Rede von Dr. Anton Hofreiter Bürgerbeteiligung zur Zukunft Europas
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den man sich anschauen kann, und die Rede, die man sich anhören konnte, sind ein typisches Beispiel dafür: Wenn einem die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung aus inhaltlichen Gründen nicht passen, dann erfindet man irgendwelche Verschwörungsmythen, warum diese Bürgerinnen und Bürger jetzt nicht die richtigen Bürgerinnen und Bürger sind.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Nein, das stimmt nicht! Wir haben das von Anfang an gesagt!)
Dann überlegt man sich was, schreibt irgendwas zusammen, anstatt einfach mal zu akzeptieren, dass die Bürgerinnen und Bürger, die große Mehrheit unserer Bevölkerung, schlicht anders denkt als Sie. Akzeptieren Sie das! Nehmen Sie es an! Denken Sie darüber nach, und ändern Sie endlich Ihre Meinung!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Tilman Kuban [CDU/CSU] – Zurufe von der AfD: Nein! Volksabstimmung, Herr Hofreiter! Volksabstimmung! – Da hat jemand nicht zugehört! – Christian Petry [SPD]: Procul asinus clamat!)
Aber wir wollen hier nicht weiter über die Verschwörungsmythen einer kleinen Gruppe und zum Glück immer kleiner werdenden Gruppe sprechen, sondern über die Zukunft Europas.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist das Recht der Demokratie! Haben Sie Angst davor?)
Das Schöne an den Ergebnissen dieser Konferenz ist, dass die Bürgerinnen und Bürger sich richtig kluge Gedanken gemacht haben: Wie können wir Europa souveräner gestalten? Wie können wir Europa handlungsfähiger gestalten? Wie können wir dafür sorgen, dass die Europäische Union die großen Zukunftsaufgaben angehen kann? Und da gibt es ja viel zu tun,
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja, weniger Bürgerbeteiligung!)
wenn man sich anschaut, welche Herausforderungen allein durch den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf uns zukommen
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Die können Sie aber nicht durch eine Veränderung der Institutionen lösen!)
und wie schwer wir uns gerade damit tun, ein sechstes Sanktionspaket auf den Weg zu bringen. Und warum tun wir uns schwer? Weil Ungarn blockiert,
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Die haben halt nationale Interessen! Die wollen halt nicht, dass ihre Leute ohne Heizung dasitzen!)
Ungarn, das große Schwierigkeiten mit der Rechtsstaatlichkeit und mit der Freiheit der Meinungsäußerung hat und Putin arg nah ist. Europa wäre viel handlungsfähiger, wenn das, was die Bürgerinnen und Bürger uns ins Stammbuch geschrieben haben,
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Bürger haben gar nichts ins Stammbuch geschrieben!)
bereits umgesetzt wäre, nämlich Mehrheitsentscheidungen. Nur mit Stärke, Klarheit und Handlungsfähigkeit beeindruckt man einen Diktator wie Putin. Das würde uns in der aktuellen Krise helfen, und deshalb setzen wir alle Kraft daran, die Ideen umzusetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Bürger wollen keine Diktatur aus Brüssel!)
Das Allerabsurdeste ist ja, wenn es heißt: Es ist keine Demokratie mehr, wenn auf europäischer Ebene direkt gewählte Abgeordnete das Initiativrecht bekommen und das direkt gewählte europäische Parlament etwas entscheidet.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Wo ist denn das direkt gewählt mit transnationalen Listen?)
Wissen Sie, ich war mal in einem kleinen Ort mit 6 000 Einwohnern in einem Gemeinderat. Und dieser Gemeinderat konnte völlig demokratisch abstimmen, obwohl wir Teil eines Landes sind, obwohl wir Teil eines Bundes sind und obwohl wir Teil der europäischen Ebene sind. Also, die Behauptung, nur weil es eine Ebene darüber gebe, sei in der Ebene darunter die Demokratie verschwunden, ist doch völlig absurd. Es müsste selbst so jemandem wie Ihnen einleuchten, dass das absurd ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
In der Europäischen Union gibt es aber – ich finde, dieses Bonmot ist sehr treffend – nur kleine Länder und Länder, die noch nicht verstanden haben, dass sie angesichts der Herausforderungen kleine Länder sind. Ich glaube, langsam begreifen alle europäischen Länder, dass sie angesichts der Herausforderungen kleine Länder sind, der Herausforderung der Klimakrise, der Herausforderungen für die Demokratie durch autokratische, aber ökonomisch erfolgreiche Staaten wie zum Beispiel China oder der Herausforderung aufgrund dessen, was Russland gerade treibt. Russland hat ja nicht nur die Ukraine angegriffen. Russland stiftet Unruhe in Georgien, Russland stiftet Unruhe in der Republik Moldau, Russland stiftet Unruhe in ganz Südosteuropa. Deshalb werden die Vorschläge der Zukunftskonferenz, je mehr wir davon umsetzen, nicht nur Europa stärker machen, sondern es uns auch leichter machen, die Europäische Union zu erweitern.
(Mike Moncsek [AfD]: Und die Nationalstaaten beenden!)
Manche hier bei uns sind nicht ganz zufrieden mit dem Zustand der Europäischen Union, und man kann auch noch vieles verbessern. Dazu gibt es, wie gesagt, sehr viele Vorschläge von der Zukunftskonferenz Europa. Aber man schaue sich mal unsere Nachbarstaaten an. Für sie ist die größte Hoffnung, dass sie endlich Mitglied der Europäischen Union werden können. Wenn man sich anschaut, was sich die Menschen in Albanien wünschen, was sich die Menschen in Nordmazedonien wünschen, was sich die Menschen in Georgien wünschen, was sich die Menschen in der Republik Moldau wünschen, was sich die Menschen in der Ukraine wünschen, dann stellt man fest: Die wollen alle Mitglied der Europäischen Union werden.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Sozialleistungen!)
Das zeigt uns doch, wie attraktiv diese Europäische Union ist und was wir da geschaffen haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Selbstverständlich dürfen wir uns auf dem, was wir geschaffen haben, nicht ausruhen, und deshalb gibt es Hunderte von Verbesserungsvorschlägen. Einer der wichtigsten wurde schon angesprochen: die Einführung des Mehrheitsprinzips. Es gibt immer Geschrei, dass, wenn es eine qualifizierte Mehrheit gibt, das nicht mehr demokratisch sei. Also, ich weiß nicht: Wir stimmen hier auch selten komplett einstimmig ab. Das Mehrheitsprinzip ist doch gar nichts Ungewöhnliches. Auch im Bundesrat, wo 16 Bundesländer vertreten sind, stimmen wir nach dem Mehrheitsprinzip ab. Auch ich habe manche Kritik am Bundesrat. Aber die stimmen nach dem Mehrheitsprinzip ab, und der Europäischen Union würde es auch guttun, wenn wir dort mehr nach dem Mehrheitsprinzip abstimmen würden. Ich sehe da wirklich kein Problem für die Demokratie. Ich sehe eher ein Problem, wenn wir die Europäische Union nicht fortentwickeln. Aber wir werden sie fortentwickeln.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir werden sie stärker machen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und wir können uns darauf verlassen, dass die Europäische Union einer der Garanten für Frieden, Fortschritt und Zukunft ist.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Verfassungswidrig!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Unser Kollege Alexander Ulrich spricht zu uns für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)