Rede von Dr. Manuela Rottmann Bekämpfung der Coronapandemie
Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Koalition, Sie haben mich so weit gebracht, dass ich zum Äußersten greifen muss, nämlich mich selbst zu zitieren.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)
Am 11. Juni habe ich hier an dieser Stelle gesagt: Dass Sie es auch heute nicht schaffen, auf verfassungsrechtlich sichere Füße zu stellen, was zur Gefahrenvorsorge noch notwendig ist, wirft die Frage auf, was Sie in Ihren 14 Ministerien eigentlich überhaupt auf die Reihe kriegen. – Und die Frage ist bis heute nicht beantwortet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP])
Ich habe damals hoch darauf gewettet, dass Jens Spahn ein weiteres Mal nichts anderes zustande bringen wird, als eine erneute Verlängerung der epidemischen Lage. Die Wette habe ich leider wieder gewonnen. Und die SPD, vom Vizekanzler Olaf Scholz über die Justizministerin bis zur Fraktion, macht wieder mit.
(Alexander Krauß [CDU/CSU]: Und der Ministerpräsident von Baden-Württemberg auch!)
– Ich kann Ihnen das gerne erklären: Ministerpräsidenten brauchen eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage für die Maßnahmen, die noch notwendig sind. Dafür haben wir heute Vorschläge gemacht. Gucken Sie in unseren Antrag! Ministerpräsidenten sind aber nicht dafür zuständig, dafür zu sorgen, dass Sie hier im Bund die Verfassung einhalten, dass Sie hier im Bund von gesetzersetzenden Verordnungsermächtigungen weggehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist Ihr Job und nicht der Job der Ministerpräsidenten.
Im Gesundheitsausschuss haben Sie nicht nur in Zweifel gezogen, dass es erforderlich ist, die epidemische Lage weiter zu verlängern, Sie haben auch gesagt, die wichtigsten Regelungen zur Pandemiebekämpfung seien mittlerweile erfolgt. Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich; denn im Infektionsschutzgesetz hat sich seit Juni überhaupt nichts getan.
Vor zwei Tagen eröffneten Sie uns dann die Erkenntnis – Herr Dobrindt, der schon weg ist, hat es ja heute wiederholt –
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Er ist doch da!)
– ah, da ist er ja –,
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Augen auf im Straßenverkehr!)
dass die Inzidenzwerte im Infektionsschutzgesetz nicht mehr aussagekräftig sind. Wir Grüne haben bereits im letzten Herbst beantragt, dass diese Werte durch andere Kriterien ergänzt werden müssen, und Sie sind bis heute nicht in der Lage, solche Kriterien vorzulegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Spahn gibt eine Garantie ab, dass es für Geimpfte und Genesene keinen Lockdown und keine Ausgangssperren mehr geben werde. Das sei geltende Rechtslage, sagt er. Herr Spahn, Sie kommen nach mir dran. Bitte lesen Sie mir die Stelle im geltenden Infektionsschutzgesetz vor, an der man Ihre sogenannte Garantie findet. Sie beschließen heute nämlich ausdrücklich das Gegenteil von dem, was Sie in die Kameras sagen. Sie verlängern das Sonderrecht der epidemischen Lage, und damit können grundsätzlich alle in § 28a Infektionsschutzgesetz aufgezählten Maßnahmen weiter verhängt werden, von der Ausgangsbeschränkung bis zur Betriebsschließung.
(Zuruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Bei Überschreitung der 50er-Inzidenz – und da sind wir heute – sind sogar umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen; sie müssen ergriffen werden. Eine Unterscheidung für Genesene, Geimpfte oder Getestete steht nach der geltenden Gesetzeslage im Belieben dieser Bundesregierung. Was Sie beschließen, hat nichts – nichts! – mit dem zu tun, was Sie versprechen oder sonst sagen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die epidemische Lage war ein Notbehelf. Sie wurde erstmals festgestellt, als Masken knapp waren – außer für Herrn Nüsslein –,
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Und Herrn Hauptmann aus Thüringen!)
als wir keine flächendeckenden Tests und keinen Impfstoff hatten.
Wir haben den Verlängerungen zugestimmt, weil wir wegen Ihres gesetzgeberischen Komas andernfalls ganz ohne Rechtsgrundlagen dagestanden hätten. An die epidemische Lage haben Sie aber Sonderrechte für den Bundesgesundheitsminister geknüpft, die verfassungsrechtlich höchst problematisch sind. Und es hat sich gezeigt: Diese Regierung ist nicht in der Lage, von diesen Sonderrechten verantwortungsvoll Gebrauch zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Krauß [CDU/CSU]: Natürlich! Bei der Einreiseverordnung!)
Im Juni habe ich hier klar gesagt: Wir brauchen für die Sommerzeit Einreiseregelungen. Wissen Sie, wann die in Kraft getreten sind? Am 1. August. Da waren in Berlin, in Brandenburg, in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein und in Hamburg die Sommerferien schon fast vorbei.
Auf der einen Seite lassen Sie so eine wichtige Regelung schleifen, auf der anderen Seite hat jemand aus einem Virusvariantengebiet faktisch überhaupt keine Chance mehr, nach Deutschland einzureisen, egal ob da seine Familie lebt oder nicht und egal ob er getestet, geimpft und bereit ist, sich in Quarantäne zu begeben. Die Reisewelle lassen Sie tatenlos durchlaufen; dafür sperren Sie Einzelne ohne jedes vernünftige Maß aus.
Zu spät, chaotisch, ineffizient – das durchzieht die Geschichte Ihrer Verordnungen. Und damit muss heute Schluss sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir lehnen daher die erneute Verlängerung der exekutiven Sonderrechte für einen unfähigen Gesundheitsminister ab. Sie haben die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen. Darin ist ein Vorschlag enthalten, wie man eine Anpassung des Infektionsschutzgesetzes vornehmen kann.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)
Ich komme zum Schluss: Afghanistan, Pandemiebekämpfung, Klimaschutz – Sie reagieren immer gleich: Sie enttäuschen Vertrauen. Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie sind nicht mehr regierungsfähig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
(Beifall bei der CDU/CSU)