Rede von Sven Lehmann Haushalt 2021 - Einzelplan Arbeit und Soziales
Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Ausgaben in diesem Etat sind so hoch wie nie. Aber trotzdem hat der Haushalt eine soziale Schieflage; denn er lässt in dieser Krise ausgerechnet die Ärmsten in der Gesellschaft weiter zurückfallen. Trotz milliardenschwerer Hilfspakete enthält ausgerechnet der Einzelplan für Soziales keinen Cent zusätzlich für Erwerbslose oder arme Rentnerinnen in der Grundsicherung. Das ist nicht sozial, das ist lebensvergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
7 Millionen Menschen in der Grundsicherung müssen schon heute jeden Cent dreimal umdrehen. Wir Grüne haben deswegen bereits im Frühling einen Krisenaufschlag in der Grundsicherung beantragt. Denn Erwerbslose, Angestellte im Niedriglohnbereich, Alleinerziehende und Familien in Armut leiden besonders stark unter dem Lockdown und den erhöhten Kosten, zum Beispiel für Lebensmittel.
Ein Krisenaufschlag von 100 Euro für Erwachsene und 60 Euro für Kinder ist und bleibt notwendig. Deswegen haben wir das mit diesem Haushalt erneut beantragt. Sie lehnen das erneut ab. Aber wir werden da nicht lockerlassen; wir werden das einfach immer weiter beantragen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und zwar im Schulterschluss mit Gewerkschaften, mit Sozialverbänden, mit Kinderschutzverbänden, mit Familienverbänden, mit den Tafeln. Wenn dieser Bundestag es nicht schafft, die Grundsicherung auf ein würdevolles Niveau anzuheben, dann wird es der nächste Bundestag tun, und zwar mit einer neuen Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Bundeshaushalt ist ausgerichtet auf Schadensbegrenzung; das ist so weit auch richtig. Aber die Aufgaben, gerade in der Sozialpolitik, waren schon vor Corona größer. Das sieht man vor allem am Beispiel von Kindern und Familien.
Der Druck, eine Kindergrundsicherung zu schaffen, wächst und wächst. Nun sagen auch die Bundesländer, dass eine Kindergrundsicherung machbar ist, und legen den Grundstein dafür, sie endlich auf den Weg zu bringen. Ich frage mich: Wie viele Weckrufe braucht es da eigentlich noch? Die Zeit ist überreif für einen Systemwechsel in der Familienförderung hin zu einer Kindergrundsicherung. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, nicht erst nach der Bundestagswahl – jetzt!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das fängt mit einer deutlichen Erhöhung der Kinderregelsätze und einer automatischen Auszahlung des Kinderzuschlags an. Das würde arme Familien und Kinder gezielt erreichen. Rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche wachsen nämlich in Armut auf; das ist keine kleine Minderheit. Trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung in den letzten Jahren verharrt die Kinder- und Jugendarmut auf erschütternd hohem Niveau.
Auch beim Homeschooling sind Kinder aus armen Verhältnissen mal wieder besonders benachteiligt, weil sie seltener über die notwendige technische Ausstattung verfügen und auch keine Rückzugsräume zum ungestörten Lernen haben. Kinder und Jugendliche waren die Leidtragenden des ersten Lockdowns. Mit der Schließung der Bildungs- und vieler sozialer Einrichtung fielen wichtige Orte für sie auf einen Schlag weg.
Kinder und Jugendliche, die schon vor der Krise in Armut gelebt haben, standen plötzlich vor verschlossenen Türen. Sozialarbeiter/-innen und Menschen in der Erziehungshilfe haben das Schlimmste verhindert und die Kinder zu Hause besucht. Sie sind mit ihnen zum Beispiel eine halbe Stunde spazieren gegangen, weil es viele Kinder in unserer Gesellschaft gibt, die sonst gar nicht aus dem Haus gekommen wären. Ich finde, dafür gebührt allen Beschäftigten in der sozialen Arbeit ein ganz großer Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung will viele dieser sozialen Notlagen vor allem mit Sachleistungen mindern. Das ist viel zu kompliziert, gerade in der Krise, und kommt viel zu oft bei den Familien, die es brauchen, nicht an. Deswegen müssen wir Abschied nehmen von Instrumenten, die einfach gescheitert sind, wie dem Bildungs- und Teilhabepaket.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen hin zu direkten, unbürokratischen Zuwendungen an Kinder und Familien in Armut und einem Ausbau der sozialen Infrastruktur. Beides leistet dieser Haushalt leider nicht so, wie es notwendig wäre. Deswegen werden wir diesem Haushalt auch nicht zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Lezius, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)