Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Triage
Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als vor über zehn Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert wurde, ist damit ein
Paradigmenwechsel eingeläutet worden. Es geht um nichts weniger als darum, eine inklusive Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen. Bis heute aber gibt es
keinen Lebensbereich, der wirklich diskriminierungsfrei ist, leider auch nicht unser Gesundheitswesen. Auch wenn wir Ärztinnen und Ärzte, alle Profis im
Gesundheitssystem, unser Bestes geben und auch in dieser Pandemie dafür gesorgt haben, dass glücklicherweise eine solche Zuteilungsentscheidung nicht getroffen
werden musste, so gibt es doch, wenn wir uns ehrlich machen und einen Finger-Nase-Versuch machen, Diskriminierung im Gesundheitswesen. Sie passiert, und zwar
häufig unbewusst. Darum sind Betroffene, als die Ressourcen wegen der Coronanotlage knapp wurden, vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, und sie haben Recht
bekommen: Menschen mit Behinderung dürfen bei der Zuteilung überlebensnotwendiger Ressourcen nicht benachteiligt werden. Das ist uns Auftrag.
Der vorliegende Gesetzentwurf muss also Wichtiges erfüllen, und er erfüllt zentrale wichtige Anforderungen. Für Menschen mit Behinderung muss
sichergestellt werden, dass sie im Fall einer Triage nicht etwa aufgrund von Diskriminierung keinen lebenssichernden Platz bekommen. Die Personen, die im
Gesundheitswesen arbeiten und Verantwortung tragen, brauchen Rechtssicherheit. Und der Gesetzentwurf muss dafür sorgen, dass das praktikabel und in
Ausnahmesituationen anwendbar ist. Das ist nicht trivial, und darum befassen wir uns natürlich auch in einer Anhörung damit, wobei verschiedene Blickwinkel von
Ärzteverbänden, von Menschen mit Behinderung zum Tragen kommen. Ein solches Gesetz muss darum befristet und evaluiert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich begrüße sehr, dass der Bundesgesundheitsminister gerade noch einmal klargestellt hat, dass die Ex-post-Triage ausgeschlossen bleibt. Das ist
wichtig für das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patientinnen und Patienten und für mehr Klarheit statt für mehr Unsicherheit. In den
vergangenen Jahren der Pandemie haben Vorsorge und der hohe Einsatz der Menschen im Gesundheitswesen – Ärztinnen und Ärzte, Pfleger/-innen, alle – dafür
gesorgt, dass eine solche Zuteilungsentscheidung nicht gefällt werden musste; das ist gut. Wahrscheinlich wird auch der vorliegende Gesetzentwurf nie zur
Anwendung kommen müssen – hoffentlich nicht. Doch er ist erheblich; denn auch künftige Entscheidungen werden sich potenziell an diesem Gesetz orientieren, Herr
Hüppe.
Das A und O ist: Es steht in unserer Verantwortung, alles dafür zu tun, dass es auch weiterhin nicht zu einer solchen Notsituation kommt. Wir müssen
sicherstellen, dass auch die Zugänge zum Versorgungssystem funktionieren, dass es keine sogenannte Vor-Triage gibt. Unser gemeinsames Ziel, ob Beschäftigte im
Gesundheitssystem oder Menschen mit Behinderung, muss ein inklusives Gesundheitswesen sein. Dahin ist noch ein Weg zu gehen. Ich finde, wir sollten den
gemeinsam gehen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Jörg Schneider.
(Beifall bei der AfD)