst nimmt, die man gemeinsam angehen könnte. Auch Vorschläge zum Senken der Energiekosten haben wir der Union gemacht und hier leider keine Einigung mehr erzielen können. Das würde konkret unserer Wirtschaft in dieser Zeit nützen. Es ist schade, dass es da bislang zu keiner Einigung gekommen ist.