Laura Kraft
16.05.2024

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Studierende! Lassen Sie uns heute mal über die Chancen junger Menschen sprechen. Wenn Studierende nicht mehr wissen, ob sie ein bestimmtes Fach studieren können, weil der Studienort der Wunschuni nur für die „rich kids“ bezahlbar ist, und wenn Studierende zwischen warmem Zimmer und warmer Mahlzeit abwägen müssen, dann haben wir ein Problem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn für Studierende selbst die Mensa zu teuer geworden ist, dann haben wir ein Problem. Und wenn Studierenden trotz sämtlicher Spar-Lifehacks, die sie alle beherrschen – von Foodsharing über Flohmarkt etc. –, das Wasser bis zum Hals steht, dann haben wir ein Problem.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann müsst ihr das Problem lösen!)

Und wenn Studierende gar nicht erst anfangen, ein Studium aufzunehmen, weil sie Angst vor der hohen Verschuldung haben,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: … dann sind sie keine „Studierenden“!)

oder wenn sie sogar ihr Studium endgültig abbrechen, weil sie es sich einfach nicht mehr leisten können und finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen, dann haben wir ein Problem – und zwar mit Chancengerechtigkeit in unserem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Problem haben wir nicht erst seit Kurzem. Wir haben es nicht erst seit dieser Legislatur, noch nicht mal seit der letzten Legislatur; wir haben es seit Jahren und Jahrzehnten. Das BAföG erreicht einfach nicht mehr diejenigen, die es brauchen. Die Antwort auf dieses Problem der Perspektive und der Chancengerechtigkeit muss ein leistungsstarkes BAföG sein – ein BAföG, das zur Lebensrealität der Studierenden passt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lina Seitzl [SPD])

Das Problem haben wir als Ampel angegangen; wir haben darauf reagiert. Wir haben mehrere BAföG-Reformen gemacht. Wir haben die 27. BAföG-Novelle gemacht und haben sofort die eklatanten Probleme mitangepackt, und zwar da, wo wir sofort am meisten bewirken können. Das kam genau zur rechten Zeit; denn mitten in der Krise haben wir reagieren können, als die Inflation zunahm, als die Energiekrise kam.

Wir haben auf die hohen Mietkosten mit dem Programm „Junges Wohnen“ reagiert. Das ist eines der weiteren Programme, die flankierend zum BAföG einen erheblichen Beitrag leisten. Wir haben die Freibeträge um ganze 20,75 Prozent ausgeweitet. Das heißt, mehr junge Menschen kommen überhaupt in den Kreis der BAföG-Berechtigten, und das ist unglaublich wichtig. Wir haben die Wohnpauschale um 11 Prozent erhöht, wir haben Grundbedarfssätze um 5,75 Prozent angehoben, die Altersgrenze erhöht, und wir haben einen Notfallmechanismus etabliert, weil wir Lehren aus den Folgen der Pandemie gezogen haben. All das ist Studierenden in diesem Land schon zugutegekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Zahl derer, die überhaupt BAföG bekommen können, ist auf einen Tiefpunkt in den Jahren 2020 und 2021 gesunken. Deswegen war es auch genau richtig, dass wir so reagiert haben. Wir haben uns vorgenommen, die strukturelle BAföG-Reform mit der 29. Novelle auf den Weg zu bringen, damit endlich wieder mehr Studierende BAföG bekommen können.

(Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/CSU]: Ihr seid bald Geschichte!)

In dem Gesetzentwurf ist schon viel Gutes drin, zum Beispiel eine Studienstarthilfe. Und 1 000 Euro, Frau Schön, sind nicht nichts!

(Nadine Schön [CDU/CSU]: Das habe ich auch nicht gesagt! Das habe ich nicht gesagt! Aber wenn das BAföG am ersten Tag nicht da ist, bringen die 1 000 Euro auch nichts!)

Denn sie gehen an diejenigen, die die Ärmsten der Armen in diesem Land sind, die sich nämlich überlegen, ob sie zu den Bildungsaufsteigern gehören können in diesem Land. Sie reden das alles schlecht.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Und Sie verdrehen!)

Das macht mich wirklich wütend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was haben Sie von der Union denn für das BAföG getan? Sie haben pro Legislaturperiode minimalinvasiv am BAföG rumgeschraubt. Dann haben Sie während der Pandemie die Studierenden in den KfW-Studienkredit gedrückt, dessen Konsequenzen – die gestiegenen Zinsen – sie jetzt tragen müssen. Danach haben Sie sich hingelegt. Ich finde es nicht angemessen, wie Sie die Reden hier halten, Frau Schön. Das muss ich an dieser Stelle einfach sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mindesteinsatz ist schon, den Gesetzentwurf zu lesen! – Gegenruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ich habe den gelesen!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Erlauben Sie noch kurz eine Zwischenfrage von Frau Schön?

