Rede von Boris Mijatović Menschenrechte

Boris	Mijatovic
16.05.2024

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Debatte zu eröffnen, ist immer was Besonderes. Ich erlaube mir, ein Zitat voranzustellen, das Sie vermutlich alle kennen. Es ist ein Zitat von Eleanor Roosevelt, einer der Autorinnen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ich zitiere etwas freier, wenn Sie erlauben: Menschenrechte beginnen an den kleinen Plätzen, nahe dem eigenen Heim. Menschenrechte beginnen in der Nachbarschaft, in der wir leben – dass Sie da gehen von der AfD, das finde ich erstaunlich –, in der Schule oder der Universität, die wir besuchen. Die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, in dem wir arbeiten, das sind die Orte, wo jeder Mann, jede Frau und jedes Kind gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiche Würde ohne Diskriminierung hat. Solange diese Rechte dort nicht gelten, haben sie nirgendwo eine Bedeutung. – Diese Worte, meine Damen und Herren, sind 75 Jahre alt, und sie haben keine Spur an Aktualität verloren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Menschenrechte bedeuten heute, dass Kinder das Recht haben, zu spielen, anstatt ihr Leben in den Minen im Kongo für unsere Rohstoffe zu riskieren – Stichwort „Lieferkette“. Menschenrechte bedeuten heute, dass auch zukünftige Generationen das Recht haben, ein sicheres Leben in einer intakten Natur führen zu können – Stichwort „Klimaschutz“. Und Menschenrechte bedeuten heute, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit ohne Furcht ausüben können sollten, auch in Konfliktgebieten. Meine Damen und Herren, in Gaza haben seit dem 7. Oktober bereits 110 Journalistinnen und Journalisten ihr Leben verloren – Stichwort „Meinungsfreiheit“.

Heute sind die Menschenrechte weltweit unter massivem Druck. Diese teils katastrophalen Umstände dürfen nicht über die Situation hinwegtäuschen, dass auch wir hier in Deutschland noch Aufgaben bei der Wahrung von Menschenrechten zu erfüllen haben. Dazu gehören die Fragen der Bekämpfung der Diskriminierung, der Barrierefreiheit, der Inklusion. Dazu zählen auch Gehaltsunterschiede zwischen Mann und Frau sowie die Einhaltung von bürgerlichen Freiheiten bei Demos, Protesten oder beim Stadionbesuch.

Doch lassen Sie mich zum Internationalen zurückkommen. Der Druck auf die Menschenrechte ist zurzeit außerordentlich hoch. Immer öfter müssen wir beobachten, dass autoritäre Staaten menschenrechtliche Institutionen und Organe unterwandern, ja sogar von innen heraus zerstören. Sie fragmentieren die 30 Artikel, deuten sie um, und es bleibt von der ursprünglichen Idee, deren Grundzüge ich Ihnen vorhin im Zitat von Eleanor Roosevelt dargestellt habe, wenig bis gar nichts übrig. Schauen Sie dieser Tage nach Georgien. Schauen Sie nach Hongkong. Schauen Sie in die Länder, in denen so viele Menschen derzeit für diese Rechte auf die Straße gehen und sogar bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Schauen Sie nach Iran, wo immer noch Menschen wegen friedlicher Proteste mit der Todesstrafe belegt und hingerichtet werden.

Autoritäre Systeme vertreten gegenüber den unveräußerlichen Menschenrechten ein fundamental anderes Bild. Die Volksrepublik China spricht regelmäßig – und ich zitiere – von glücklichen Menschen in Xinjiang. Die mag es da auch geben, aber die Verbrechen, die systematisch und großflächig gegen die Volksgruppe der Uiguren von den kommunistischen Machthabern begangen werden, müssen wir ansprechen und uns dafür einsetzen, dass diese aufhören; denn das Leben der Menschen wird nicht besser, indem wir schweigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Menschenrechte sind eben kein westliches Konzept oder eine beliebige moralische Vorstellung, ein Prinzip, etwas, was man dehnen kann. Menschenrechte sind internationales Recht. Zu deren Einhaltung haben sich viele der Staaten verpflichtet, die diese Rechte heute mit Füßen treten.

Wir arbeiten weiter am großen Vorhaben, das Ende der Straflosigkeit zu erreichen. Wir wollen, dass diese Rechte eingehalten werden. Dies betrifft gerade auch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Hier müssen wir weiter an der Einrichtung eines international besetzten Tribunals arbeiten, damit Recht gesprochen werden kann, Menschenrechte gewahrt werden können und die Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt auch für Nahost, wo gerade der Internationale Strafgerichtshof den Hinweisen auf Kriegsverbrechen nachgeht. Menschenrechte zu schützen, ist keinesfalls einfach, und das gilt ganz besonders für den Krieg in Nahost. Darum bin ich unserer Außenministerin sehr dankbar, dass sie permanent im Austausch ist und sich dafür einsetzt, dass dieser Krieg beendet wird und dringend benötigte Hilfsgüter nach Gaza durchgelassen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gäbe noch eine Reihe von Konflikten und Kriegen, die ich aufzählen könnte. Menschenrechtsverbrechen sind zahlreich – leider. Der Menschenrechtsbeirat der Vereinten Nationen bleibt das zentrale Element, um die internationale Zusammenarbeit zu fördern, um Menschenrechtsverletzungen mit den Staaten anzusprechen. Schützen wir dieses Gremium vor Missbrauch, schützen wir dieses Gremium vor Infiltration, damit ein lebendiger Austausch zu den Menschenrechten auch ohne falsche Etiketten oder Fake News möglich bleibt.

Ich bin meinen Kolleginnen und Kollegen im Menschenrechtsausschuss sehr dankbar, dass wir so intensiv und gut an der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen arbeiten können. Auch der Bundesregierung danke ich für die Zusammenarbeit. Aber der echte Dank, der viel größere Dank gebührt den Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern auf diesem Planeten, die tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um für diese Rechte zu kämpfen. Davor habe ich größten Respekt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wir haben heute Morgen 75 Jahre Europarat gefeiert. Wir feiern dieser Tage 75 Jahre Grundgesetz; völlig zu Recht, überhaupt keine Frage. Ich möchte mit den Worten von Eleanor Roosevelt schließen, 75 Jahre nach Schaffung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Wenn diese Rechte hier nicht gelten, gelten sie nirgendwo.“

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Vielen Dank. – Das Wort hat Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)