Rede von Katja Keul Versorgungsausgleich und Fortbildung von Familienrichter*innen

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15.05.2020

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die Gelegenheit, heute über Familienrecht debattieren zu können, und möchte Ihnen in der Kürze die Schwerpunkte unserer insgesamt drei Anträge vorstellen.

Wir wollen neben der Fortbildungspflicht auch ein Fortbildungsrecht im Richtergesetz verankern, und zwar für alle Richterinnen und Richter. Die Richterschaft in unserem Land ist gut ausgebildet und extrem flexibel, wenn es darum geht, sich jederzeit in ein neues Rechtsgebiet einzuarbeiten. Es sollte aber auch die Pflicht des Dienstherrn sein, die zeitlichen und finanziellen Ressourcen und Anreize für Fortbildungen zu gewährleisten und richterliche Qualität nicht immer nur an hohen Erledigungszahlen zu messen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem kann die Flexibilität von Volljuristen auch an Grenzen stoßen, wenn eine Materie wie das Familienrecht in der Ausbildung quasi gar nicht vorkommt und umfangreiche fachfremde Kenntnisse über beispielsweise Rentenberechnungen oder psychologische Gutachten vorausgesetzt werden. Seit Jahren besteht daher ein breiter Konsens unter den Fachexperten – auch hier im Bundestag –, dass beim Familiengericht nicht nur Fortbildungen, sondern auch Eingangsqualifikationen verbessert werden müssen, bevor jemand von null auf hundert ein Familiendezernat übernimmt. Leider hat das Justizministerium trotz einer Absichtserklärung im Koalitionsvertrag bislang nichts dazu vorgelegt.

Ein weiteres Anliegen ist uns die Gleichbehandlung des familiengerichtlichen Verfahrens mit den sonstigen Zivilverfahren im Hinblick auf die möglichen Rechtsbehelfe und den Weg zum Bundesgerichtshof. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum man einen Streit über die Höhe einer Mietminderung immer bis zum BGH führen kann, aber gegen existenzielle Entscheidungen über das Schicksal eines Kindes keinerlei Nichtzulassungsbeschwerden möglich sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das reine Kapazitätsargument ist nicht geeignet, diese unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen. Es wäre nicht mal zwangsläufig ein zweiter Familiensenat nötig, wenn man den bestehenden Familiensenat von sonstigen aufwendigen Zuständigkeiten, wie den Unterbringungsverfahren, entlasten würde.

Einige Experten gehen auch noch weiter und plädieren für eine eigene Familiengerichtsbarkeit. Damit würden sowohl der Wissenstransfer und die Qualifikation gewährleistet als auch der Weg zu einem eigenen obersten Bundesgericht geebnet. Auch dieser Vorschlag verdient eine ernsthafte Befassung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zum Versorgungsausgleich, einem Thema, das noch mal verdeutlicht, wie viele fachfremde Kenntnisse sich Juristen im Familienrecht aneignen müssen.

Seit der Einführung der internen Teilung von Rentenanwartschaften gibt es ein gravierendes Problem mit dem Halbteilungsgrundsatz im Bereich der betrieblichen Anwartschaften. § 17 Versorgungsausgleichsgesetz erlaubt es nämlich, dass Unternehmen den geschiedenen Ehegatten ihres Arbeitnehmers aus der Altersversorgung auszahlen, also einen externen Ausgleich durchführen können. Der auszuzahlende Kapitalbetrag liegt aber aufgrund der langanhaltenden Niedrigzinsphase weit unter dem, was nötig wäre, damit sich jemand eine gleichwertige Rentenanwartschaft aufbauen kann. Auf der anderen Seite werden die Unternehmen von teuren Pensionsansprüchen entlastet, was aber nicht Sinn und Zweck des Versorgungsausgleichs ist. Am Ende sind es häufig die weniger verdienenden Ehefrauen, die hier um die hälftigen Rentenanwartschaften gebracht werden.

Die Ausnahme des § 17 Versorgungsausgleichsgesetz gehört daher gestrichen. In Kürze steht hierzu die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil der gesamte Versorgungsausgleich zum Zeitpunkt der Ehescheidung ohnehin immer eine Art Prognose für die weitere Entwicklung der Anwartschaften ist und weil diese weder von der Anwaltschaft noch von der Richterschaft abschließend überprüft werden kann, schlagen wir vor, die Teilung der Anwartschaften künftig gleich auf den Zeitpunkt des Renteneintritts zu verschieben. Das Familiengericht hätte dann zum Zeitpunkt der Scheidung nur noch über mögliche Ausschlussgründe, über die maßgebliche Ehedauer und über das Bestehen von Anwartschaften dem Grunde nach zu entscheiden. Die Bewertung und die Teilung der Anwartschaften könnten dann von der Rentenversicherung automatisch beim ersten Renteneintritt vorgenommen werden. Viele Abänderungsverfahren oder schlicht unrichtige Teilungsentscheidungen würden sich dadurch erübrigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man denke nur an die Gesetzesänderung für die Mütterrente, wodurch Tausende von Versorgungsausgleichen neu berechnet werden müssen. Es bräuchte auch keine Rückabwicklung der Teilung mehr, wenn der Berechtigte vorzeitig verstirbt. Selbst das Problem des § 17 Versorgungsausgleichsgesetz wäre gelöst, da es auf die Zinsentwicklung zwischen Ehescheidung und Renteneintritt nicht mehr ankäme.

Fazit: Im Familienrecht gibt es viel zu bereden.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Keul, kommen Sie bitte zum Schluss.

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Genau. – Es wird Zeit, dass hier endlich umgesetzt wird, was schon lange liegen geblieben ist.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)