Rede von Dr. Irene Mihalic Polizeibeauftragte*r des Bundes

Foto von Dr. Irene Mihalic MdB
10.11.2023

Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, heute ist es endlich so weit: Wir bringen den Entwurf eines Gesetzes über die Polizeibeauftragte oder den Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag ein, und das ist ein echter innenpolitischer Meilenstein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Manuel Höferlin [FDP])

Es ist richtig: Wir Grünen haben bereits 2016 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt und dann in der letzten Wahlperiode erneut. Und so lange wie wir dieses Projekt schon verfolgen, so lange höre ich auch schon die Vorwürfe aus immer denselben Reihen: ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber der Polizei, Generalverdacht, Paralleljustiz – alles bekannt –, Doppelstruktur, habe ich gerade gelernt. Das alles ist erwartbar und ohne Substanz, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles falsch!)

Aber diese Reflexhaftigkeit hat bei der Union offensichtlich historische Tradition: Schon vor über 60 Jahren haben Sie diese Reflexhaftigkeit an den Tag gelegt und solche Vorwürfe formuliert, als es um die Einführung des Wehrbeauftragten ging.

(Daniel Baldy [SPD]: Hört! Hört! – Sebastian Hartmann [SPD]: Oho! – Weiterer Zuruf von der SPD: Aha!)

Ich denke an solche Aussprüche wie: „Ausdruck des tiefen Misstrauens gegenüber dem Militär“, „ein unnützes Institut“, „würde den ohnehin vorhandenen Papierkrieg nur weiter verstärken“ usw. usf. Aber wenn Sie mal ganz ehrlich sind: So eine Bilanz würden Sie heute, nach der Amtsführung vieler verdienstvoller Wehrbeauftragter, ganz sicher nicht mehr ziehen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der Vorwurf, dass wir der Polizei misstrauen, wenn wir einen Polizeibeauftragten einführen wollen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Und ich erkläre ihnen gern, warum: Mittlerweile haben wir in acht Bundesländern Polizeibeauftragte: in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein – Frau Nicolaisen – und Brandenburg. Überall hörte das Gerede vom Generalverdacht und vom Misstrauen schlagartig auf,

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Nur in Ihrer Wahrnehmung!)

als diese Stellen endlich angefangen haben, zu arbeiten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn man in die Berichte schaut, dann sieht man, dass die Eingaben zu einem Großteil und teilweise sogar überwiegend aus der Polizei selbst kommen. Und welcher Polizist würde sich denn an eine solche Stelle wenden, wenn er sich selbst einem Generalverdacht ausgesetzt sehen würde?

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das macht keinen Sinn!)

Das ist doch absurd, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Manuel Höferlin [FDP])

Daran sehen Sie, dass Ihre Kritik meilenweit an der Realität vorbeigeht, weil diese Stellen eben hochakzeptiert sind.

Der Polizeibeauftragte des Bundes wird für Bedienstete der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes und der Polizei beim Deutschen Bundestag sowie für Bürgerinnen und Bürger ansprechbar sein. Dabei geht es eben nicht um die Schaffung einer Paralleljustiz oder einer Doppelstruktur; darauf hat Kollege Hartmann schon hingewiesen. Es ist ja eher umgekehrt. Denn bis heute gibt es keinen Weg, Konflikte oder Probleme außerhalb der Gerichtsbarkeit und außerhalb der Dienst- und Fachaufsicht zu klären. Und die bestehenden Wege, die wir heute haben, sind zur Erkennung und Aufarbeitung der strukturellen Faktoren, die eben angesprochen worden sind, schon deshalb ungeeignet, weil diese Stellen dafür überhaupt nicht zuständig sind.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Den Blick weg vom Einzelfall aufs große Ganze, auf die Struktur zu richten, ist eine elementare Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deshalb wird die oder der Polizeibeauftragte ja auch als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages tätig. Damit schließen wir eine Lücke, die wir heute bei der parlamentarischen Kontrolle der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols im Innern de facto haben, und es ist gut und wichtig, dass wir diese Lücke schließen.

Die Art der Vorfälle, die auf strukturelle Probleme hindeuten, kann dabei ganz unterschiedlich sein. Das kann die rechte Chatgruppe sein,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Oder eine linke Chatgruppe!)

das können sexistische Vorfälle sein, oder ein Polizeibeamter beobachtet das Fehlverhalten von Kolleginnen und Kollegen und ist sich einfach unsicher, was er in dieser Situation tun soll. Oder Bürgerinnen und Bürger empfinden ein polizeiliches Einschreiten als ungerechtfertigt, möchten sich damit aber aus nachvollziehbaren Gründen eben nicht an die Polizei wenden.

Es gibt auch noch die andere Seite – Kollege Hoppenstedt, Sie haben es eben gesagt –; das Lagebild zu Gewalt gegen Polizeibeamte ist gestern veröffentlicht worden. Sie haben völlig recht: Die Anzahl an Übergriffen auf polizeiliche Einsatzkräfte ist erschreckend hoch. Auch hier kann der Polizeibeauftragte eine wichtige Arbeit leisten und zur Ursachenforschung beitragen.

Gerade in diesen Zeiten, in denen die Polizei immer häufiger mit hochkomplexen und unübersichtlichen Lagen konfrontiert ist, ob bei Großeinsätzen oder im Alltag, können sich immer Situationen entwickeln, die ungeplant verlaufen, bei denen etwas schiefgeht, in denen schlicht Fehler passieren, weil es eben Menschen sind, die da arbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann ist es doch gut und im Sinne aller Beteiligten, wenn die öffentliche Aufarbeitung solcher Ereignisse nicht ausschließlich über die Presseberichterstattung läuft und der Bericht eines unabhängigen Polizeibeauftragten eventuell ein schiefes Bild auch wieder geraderücken kann, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aus den Ländern, in denen es solche Einrichtungen gibt, wird uns aber vor allen Dingen eine wichtige Erfahrung der Polizeibeauftragten zugetragen. Es gibt eine ganze Bandbreite an Fällen; es muss nicht immer der große presseöffentliche Fall sein. Es gibt immer wieder kleinere Ereignisse, die zu Auseinandersetzungen, zu Konfrontationen zwischen Polizistinnen und Polizisten und Bürgerinnen und Bürgern führen. Diese vielen kleineren Fälle, die Ereignisse des Alltags, haben eines gemeinsam, nämlich dass die oder der Polizeibeauftragte oftmals durch einen Ausgleich, durch ein gemeinsames Gespräch, durch eine Vermittlung bereits helfen kann und alle Beteiligten mit einem guten Gefühl aus der Sache rausgehen.

Das, meine Damen und Herren, ist eben genau das Gegenteil von Misstrauen.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Vertrauen stärken!)

Es stärkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Polizei. Auf dieses Vertrauen ist die Polizei unbedingt angewiesen, wenn sie ihre Arbeit machen möchte.

In diesem Sinne: Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen und hoffe, dass Sie auch erkennen, dass wir mit unserem Gesetzentwurf nichts Böses im Schilde führen, sondern dass das, was wir hier machen, im Sinne unserer Polizei in Deutschland ist.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Steffen Janich für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)