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18.10.2019

Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der antisemitische und rassistische Anschlag in Halle macht uns tief betroffen. Und wieder einmal wird davon gesprochen, dass dieser rechtsterroristische Akt eine Zäsur darstellt. Aber ist es nicht so, dass wir in den letzten Jahren schon mehrere solcher Zäsuren erlebt haben? Sie wurden schon genannt: der Anschlag von Anders Breivik, der NSU, Christchurch, das OEZ-Attentat, der Mord an Walter Lübcke. Es gab bereits vor dem Anschlag in Halle zahlreiche rechtsterroristische Taten, die man alle als Zäsur bezeichnen kann.

Das Problem ist aber, dass es im Handeln der Bundesregierung und der Sicherheitsbehörden keine Zäsur gab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden hat sich nicht grundlegend verändert, die erforderliche Analysefähigkeit wurde nicht hergestellt, und auch das Waffenrecht wurde nicht nennenswert verschärft. Stattdessen werfen Sie mit Nebelkerzen nach dem Motto „Jetzt müssen wir uns mal die Gamerszene ein bisschen genauer anschauen“ oder ziehen alte Kamellen wie die Vorratsdatenspeicherung aus der Schublade.

(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Illegale Waffen, Frau Mihalic! Illegale Waffen!)

Herr Bernstiel, ich sage Ihnen: Der Europäische Gerichtshof hat Recht gesprochen. Und selbst wenn wir alle im Haus einer Meinung wären und Ja zur Vorratsdatenspeicherung sagen würden: Sie wird nicht kommen. Hören Sie endlich auf, Nebelkerzen zu schmeißen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Axel Müller [CDU/CSU]: Wieso kommt die nicht?)

Wo bleibt die Zäsur in ihrem Handeln angesichts der Kontinuität von rechtsextremem Terror, meine Damen und Herren? Tun Sie endlich, was getan werden muss.

Unser Antrag dazu liegt Ihnen vor. Zuallererst brauchen wir eine Taskforce „Rechtsextremismus“ im Bundesinnenministerium. Diese Taskforce soll die Prüfung von Informationsmöglichkeiten zentral koordinieren und vor allem einen erleichterten Zugang zu Beratungs- und Hilfsangeboten für diejenigen garantieren, die von Rechtsextremisten bedroht werden. Ganz entscheidend ist außerdem, dass die Analysefähigkeit im Bereich Rechtsextremismus massiv erhöht wird. Denn wie kann es sein, dass bei 12 700 gewaltbereiten Rechtsextremen gerade einmal 44 Personen als Gefährder eingestuft werden? Es fehlt in den Sicherheitsbehörden an Expertise,

(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Und an technischen Möglichkeiten!)

um vor allem den virtuell vernetzten Rechtsterrorismus auch nur ansatzweise zu verstehen.

Herr Bernstiel, im virtuellen und im nicht virtuellen Kontext ist es außerdem entscheidend, endlich von der Einzeltäterfokussierung wegzukommen und die rechtsextremen Vernetzungen zu erkennen und richtig einzuordnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Und genau dafür brauchen wir die technischen Möglichkeiten!)

Der Täter von Halle war eingebettet in Online-Communities,

(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: In die wir nicht reingucken dürfen!)

in denen antisemitische und rassistische Positionen Normalität sind und rechtsterroristische Anschläge wie in Christchurch live übertragen werden, Communities, in denen ein Austausch über Waffenbau und Anschläge stattfindet und die dringend durch die Sicherheitsbehörden durchleuchtet werden müssen. Ja, es ist richtig: Dafür brauchen sie Expertise und nicht die Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Was wir aber auch mehr denn je brauchen, ist eine nachhaltige Stärkung und Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus einsetzen. Lieber Lars Castellucci, wenn Lars Klingbeil kritisiert, dass die „Stimmen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Künstlern und auch aus der SPD, die in den letzten Jahren gewarnt haben, dass sich am rechten Rand etwas zusammenbraut“ nicht gehört wurden, kann ich nur sagen: Es ist schon die eigenen Partei, die hier gerade die Axt anlegt. Es war ein SPD-geführtes Ministerium, das das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ um 8 Millionen Euro kürzen wollte; eine Forderung die am Tag des Anschlags von Halle noch schnell zurückgezogen wurde. Auch die Zukunft des Aussteigerprogramms Exit war bis gestern ungewiss. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wie kann es sein, dass im aktuellen politischen Klima die Kürzung von Fördermitteln überhaupt in Betracht gezogen wird?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir brauchen eine verlässliche Förderung der Arbeit zur Demokratiebildung gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, und – da sind wir ganz bei Ihnen – es braucht ein Demokratiefördergesetz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist natürlich richtig, nach dem Anschlag in Halle nicht in Aktionismus zu verfallen, aber wir dürfen uns auch nicht der Schockstarre hingeben. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ziehen Sie Konsequenzen und leiten Sie endlich die Zäsur in Ihrem Handeln ein.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Marc Henrichmann für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)