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Nadine Schön (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich will richtigstellen, dass ich nicht behauptet habe, dass 1 000 Euro nichts wären. 1 000 Euro sind sehr viel Geld für junge Menschen. Aber liebe Kollegen, 1 000 Euro bringen einem Menschen, der aus einer Familie kommt, die ihm keine Überbrückung geben kann, nichts, wenn das BAföG nicht da ist.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

Ich kenne Menschen, die BAföG beantragt haben und deren Anträge zu Studienbeginn nicht bewilligt waren.

(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann stehen sie da, dann können sie noch ihre 1 000 Euro beantragen, dann ist aber die Miete fällig, dann ist die Kaution fällig, dann sind die IT-Kosten fällig, dann sind die Bücherkäufe fällig, und dann kommen sie mit ihren 1 000 Euro nicht weit. Und dann können die jungen Menschen sich überlegen: „Schreibe ich mich noch mal aus, und beginne ich eine Ausbildung?“ Oder was ist die Alternative? Ihre 1 000 Euro retten das nicht. Deshalb habe ich Wert darauf gelegt, dass Sie dafür sorgen, dass die Antragsverfahren schneller werden.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie in der letzten Wahlperiode mal gut tun können!)

Wenn die Ministerin bei unserer BAföG-Bilanz auf Helmut Kohl rekurrieren muss, um zu zeigen, dass irgendwann mal beim BAföG etwas nicht so gut gelaufen ist, dann ist unsere Bilanz, dass wir das BAföG über all die Jahre immer besser gemacht haben, dass wir die Erhöhungen an die Inflation angepasst haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Warum ist sie nicht zu Adenauer zurückgegangen?)

Sie haben eine Erhöhung gemacht; aber diese ist längst von der Inflation aufgefressen. Deshalb ist es bezeichnend, dass Helmut Kohl bemüht werden muss, um angebliche negative Einstellungen der CDU zum BAföG zu belegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Wollen Sie noch darauf antworten?

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, sehr gerne.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Bleiben Sie bitte stehen, Frau Schön.

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Schön, Ihr Problem ist, dass Sie versuchen, Kausalzusammenhänge herzuleiten, wo keine sind. Sie müssen zugeben, dass auch Sie als Union nicht mit einem Bundesgesetz Dinge umsetzen können, die nicht in der Zuständigkeit jenes Gesetzes liegen.

(Zuruf der Abg. Katrin Staffler [CDU/CSU])

All das, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben mit Blick auf die Digitalisierung und auf die Anforderungen an die BAföG-Ämter, ist mit der BAföG-Gesetzgebung, über die wir hier reden, nicht möglich.

Wir haben zum Beispiel das Schriftformerfordernis mit der 27. Novelle abgeschafft. Natürlich wollen wir mehr Digitalisierung im BAföG; denn es ist kein haltbarer Zustand, wenn BAföG-Empfängerinnen und BAföG-Empfänger zu lange auf ihre Bewilligung warten müssen. Aber Sie beschreiben hier permanent Probleme, anstatt Lösungen vorzuschlagen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie haben keine einzige Lösung mit Substanz vorgeschlagen. Ihr Antrag ist durchweg dünn. Da sind keine Vorschläge drin, sondern Sie klagen Dinge an, die wir hier auf Bundesebene nicht lösen können, und das wird auch eine Union nicht lösen können.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Haben Sie den Antrag irgendwann mal gelesen?)

– Ja, natürlich habe ich den gelesen.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann sind Sie offenkundig blind!)

Und ich muss sagen: Er hat mich ziemlich enttäuscht, weil ich von der größten Oppositionsfraktion in dieser Sache mehr erwarten würde,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

vor allen Dingen, wo Sie in den letzten Legislaturperioden die Bildungsministerin gestellt haben. Was haben Sie in dieser Sache gemacht?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ja, Bund und Länder müssen mehr zusammenarbeiten, um auch dafür zu sorgen, dass die Digitalisierung besser klappt. Wir können das nur bis vor die BAföG-Ämter machen. Aber die Bearbeitungsprozesse danach – das wissen Sie ganz genau – liegen nicht mehr beim Bund.

(Zuruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU])

– Es ist nicht unlösbar, aber wir müssen dann auch darauf achten, wo die Zuständigkeiten sind und wer wie Hand in Hand zusammenarbeiten muss. Sie haben unionsgeführte Länder, also vielleicht gibt es da ja dann auch noch die ein oder andere Initiative, was man da besser machen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/CSU]: Wie hilflos ist das denn!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme mit einem letzten Satz zum Schluss. – Ich bin optimistisch, dass wir in dieser Koalition schauen werden, wie wir das BAföG noch so weit verbessern können, dass es zur aktuellen Lebensrealität der Studierenden passt.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es wird eine Reform werden, die weniger „Wünsch dir was“ ist und viel mehr „So ist es“. Das ist auch die Haushaltssituation.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Frau Kollegin.

Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Aber ich baue darauf, dass wir da alle zusammenarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Die nächste Rednerin ist Katrin Staffler für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)